Geschichte

Vor 135 Jahren: Reichs­tag verlängert Wahl­periode von drei auf fünf Jahre

'Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt! Bismarck, Otto von Reichskanzler, 1815-1898. 'Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt!' (Rede Bismarcks zum Landwehrgesetz am 6. Februar 1888 im Reichstag in Berlin). - Bismarcks Heimweg vom Reichstag. - Gemälde von Carl Sellmer.

Reichskanzler Otto von Bismarck auf dem Heimweg vom Reichstag (Gemälde von Carl Sellmer). (© picture-alliance / akg)

Vor 135 Jahren, am 9. Februar 1888, hat der Reichstag den von der Deutschkonservativen Partei (DKP), der Deutschen Reichspartei (DRP) und der Nationalliberalen Partei (NLP) eingebrachten Gesetzentwurf betreffend die Abänderung des Artikels 24 der Reichsverfassung mit der Mehrheit der Antragsteller gegen die Stimmen von Zentrum, Freisinnigen und der Sozialistischen Arbeiterpartei angenommen. Damit wurde die Legislaturperiode des Reichstages von drei auf fünf Jahre verlängert.

Höchste Wahlbeteiligung seit der Reichsgründung

Nach der vorzeitigen Auflösung des 6. Reichstages durch Bundesrat und Kaiser Wilhelm I. aus Anlass der Ablehnung der sogenannten „Heeresvorlage“ der Regierung des Reichskanzlers Otto von Bismarck hatte die Wahl zum siebten Reichstag am 21. Februar 1887 stattgefunden. Mit der Heeresvorlage sollte das befristete Heeresgesetz von 1881 abgelöst werden und wieder sieben Jahre gültig sein. Die Stärke des Heeres sollte wegen drohender Kriegsgefahr um zehn Prozent erhöht und die Sonderstellung des Militärs festgeschrieben werden. Die Frage ob Kaiser und Reichsregierung oder der Reichstag über das Heer bestimmen sollten, bestimmte auch den Wahlkampf und mobilisierte die Wahlberechtigten. Mit 77,5 Prozent war die Wahlbeteiligung hoch wie nie seit der Reichsgründung von 1871.

Die den Kurs Bismarcks unterstützenden Parteien DKP, DRP und NLP schlossen nach der Auflösung des Parlaments am 14. Januar 1887 ein Wahlbündnis, um ihrem aussichtsreichsten Bewerber zum Wahlerfolg zu verhelfen. Dieses sah gemeinsame Kandidaten in den Wahlkreisen sowie Absprachen bei eventuellen Stichwahlen vor. Die aufgrund ihres Wahlbündnisses sogenannten Kartellparteien konnten bei der Wahl am 21. Februar eine Mehrheit erzielen. Im neu gewählten Reichstag unterstützen die Kartellparteien, wie erhofft, den Vorschlag des Reichskanzlers. Nur wenige Wochen nach der Neuwahl stimmte am 11. März 1887 die Mehrheit des 7. Reichstages der Heeresvorlage der Reichsregierung zu.

Konservatives Wahlbündnis setzt Vorhaben durch

Knapp ein Jahr später setzte das konservative Wahlbündnis mit der Verlängerung der Wahlperiode von drei auf fünf Jahre ein weiteres, nicht weniger kontrovers diskutiertes Vorhaben durch.

Die Gegner der Verlängerung fürchteten eine nicht unerhebliche Verminderung des Einflusses des Volkes auf die Gesetzgebung. Der Zusammenhang der Wähler und Gewählten werde mit der Verlängerung der Wahlperioden gelockert und der Rückhalt der Vertretung im Volke geschwächt, argumentierten die Vertreter der Oppositionsparteien. Die Verlängerung der Wahlperioden gewähre der Regierung die Möglichkeit, eine Volksvertretung, deren Mehrheit ihr genehm ist, für eine lange Reihe von Jahren zu behalten. Andererseits bliebe die Regierung in der Lage, bei einem für sie ungünstigen Ausfall der Wahlen jederzeit bei günstiger Gelegenheit die Volksvertretung aufzulösen und Neuwahlen herbeizuführen, kritisierten sie.

Bamberger: Parlament wird geschwächt

Die parlamentarische Stellung sei so schwach, erklärte der Abgeordnete der Deutsch-freisinnigen Partei, Dr. Ludwig Bamberger, dass das Parlament im aktuellen Zustand Deutschlands durch die Verlängerung nicht gestärkt, wie die Befürworter betonen würden, sondern geschwächt hervorgehen werde. Es gehe darum, ob eine Regierung, die sich auf die reaktionären Parteien stütze, noch mehr gestärkt werden solle als es bisher der Fall sei, erklärte der ehemals nationalliberale und frühere Anhänger Bismarcks.

Bamberger, dem seine Gegner vorhalten, früher selbst für eine Verlängerung eingetreten zu sein, räumte ein, er habe sich in früheren Zeiten vielleicht einem unberechtigten Optimismus hingegeben. Seitdem aber sei das Bewusstsein immer stärker geworden, dass es rückwärts gehe im ganzen Deutschen Reich mit allem, was liberal sei. Die Frage der Wahlperiode müsse nach der allgemeinen politischen Lage entschieden werden.

„Kein adäquates Gegengewicht zur Regierung“

Es sei nicht gut für den Parlamentarismus, wenn, egal wie die Stimmung im Lande sei, die Regierung ewig bleibt und der Reichstag geht oder aufgelöst wird. Der Reichstag bilde kein adäquates Gegengewicht zur Regierung, im Gegenteil, die Regierung Bismarck sei immer stärker geworden.

Der liberale Befürworter einer stärkeren Parlamentarisierung Deutschlands kritisierte das Parteienkartell und warf den Nationalliberalen vor, mit ihrer Mitwirkung die Grenzlinie zwischen liberal und konservativ zu verwischen und dem Wähler eine Unterscheidung zu erschweren.

„Einfluss des Parlaments wird eher stärker“

Für die Nationalliberale Partei hingegen fragte der Jenaer Rechtsprofessor Dr. Georg Meyer, ob es nicht wünschenswert wäre, durch Schaffung einer längeren Wahlperiode die Parteikämpfe mehr und mehr einzuschränken. Schließlich müssten Kaiser und Bundesrat für die Auflösung des Reichstages zusammenwirken.

Es gebe kein Recht darauf, in möglichst kurzen Abständen zu wählen, betonte der Jurist. Der Einfluss des Parlaments würde eher stärker, war er sich sicher. Dafür würde er auch gerne die Verantwortung übernehmen.

Stöckers Plädoyer für die Verlängerung 

Auch der Abgeordnete der Deutschkonservativen Partei, Adolf Stöcker, sah in einer Verlängerung der Wahlperiode eher weise Staatskunst, wenn den Parteien mit revolutionären und antinationalen Tendenzen im Wahlkampf nicht zu oft Gelegenheit zur Spaltung der Nation gegeben würde, soweit es sich mit dem Recht des Volkes vertrüge.

Zur Erläuterung führte er aus: Es gebe Parteien wie das Zentrum, denen das häufigste Wählen das liebste sei, die keine Mühe hätten, ihre Anhänger an sich zu fesseln. Es gebe Parteien wie der „Fortschritt“, die könnten ihre verschwundene Herrlichkeit nur durch die allerlebhafteste Agitation noch kümmerlich aufrechterhalten. Und es gebe eine dritte Partei, die Sozialdemokratie, die eine im höchsten Maße agitatorische Partei sei, die häufige Wahlen immer mit Freude begrüßen würde.

„Den Nutzen des Landes berücksichtigen“

Die Parteien hingegen, die die erhaltenden Mächte des Volkes und des Staatslebens repräsentierten, hätten weder ein Bedürfnis, so oft zu wählen, noch hielten sie es im Interesse des Volkswohls für gut. Man habe keine Furcht vor häufigen Wahlen, schließlich sei man im Aufsteigen, aber zu berücksichtigen sei vor allem der Nutzen des Landes, so Stöcker, und nicht persönliche Parteiinteressen.

Agitation und Wahlkämpfe seien hingegen kein Mittel, das Volk politisch zu bilden, war der Berliner Hof- und Domprediger überzeugt. Würden Parteiinteressen nicht immer in den Vordergrund gestellt, könnte das Parlament die Schule der politischen Bildung für das Volk sein.

Windthorsts Bedenken

Dem entgegnete der Vorsitzende der katholischen Zentrumspartei Dr. Ludwig Windthorst: Agitation habe die Wähler doch erst dahin gebracht, die aktuelle Majorität zu wählen. Nach seiner Argumentation hat das Volk sie ohne die nötige Einsicht gewählt. Die Regierung hätte den Reichstag schließlich nicht aufgelöst, wenn sie nicht gehofft hätte, durch den Appell an das Volk das für sie Richtige hinzubekommen. Ohne Vertrauen in das Volk wäre dieses Vorgehen nicht zu rechtfertigen. Die Regierung habe in früherer Zeit wiederholt dargelegt, dass sie mehr Vertrauen zum Volk habe als zum Reichstag.

Wahlen seien ein erhebliches Mittel, größeres Interesse des Volkes für die öffentlichen Angelegenheiten herbeizuführen und das Volk zu veranlassen, seine Stimme zu erheben, um das Richtige herbeizuführen, wandte er ein. Würden Parteien nicht erst recht versuchen, in fünf Jahren das zu erreichen, was sie erreichen wollen, fragte er.

„Unbequeme Maßregeln leichter durchsetzbar“

Maßregeln, die dem Volk unbequem sind, könnten leichter durchgesetzt werden, wenn man dem Volk nicht alle drei Jahre Rechenschaft ablegen müsse. Parlament und Volk hingegen hätten kein Mittel gegen ein Verhalten der Regierung, das ihnen nicht gefällt, kritisierte er. Die Regierung könne also nach wie vor jederzeit an das Volk appellieren; das Volk aber komme nach den Verfassungsänderungen erst nach fünf Jahren wieder in die Lage, an die Regierung zu appellieren, gab Windthorst zu bedenken.

Nachdem auch der Bundesrat der Verlängerung der Wahlperiode zugestimmt hatte, unterzeichnete trotz einiger Bedenken Kaiser Friedrich III. am 19. März 1888 das Gesetz betreffend die Abänderung des Artikels 24 der Reichsverfassung.

Reichstag nach drei Jahren aufgelöst

Der am 20. Februar 1890 gewählte 8. Reichstag, der eigentlich als erster eine Legislaturperiode von fünf Jahren gehabt hätte, wurde auf Wunsch von Reichskanzler Leo von Caprivi am 6. Mai 1893 aufgelöst. Wie schon bei der Reichstagsauflösung 1887 war eine Heeresvorlage der Regierung der Anlass dafür. Der Reichskanzler hatte eine erneute Erhöhung der Heeresstärke auf rund 500.000 Mann geplant und war damit im Reichstag gescheitert.

Sozialdemokraten, eine Mehrheit des Zentrums und ein Teil der Freisinnigen Partei hatten die Vorlage abgelehnt. Die Wahl zum 9. Reichstag am 15. Juni 1893 endete mit einem knappen Sieg für die regierungstreuen sogenannten Kartellparteien. Der neue 9. Reichstag nahm die Heeresvorlage der Regierung schließlich mit knapper Mehrheit an. (klz)