Abgasversuche an Menschen und Affen im Urteil der Fraktionen
Die von deutschen Automobilunternehmen initiierten Abgasversuche an Affen seien eine „absolut inakzeptable ethische Entgleisung“. Dies betonte der geschäftsführende Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Christian Schmidt (CDU/CSU), am Freitag, 2. Februar 2018, im Bundestag. Ihm fehle dafür „jedes Verständnis“. Es könne doch allein darum gehen, den Ausstoß von Stickoxiden zu reduzieren und die Grenzwerte einzuhalten. Der Automobilindustrie riet er „dringend“ dazu, „schleunigst eine Trendwende“ einzuleiten und „Vertrauen durch Transparenz zurückzugewinnen“. Bisher hätten sich die Hersteller bei Nachfragen des Ministeriums zu den Abgasversuchen „kooperativ gezeigt“.
Grüne: Widerlich und skrupellos
Verlangt hatte die Aktuelle Stunde im Parlament die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Thema: Haltung der Bundesregierung zu Abgasversuchen an Menschen und Affen. Ihr Redner Oliver Krischer nannte die Versuche „widerlich“ und „skrupellos“. Er bezog sich damit nicht nur auf den Versuch mit Affen, den die von den von Unternehmen VW, Daimler und BMW getragene Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) hatte durchführen lassen. Er ging auch auf eine von der EUGT finanzierte Studie der Technischen Universität Aachen ein. Im Abgas-Untersuchungsausschuss hätten Union und SPD behauptet, es sei „doch alles gar nicht so schlimm“. Jetzt zeige sich: „Es ist alles noch viel schlimmer.“
Krischer hielt der Bundesregierung vor, es sei „bigott“, wenn sie sich über die Tierversuche empöre, aber zulasse, dass die Automobilindustrie „mit Tricksen und Täuschen“ in Deutschland ein „Realexperiment mit 80 Millionen Menschen“ durchführe. Die Regierung müsse die Hersteller dazu drängen, dass auf ihre Kosten sieben bis acht Millionen Dieselfahrzeuge, die die Grenzwerte nicht einhalten, nachgerüstet werden. Dazu sei die Einführung der blauen Plakette notwendig, damit die Kommunen endlich handeln könnten.
SPD für öffentlich zugängliche Datenbank über Tierversuche
Kirsten Lühmann (SPD) gab zu bedenken, dass bei der Festlegung der vorgeschriebenen Grenzwerte auch wissenschaftliche Befunde zugrunde gelegt worden seien, die auf Tierversuchen etwa mit Ratten fußten. Der „Skandal“ beim Versuch an Affen sei, dass die Tiere „ohne Erkenntnisgewinn gequält“ worden seien. Versuche mit Erkenntnisgewinn seien legal und müssten weiter möglich sein, meinte sie mit Verweis auf die notwendige Freiheit von Lehre und Forschung. Dabei müssten Entscheidungen über Grenzfälle genau abgewogen werden – etwa, ob es auch andere Möglichkeiten gab. Sie setzte sich für eine „öffentlich zugängliche Datenbank“ über Tierversuche ein, damit Doppelungen vermieden würden.
Lühmann hielt es als Sofortreaktion auf die angeprangerten Versuche für „sehr effektiv“, wenn es zu „mehr Transparenz beim Lobbying“ durch ein Lobbyregister komme. Wenn in Berichten über Versuch von vornherein mitgeteilt werde, wer sie finanziert hat, könne ein PR-Effekt vermieden werden.
AfD: Vorgehen war legal
Detlev Spangenberg (AfD) hielt den Grünen vor, sie hätten die Debatte unter einen „reißerischen Titel“ gestellt und dabei „zwei Sachverhalte vermischt“. Ausgangspunkt der Untersuchung in Aachen sei es gewesen, über Grenzwerte für die Stickoxidbelastung an Arbeitsplätzen zu forschen. 25 Personen seien unterhalb der gültigen Grenzwerte eine Stunde lang reinem Stickoxid ausgesetzt worden: „Es waren keine Abgase. Es war Gas.“
Die Ethikkommission habe dem Versuch zugestimmt, weil damit keine gesundheitlichen Schäden für die – freiwilligen – Teilnehmer verbunden gewesen seien. Den Kritikern des Versuchs im Bundestag hielt er vor, „einen Skandal aufzubauen, der ohne Substanz ist.“ Das Aachener Vorgehen sei legal gewesen: „So ist die Rechtslage.“
FDP: Warum schon wieder VW?
Judith Skudelny (FDP) machte „bei aller berechtigten Empörung“ durchaus „politischen Beifang“ aus, nämlich im Fall Aachen die „Kritik an der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit“. Es sei beim Aachener Versuch um „zusätzlichen Gesundheitsschutz“ gegangen – eben mit Genehmigung der Ethikkommission. Ein Versuch könne „nicht schon deshalb unethisch sein, weil er von der Privatwirtschaft finanziert wird“.
„Weder ethisch nachvollziehbar noch duldsam“ sei demgegenüber der Versuch an den Affen gewesen, meinte sie. Und fragte: „Warum schon wieder VW?“ Das Unternehmen habe aus dem Abgasskandal „nichts dazugelernt“. Der Vorstandsvorsitzende müsse sich auch von den Aktionären fragen lassen: „Kann er es nicht oder will er keine Transparenz herstellen?“ Die Zukunft Deutschlands liege in Forstschritt und Forschung. Sie gelte es „zu verteidigen“.
Linke: Gesetzliche Regelungen unverzichtbar
Ingrid Remmers (Die Linke) nannte die Versuche an Tieren und Menschen „erbärmlich“. Der Bundesregierung hielt sie „Ignoranz“ gegenüber den Herstellern vor: „Wir alle werden zu Versuchstieren in Abgas-Untersuchung gemacht.“ Die Folge seien Asthma, Krebs und Kreislauferkrankungen.
Die Industrie setze die Menschen „bewusst“ den gesundheitlichen Risiken aus. Das sei „strafbar“. Entsprechende gesetzliche Regelungen seien unverzichtbar: „Hören Sie auf, mit der Autoindustrie zu kuscheln.“
CDU/CSU: Hysterie ist völlig unangemessen
Steffen Bilger (CDU/CSU) machte geltend, die Wissenschaft müsse bei Einhaltung ethischer Grundsätze der Wahrheitsfindung dienen und dürfe „nicht zu Werbung oder Marketingzwecken missbraucht“ werden. Doch „Hysterie“ sei „völlig unangemessen“. Die gerade veröffentlichten Ergebnisse mit einem Rückgang der Stickoxidbelastung in Städten zeige: „Wir sind auf einem guten Weg.“
Die Union grenzte er zu den Grünen ab: „Wir sind für alle Menschen da“ – für Pendler, Handwerker, den Erhalt der Arbeitsplätze. Die Blaue Plakette sei nur ein „anderer Begriff für ganzjähriges Fahrverbot für Millionen von Autofahrern“. Er rief zu allen Anstrengungen auf, neue Wege in der Mobilität zu gehen. Sie müssten auf „festen moralischen und ethischen Grundpfeilern ruhen.“ (fla/02.02.2018)