Geschichte

Geden­ken an die Op­fer des Na­tio­nal­sozia­lismus mit Anita Las­ker-Wall­fisch

Eine weißhaarige Frau sitzt vor einem Mikrofon und gestikuliert mit den Händen.

Anita Lasker-Wallfisch hielt die Gedenkrede im Bundestag. (© dpa)

Der Bundestag gedenkt am Mittwoch, 31. Januar 2018, in einer Sonderveranstaltung der Opfer des Nationalsozialismus. Anlass ist der 73. Jahrestag der Befreiung des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen am 27. Januar 1945. Nach einer Begrüßungsansprache von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble hält die Holocaust-Überlebende Dr. h. c. Anita Lasker-Wallfisch MBE (Member of the Order of the British Empire) die Gedenkrede. Die Gedenkstunde beginnt um 13 Uhr im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes.

Die Gedenkstunde wird ab 13 Uhr live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen. Parallel dazu wird sie mit englischem Dolmetscherton auf der englischsprachigen Webseite des Bundestages (www.bundestag.de/en) ebenfalls live übertragen.

Die Gedenkstunde wird ab 13 Uhr auf www.bundestag.de/gebaerdensprache/ auch mit Live-Dolmetschung in Gebärdensprache und mit Untertitelung für Gehörlose und Hörgeschädigte übertragen.

Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt

Die 1925 in Breslau geborene Anita Lasker-Wallfisch ist eine deutsch-britische Cellistin und eine der letzten bekannten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz. Sie ist die jüngste von drei Töchtern des Rechtsanwalts Alfons und der Geigerin Edith Lasker. Ihre Eltern konnten 1939 die älteste Schwester Marianne mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit bringen, wurden aber selbst 1942 deportiert und ermordet. Die beiden anderen Töchter kamen in ein Waisenhaus und mussten in einer Papierfabrik arbeiten.

Anita wurde im Dezember 1943 nach Auschwitz deportiert, wo sie als Cello-Spielerin im Häftlingsorchester mitspielen durfte. Später wurde auch ihre ältere Schwester Renate nach Auschwitz deportiert. Im November 1944 wurden beide Schwestern ins Konzentrationslager Bergen-Belsen im heutigen Niedersachsen transportiert, das am 15. April 1945 von britischen Truppen befreit wurde.

Nach Großbritannien ausgewandert

1946 gelang es Anita Lasker, nach Großbritannien auszuwandern, wo sie das Londoner English Chamber Orchestra mitbegründete und erfolgreich als Cellistin spielte. Sie heiratete den Pianisten Peter Wallfisch, der ebenfalls aus Breslau stammte und als Professor am Royal College of Music in London lehrte. Er verstarb 1993.

Ein Jahr später besuchte Anita Lasker-Wallfisch erstmals seit ihrer Emigration wieder Deutschland und unternahm in den folgenden Jahren viele Vortragsreisen. In Deutschland berichtete sie vor allem an Schulen von ihrem Schicksal und dem anderer Opfer des Nationalsozialismus und des Holocausts. Sie war eine der Überlebenden von Bergen-Belsen, die beim Staatsbesuch Königin Elizabeth II. im Juni 2015 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers eingeladen waren.

Die Gedenkstunde wird musikalisch umrahmt mit Musik von Ernest Bloch (1880-1959). Der Sohn von Anita Lasker-Wallfisch, Professor Raphael Wallfisch, am Violoncello und Professor John York am Piano spielen „Prayer“ aus „From Jewish Life“ (1924). Nach der Gedenkrede tragen Judith Stapf an der Violine und Kärt Ruubel am Piano „Nigun“ aus „Baal Shem“ vor. 

Jugendliche besuchen Dachau und München

Mit dem Thema „Widerstand aus Gewissensgründen“ beschäftigt sich die diesjährige Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages. An ihr nehmen 71 Jugendliche im Alter von 16 bis 28 Jahren aus zwölf Ländern teil, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzen oder sich gegen Antisemitismus und Rassismus engagieren. Unter ihnen befinden sich neben 47 deutschen, sechs polnischen und fünf französischen Jugendlichen auch Teilnehmer aus Afghanistan, Israel, den Niederlanden, Österreich, Pakistan, Russland, Syrien, Tschechien und Weißrussland.

Die Teilnehmer trafen sich am Samstag, 27. Januar, in Dachau. Am Tag darauf fahren sie zur Denkstätte Weiße Rose am Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo zunächst Prof. Dr. Hans Günter Hockerts, emeritierter Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte ein Impulsreferat hielt.

Arbeitsgruppen und Podiumsgespräch

Danach bildeten sich Arbeitsgruppen zu den Themen „Lebenswege in den Widerstand“ (Leitung: Studiendirektorin a. D. Christina Haselhuber), „Literarische und philosophische Einflüsse auf das Denken und Handeln“ (Leitung: Dr. Umberto Lodovici), „Verfolgung, Prozesse und Hinrichtung“ (Leitung: Michael Greinwald), „Herstellung, Verbreitung und Ziele der Flugblätter“ (Leitung: Ursula Kaufmann) und „Resonanzraum der Erinnerung“ (Leitung: Beatrice Wichmann).

Am Abend fand in Dachau ein Podiumsgespräch zum Thema „Widerstand und Zivilcourage – damals und heute“ statt, an dem Ernst Grube, Überlebender des Konzentrationslagers Theresienstadt, Maria Virginia Gonzales Romero vom interkulturellen Verein VIA e.V. und Ludwig Gasteiger vom Kreisjugendring Dachau teilnahmen. Es moderierte Zara Pfeiffer von der Gleichstellungsstelle der Stadt München.

Biografiearbeit und Podiumsdiskussion

Am Montag, 29. Januar, stand ein Rundgang durch die KZ-Gedenkstätte Dachau auf dem Programm. Nachmittags geht es im Max-Mannheimer-Haus um Biografiearbeit zum Thema „Widerstand“. Unter anderem sollen die Biografien des bayerischen Gewerkschafters Franz Stenzer (1900-1933), der im KZ Dachau ermordet wurde, der österreichischen Juristin und Ärztin Ella Lingens (1908-2002), des bayerischen Pfarrers Korbinian Aigner (1885-1966), des niederländischen Schriftstellers und Journalisten Nico Rost (1896-1967) und des ukrainischen Eisenbahnarbeiters Jurij Piskunow (1925-2009) beleuchtet wurden. Am Abend folgte nach der Begrüßung durch den Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann ein Zeitzeugengespräch mit einem Überlebenden des KZ Dachau, Wolodymyr Dschelali aus der Ostukraine, in Anwesenheit seiner Tochter und seines Enkelsohnes.

Am Dienstag, 30. Januar, fuhren die Teilnehmer von Dachau nach Berlin, wo ihnen das Reichstagsgebäude als „Ort der Erinnerung“ vorgestellt wurde. Nach der Teilnahme an der Gedenkstunde am Mittwoch, 31. Januar, im Plenarsaal findet im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages ab 14.45 Uhr ein zweistündiges Podiumsgespräch mit Bundestagspräsident Schäuble, mit Gedenkrednerin Anita Lasker-Wallfisch und mit deren Schwester Renate Lasker-Harpprecht zum Thema „Widerstand aus Gewissensgründen“ statt.

Die Podiumsdiskussion wird am Mittwoch, 31. Januar, ab 14.45 Uhr live im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.

Die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus findet seit 1996 jährlich statt. Die Gedenkreden im vergangenen Jahr hatten Sigrid Falkenstein und Dr. Hartmut Traub, Angehörige von Opfern der sogenannten „Euthanasie“ im NS-Staat, gehalten. Zudem hatte mit dem Schauspieler und Synchronsprecher Sebastian Urbanski erstmals ein Mensch mit Down-Syndrom im Deutschen Bundestag gesprochen. Er trug in der Gedenkstunde den „Opferbrief“ von Ernst Putzki vor. (vom/30.01.2018)