Schuster fordert mehr Kompetenzen für das Bundeskriminalamt
Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016, Armin Schuster (CDU/CSU), fordert mehr Kompetenzen für das Bundeskriminalamt bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors. „Das Bundeskriminalamt sollte für das seltene, aber dramatische Phänomen des islamistischen Terrors zuständig sein“, sagt Schuster in einem am Montag, 5. März 2018, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Einem Kriminalitätsphänomen wie dem Terrorismus könne man „ohne zentrale Steuerung, ohne gemeinsame Bekämpfungsansätze nur schwer etwas entgegensetzen“. Das Interview im Wortlaut:
Herr Schuster, ein Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen und einer in Berlin beschäftigen sich seit Monaten mit dem Fall Amri. Warum braucht es einen weiteren im Bundestag?
Bisher gibt es keinen Untersuchungsausschuss, der sich auf die Frage konzentriert: Hat das Sicherheitsnetzwerk, auf das wir uns in einer föderalen Struktur verlassen, funktioniert? Offensichtlich nicht. Mit dem Attentäter Anis Amri waren im ganzen Land womöglich 30 bis 40 Behörden beschäftigt – ausländerrechtlich, strafprozessual, polizeirechtlich und nachrichtendienstlich. Nur wir als Bundestag können und dürfen die Fragen stellen, die Bund, Länder und Kommunen in ihrem gesamten Wirken betreffen.
Kommt die Untersuchung aber nicht reichlich spät? Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt liegt schließlich fast 15 Monate zurück.
Der Bundestag hat bisher nicht die Hände in den Schoß gelegt. Nach dem Anschlag haben wir eine Task Force im Parlamentarischen Kontrollgremium gebildet, die schnell und intensiv gearbeitet und interessante Ergebnisse hervorgebracht hat. Wir mussten aber erkennen, dass wir so keine Chance haben, den Blick über die Bundesbehörden hinaus zu richten und Akten in Nordrhein-Westfalen und Berlin einzusehen. Gerade die Vernetzungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen – oder besser: die Nicht-Vernetzungen – werfen im Fall Amri aber viele Fragezeichen auf. Die wollen wir jetzt untersuchen.
Welche zentralen Fragen hat der Ausschuss aus Ihrer Sicht zu klären?
Islamistischer Terror ist ein Phänomen, mit dem wir noch nicht lange zu tun haben, vor allem nicht in der asymmetrischen Form, in der er jetzt zutage tritt. Insofern können wir aus diesem Fall viel lernen. Es gibt viele offene Fragen: Braucht das BKA, das Bundeskriminalamt, eine eigene Abteilung für islamistischen Terror? Wie sind das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst aufgestellt? Sollte das GTAZ, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern, in Zukunft verbindliche Entscheidungen treffen können? Kann man so schwerwiegende Entscheidungen wie im Fall Amri eigentlich einer normalen Ausländerbehörde überlassen oder brauchen wir Schwerpunktausländerbehörden, die auf solche Fälle spezialisiert sind? Die Liste ließe sich fortführen.
FDP, Linke und Grüne wollten im Ausschuss den Zeitraum ab Amris Einreise in den Schengen-Raum im Jahr 2011 bis heute zu beleuchten. Union und SPD wollten den Untersuchungsauftrag enger fassen. Warum?
Wir versperren uns einer umfassenden Untersuchung nicht. Der jetzt beschlossene Untersuchungsauftrag lässt den Zeitraum offen. Er basiert auf dem Ursprungstext von Union und SPD, der aber um die Inhalte der Anträge von FDP, Linken und Grünen erweitert wurde. Mir als Ausschussvorsitzendem ist es wichtig zu verhindern, dass es zu einem parteipolitischen Klein-Klein kommt. Das sind wir den Opfern und Hinterbliebenen schuldig.
Amri war den Behörden als islamistischer Gefährder bekannt. Warum zogen sie ihn nicht aus dem Verkehr?
Ein Grund ist, dass es zu viele Verantwortliche gab. Der andere, dass sie zu unterschiedlichen Gefährdungseinschätzungen kamen, letztlich aber alle einen Anschlag für eher unwahrscheinlich hielten. Hier fehlte schlicht die Erfahrung. Wie benimmt sich denn ein gefährlicher Islamist? Betet er noch oder betet er nicht mehr? Ist er besonders orthodox oder gerade nicht mehr? Ich warne davor, sich jetzt schulmeisterlich hinzustellen und zu sagen: Dass der einen Anschlag begeht, war doch völlig klar. Drittens gab es unterschiedliche Auslegungen des einschlägigen Paragrafen zur Abschiebehaft. Ich hätte die Möglichkeit gesehen, Amri in Abschiebehaft zu stecken, Nordrhein-Westfalen sah dies nicht. Das kann jetzt nicht mehr passieren, denn der Paragraf wurde inzwischen klarer gefasst und verschärft.
Sie erwähnten das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum. Seit 2004 stimmen sich die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern dort bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors ab. Warum hat das den Anschlag nicht verhindern können?
Als das GTAZ gebildet wurde, war es das maximale Zugeständnis aus Sicht der Länder, ein Informationsaustauschzentrum zu schaffen. Auf keinen Fall sollte es eine Entscheidungsinstanz sein. Eine Federführung oder gar die Führung eines Einsatzes war im Bauplan nicht vorgesehen. Genau das wäre im Fall Amri aber nötig gewesen.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat schon länger vergeblich eine Steuerungskompetenz des Bundes über alle Sicherheitsbehörden gefordert.
Ja, das ist noch immer ein Knackpunkt – und ausdrücklich kein parteipolitischer. Die Konfliktlinie verläuft zwischen Bund und Ländern. Es gibt anhaltende Diskussionen darüber, wie stark die Rolle des Bundes beim Thema Sicherheitsarchitektur sein darf. Ich hoffe sehr, dass der Untersuchungsausschuss in dieser Frage zu neuen Einsichten verhilft.
Der Föderalismus gilt als eine Stärke der Bundesrepublik. Warum braucht es ausgerechnet im Bereich Innere Sicherheit mehr Bundeskompetenzen?
Ein Terrorist greift kein Bundesland, keine Stadt und nicht den Breitscheidplatz an. Er greift Deutschland an, und darauf müssen wir angemessen vorbereitet sein. Einem Kriminalitätsphänomen wie dem Terrorismus kann man ohne zentrale Steuerung, ohne gemeinsame Bekämpfungsansätze nur schwer etwas entgegensetzen.
Wie würden Sie die Arbeit der Sicherheitsbehörden verändern, um einen solchen Fall in Zukunft zu verhindern?
Das BKA sollte für das seltene, aber dramatische Phänomen des islamistischen Terrors zuständig sein. Weil das für die meisten Bundesländer derzeit nicht zustimmungsfähig ist, sollte als Zwischenschritt wenigstens das GTAZ in besonderen Fällen mit Entscheidungskompetenzen ausgestattet werden. Außerdem sollten die Behörden bei der Gefährdungseinschätzung nach einem einheitlichen Bewertungssystem arbeiten; das BKA arbeitet bereits an einem Radarsystem. Punktuell brauchen die Sicherheitsbehörden für den Bereich islamistischer Terrorismus mehr Personal.
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD stehen auch Pläne für ein Muster-Polizeigesetz. Was soll das bringen?
Bei der Strafverfolgung haben wir einen einheitlichen bundesweiten Standard, die Strafprozessordnung. Da gibt es keine zwei Meinungen. Aber im Polizeirecht und in der Gefahrenabwehr gibt es 17 Standards in Deutschland, wir haben also Zonen unterschiedlicher Sicherheit. Das darf so nicht sein. Es sollte bei der Überwachung und beim Zugriff auf Terrorgefährder keine unterschiedlichen Regeln geben.
Opfer und Hinterbliebene haben sich nach dem Anschlag über den Umgang mit ihnen beklagt. Welche Schlussfolgerungen sollten daraus gezogen werden?
Diese Frage will ich nicht beantworten, bevor wir nicht mit den Opfern und Hinterbliebenen und dem Opferbeauftragten Kurt Beck gesprochen haben. Das wollen wir in einer der ersten Sitzungen tun. Da geht es nicht nur um Entschädigungen und Unterstützung. Die Betroffenen erwarten von uns, dass wir lückenlos aufklären und präzise Konsequenzen ziehen. Das ist für mich die wesentliche Motivation für die Arbeit der kommenden Monate.
(joh/sto/05.03.2018)