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Ansprache von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble in der Assemblée nationale in Paris am 22. Januar 2018

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

es ist für mich persönlich eine große Ehre, hier zu Ihnen zu sprechen –

an einem für Ihr Land und für Europa und seine Werte so geschichtsträchtigen Ort.

Noch dazu in einem Jahr, in dem wir an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren denken. Diesen „Großen Krieg“, mit dem sich so viel Leid zwischen Deutschen und Franzosen verbindet.

 

Dass ich als Präsident des Deutschen Bundestages hier zu Ihnen spreche, ist Ausdruck unserer engen Freundschaft. Der vertrauensvollen Partnerschaft gerade auch unserer beiden Parlamente.

Ich überbringe Ihnen die herzlichen Grüße meiner Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag.

In Anwesenheit Ihres Präsidenten, der sich heute Morgen in Berlin an uns gewandt hat, haben wir leidenschaftlich und mit großem Ernst über unsere Resolution debattiert.

Mit ihr wollen wir die Zusammenarbeit unserer beiden Länder weiterentwickeln.

Unsere Partnerschaft noch vertiefen.

 

Anlass dazu gibt uns der Jahrestag des Elysée-Vertrages.

Er ist ein Grund, stolz zu sein: auf das, was wir bereits erreicht haben.

Ich stamme aus dem Südwesten Deutschlands, mein Wahlkreis Offenburg und Umgebung endet an der Stadtgrenze von Straßburg. Hier sehe ich die beeindruckende Entwicklung, die gerade die Grenzregionen genommen haben:

Städte, Landschaften wachsen aufeinander zu,

Franzosen und Deutsche arbeiten ganz selbstverständlich rechts des Rheins und wohnen links davon – und umgekehrt. Diese Eurodistrikte wollen wir weiter stärken. Denn hier wird die deutsch-französische Zusammenarbeit gelebt, täglich.

Aber was für uns alltäglich wird, scheint uns schnell selbstverständlich – und was selbstverständlich voraussetzungslos.

Wir würdigen in unserer Resolution die deutsch-französische Freundschaft als Geschenk aus der Geschichte. Das ist sie.

Wir verdanken es jedoch mutigen Menschen, die nach den Weltkriegen und den deutschen Verbrechen Weitsicht bewiesen. Die Wege zur Versöhnung wiesen.

Ich (und andere Redner) habe(n) heute Morgen an Joseph Rovan erinnert, diesen großen Franzosen mit deutschen Wurzeln. Er wurde vor 100 Jahren geboren, vor 50 Jahren hat er hier in Paris eine Professur für deutsche Geschichte und Politik übernommen.

Persönlichkeiten wie er glaubten daran, dass aus Feinden Freunde werden können.

 

Der Elysée-Vertrag gründete 1963 auf dieser Vision einer deutsch-französischen Freundschaft. Charles de Gaulle und Konrad Adenauer gingen dabei von den Realitäten aus:

Denn natürlich gab und gibt es noch Unterschiede,

natürlich sind Franzosen und Deutsche anders,

sie folgen spezifischen Traditionen und sie haben legitime eigene Interessen.

Nur weil wir das wissen, können wir erreichen, was wir gemeinsam wollen. Und gerade deshalb etablierten wir mit dem Elysée-Vertrag Mechanismen und Regularien der Zusammenarbeit auf Regierungsebene, durch die wir trotz unserer Unterschiede zu Vereinbarungen kommen.

Und zwischen unseren Parlamenten längst auch.

 

Politik hat von den Realitäten auszugehen. Sie ist dann erfolgreich, wenn sie pragmatisch vorgeht, ohne die Vision aus den Augen zu verlieren.

Das tun wir mit unserer Resolution.

Denn bei allem Stolz auf das Erreichte: Grund zur Selbstzufriedenheit haben wir nicht.

Wir sehen doch die Herausforderungen. Und damit wächst das Bewusstsein, dass wir sie angehen müssen.

Was erreicht wurde, ist uns Ansporn.

Und deshalb fordern wir die Regierungen unserer beiden Staaten auf, die französische Regierung und die künftige Bundesregierung, die Grundlagen des Elysée-Vertrages den veränderten Herausforderungen unserer Zeit anzupassen. Herausforderungen, von den wir wissen, dass wir sie nur gemeinsam lösen können.

Gemeinsam in Europa.

 

Die Erfolgsgeschichte der deutsch-französischen Zusammenarbeit wollen wir in einer immer komplexeren Welt weiterschreiben.

Die Bedingungen, unter denen wir in dieser Welt des beschleunigten Wandels leben wollen, müssen wir selbst schaffen. Deshalb tragen unsere Forderungen an die Regierungen den Herausforderungen von Globalisierung und Digitalisierung Rechnung.

 

Die Entwicklung auf den internationalen Finanzmärkten,

die Folgen der globalen Migrationsbewegungen und die damit verbundenen Integrationsaufgaben,

die Gefahren des internationalen Terrorismus und militärische Konflikte an den Außengrenzen Europas,

der Druck durch autoritäre Regime, auch durch Separationsbestrebungen,

schließlich die spannungsreiche Lage in den angrenzenden Regionen des Mittelmeerraums, in Afrika und dem Nahen Osten:

Wenn wir uns all demgegenüber als Europäer behaupten wollen, mit unseren Werten, dann haben wir keine Alternative:

Wir müssen unsere Fähigkeiten in Europa zusammenbringen. Deutsche und Franzosen, mit unseren unterschiedlichen Möglichkeiten.

Ihre Kombination aber ist der Mehrwert für beide –

und für Europa.

 

Sie als Franzosen spüren es womöglich stärker noch als wir Deutsche: Zur europäischen Realität gehören die Nationalstaaten. Das mag man mögen oder nicht. Sie sind historisch gewachsen. Und sie sind in der Gegenwart ein vertrauter Zufluchtsort für Menschen, die von den alltäglich auf sie einstürzenden Veränderungen der Globalisierung verunsichert sind.

Umso wichtiger wird, das zentrale Verständnis dafür zu stärken, dass weder Deutschland noch Frankreich ohne Europa eine Zukunft hat.

Es braucht verantwortungsbewussten Pragmatismus auch hier.

Indem wir weiterentwickeln, was wir haben.

Und indem wir uns neue Ziele setzen.

Die Wirtschafts- und Währungsunion können wir vertiefen. Und neue Impulse bei der Außen- und Verteidigungspolitik setzen.

Gerade sie berührt nationale Interessen, berührt nationale Befindlichkeiten.

Gerade sie zeigt, wie veränderte Bedingungen neue Lösungen erfordern. Neue Ideen und neue Ansätze:

Die weitreichende Vision einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft fand 1954 hier in der Assemblée keine Mehrheit. Das war nur wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wohl zu früh.

Inzwischen ist die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter den europäischen Staaten vorangeschritten. Pragmatisch, Schritt für Schritt –

zuletzt mit der neu geschaffenen Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten.

 

Als Deutsche und Franzosen wollen wir vorangehen:

Bei der Verwirklichung eines deutsch-französischen Wirtschaftsraums und der Vollendung des europäischen Binnenmarkts.

Bei den großen Zukunftsthemen Klimaschutz, Energie und digitale Gesellschaft.

Und bei der Stärkung sozialer Rechte in Europa.

 

In diesem Sinne bekennen wir uns zu unserer besonderen Verantwortung „im Dienste Europas“.

Aber die deutsch-französische Freundschaft hat nicht nur funktionale Bedeutung. Sie hat einen Eigenwert!

Diesen müssen wir in der Gesellschaft bewusst halten –

und auch dafür wollen wir uns engagieren:

Mit dem Ausbau der Städtepartnerschaften,

mit der weiteren Stärkung der erfolgreichen Zusammenarbeit in den Grenzregionen, auf öffentlicher und privatwirtschaftlicher Ebene,

mit der Unterstützung der wunderbaren Arbeit des Jugendwerks und der notwendigen Kooperationen im Bildungs- und Ausbildungsbereich, in der Kultur und in den Medien.

 

Vor allem wollen wir die Angebote erweitern, die Sprache des Nachbarlandes zu erlernen.

Das ist bitter nötig.

Denn wer sprachlos bleibt, kann sich nicht verständigen.

Aber auf dieser Verständigung unter Menschen baut die politische Zusammenarbeit auf. Erst durch sie lebt die deutsch-französische Freundschaft in der Gesellschaft.

 

Als Verbindungsglied zwischen Gesellschaft und Regierung kommt uns, den Parlamenten, eine besondere Aufgabe zu.

Deshalb wollen wir auch die Abstimmung zwischen unseren beiden Parlamenten intensivieren. In einem eigenen Parlaments-Abkommen.

Und das auf allen Ebenen, in allen relevanten Gremien:

Den beiden Präsidien, den Fachausschüssen und auch in den beiden Parlamentariergruppen.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir nehmen den neuen Schwung in der Europapolitik wahr. Die Erwartungen, die an unsere beiden Länder gestellt sind.

Unsere Parlamente nehmen diesen Schwung auf –

als Schrittmacher.

Denn mit der heutigen Resolution gehen wir einen wichtigen Schritt voran. Wir wollen damit eine Dynamik anstoßen, die zu weiteren Schritten führt.

Wir sind frei zu handeln. Erinnern wir uns noch einmal an die Hindernisse vor mehr als einem halben Jahrhundert. Und daran, dass sie überwunden werden konnten.

Nutzen wir unsere Freiheit heute. Nehmen wir unsere Verantwortung so couragiert wahr wie die Unterzeichner damals. Gemeinsam!

Ich danke Ihnen.