Ralph Brinkhaus: Eurozonen-Haushalt derzeit nicht notwendig
Der Finanzexperte Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) sieht derzeit keine Notwendigkeit für die Schaffung eines Eurozonen-Haushalts, verwaltet von einem EU-Finanzminister, wie es der französische Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hat. „Dazu sind mir insbesondere zu viele organisatorische und rechtliche Fragen offen“, sagt der Unionsabgeordnete, der eine Delegation von Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei der Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU (Interparlamentarische Konferenz über SWKS) geleitet hat, die am 30. und 31. Oktober in der estnischen Hauptstadt Tallinn stattfand. Um die Eurozone und damit auch die Europäische Union zu stärken, erscheine ihm die von Deutschland ins Spiel gebrachte Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem europäischen Währungsfonds erfolgversprechender, sagt Brinkhaus im Interview. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion spricht auch über die Bekämpfung von Steuerbetrug, die künftigen Finanzplanungen der EU und Erfolge bei der Umsetzung von Strukturreformen. Das Interview im Wortlaut:
Herr Brinkhaus, bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank Mitte Oktober in Washington herrschte eine optimistische Stimmung angesichts der positiven weltwirtschaftlichen Entwicklung. Auch Europa habe die Krise überwunden, hieß es. War dieser Optimismus auch bei der Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU (SWKS-Tagung) in Tallinn spürbar?
Die wirtschaftliche Lage in der Europäischen Union (EU) und Eurozone entspannt sich nach vielen krisenhaften Jahren. Es ist aber zu früh, um Entwarnung zu geben und sich zurückzulehnen. Stattdessen sollten wir dieses Zeitfenster nutzen, um entschlossen notwendige Reformen anzugehen und die Eurozone zukunftsfest zu machen.
Thema der SWKS-Tagung war unter anderem die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion. Welche neuen Erkenntnisse haben Sie dazu gewonnen?
Die zukünftige Ausgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion ist eine herausfordernde Aufgabe. Dabei müssen wir uns zusammen mit unseren europäischen Partnern möglichst schnell bewusst werden, wo die Reise hingehen soll, und entsprechende Weichen stellen. Nur zu sagen, was wir nicht wollen, ist zu wenig. Dies wurde auch in den Gesprächen auf der SWKS-Tagung sehr deutlich. Andererseits müssen wir aber auch die bestehenden Regeln der Wirtschafts- und Währungsunion ernst nehmen. Hierzu gehört neben dem Grundsatz der Subsidiarität insbesondere auch das Verbot von Vergemeinschaftungen. Letztlich braucht daher jede gute Vision auch eine ordentliche Portion Bodenhaftung, um nicht zu überfordern und die tatsächliche Umsetzbarkeit zu ermöglichen.
Gesprochen wurde auch über Reformbemühungen der einzelnen Mitgliedstaaten. Welche Anreize werden denn als sinnvoll erachtet, um die Umsetzung von Strukturreformen in den Mitgliedstaaten sicherzustellen?
Bei der Umsetzung von Strukturreformen müssen wir stärker aufeinander eingehen und voneinander lernen, als dies bisher häufig der Fall war. Gute Chancen auf Umsetzung haben in erster Linie Reformen, die in der Praxis erprobt sind und vom umsetzenden Staat als sinnvoll erachtet werden. Auch erscheint es mir wichtig, die Bürgerinnen und Bürger künftig besser einzubeziehen. Hier dürfte der Schlüssel in einer besseren Kommunikation liegen. Es gibt viele gute Beispiele, wie man Reformen voranbringen kann und was die EU leistet, leider ist dies viel zu oft nicht im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger verankert. In Estland wird beispielsweise völlig selbstverständlich auf jedes mit EU-Mitteln geförderte Projekt gut sichtbar hingewiesen. Ziel ist nicht nur die Erfüllung von EU-Auflagen, sondern klar zu zeigen, wo Estland von der EU profitiert. Dieser Ansatz sorgt eindeutig für eine bessere EU-Akzeptanz bei der Bevölkerung und erscheint mir nachahmenswert. Darüber hinaus steht aber auch fest: An einer strengen Konditionalität, dass es finanzielle Unterstützung nur gegen erforderliche Strukturreformen geben kann, darf sich nichts ändern. Hier stehen wir schließlich auch in der Verantwortung gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern, die von uns einen gewissenhaften Umgang mit Steuergeldern erwarten.
Einen Erfahrungsaustausch gab es auch zur Frage der Effizienz von Steuerbehörden. Wie ist Deutschland hier im Vergleich zu seinen Nachbarn aufgestellt?
Steuereffizienz hängt immer auch mit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und einer erfolgreichen Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuervermeidung zusammen. Da sind wir in Deutschland nicht schlecht aufgestellt, während andere Länder extrem hohe Steuerrückstände aufweisen. Aber auch in Deutschland gibt es, gerade was die Möglichkeiten der Informationstechnik angeht, noch Potenzial. Einige Länder, wie zum Beispiel unser Gastgeber Estland, sind beispielsweise bei dem Thema elektronische, vorausgefüllte Steuererklärung deutlich weiter als wir. Andererseits entspricht beispielsweise ein zu stark automatisierter Informationsfluss nicht unserer deutschen Vorstellung von Datenschutz. Aus den Vorträgen und Diskussionen mit Kollegen während der SWKS-Tagung habe ich einige interessante Anregungen mitgenommen, die nun auf ihre Praxistauglichkeit in Deutschland geprüft werden müssen.
Bis 2020 gilt der aktuelle Mehrjährige Finanzrahmen der EU. Gibt es unter den Mitgliedstaaten Einigkeit darüber, worauf der Fokus bei den sich anschließenden Finanzplanungen gerichtet sein soll?
Bis zur Verabschiedung eines neuen Mehrjährigen Finanzrahmens ist es noch ein langer Weg. EU-Kommissar Günther Oettinger hat auf der Konferenz deutlich gemacht, dass er im Mai 2018 einen Entwurf vorlegen will, auf dessen Basis dann die parlamentarischen Beratungen beginnen sollen. Weitgehende Einigkeit bestand in Tallinn, dass auf europäischer Ebene vor allem Aufgaben wahrgenommen und Ausgaben getätigt werden sollen, die einen echten „Mehrwert“ gegenüber nationalen Ausgaben bringen. Ebenso muss aus Sicht der meisten Diskussionsteilnehmer die Effektivität der Mittelverwendung im Fokus der anstehenden Beratungen stehen. Hierbei erhoffe ich mir von dem auf EU-Ebene noch bis Ende des Jahres laufenden Spending-Review-Prozess wichtige Erkenntnisse. Darüber hinaus werden mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs auch finanziell erhebliche Herausforderungen auf den EU-Haushalt und den Mehrjährigen Finanzrahmen zukommen. Bei der Frage „Wie gehen wir damit um?“ gibt es aber bisher weder klare Vorschläge noch einen Konsens. Bei den anstehenden Beratungen über einen Mehrjährigen Finanzrahmen der EU wird es aus meiner Sicht insbesondere darauf ankommen, die Nettozahler nicht zu überfordern, klare Prioritäten zu setzen und die Ausgabepositionen einer regelmäßigen Erfolgskontrolle zu unterwerfen.
Frankreichs Präsident Macron hatte zuletzt einen gemeinsamen Eurozonen-Haushalt –verwaltet von einem EU-Finanzminister – sowie eine Angleichung des Mindestlohns und einen Mindestsatz bei den Unternehmenssteuern ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?
Es ist gut, Visionen zu entwickeln. Die Notwendigkeit eines Eurozonen-Haushalts, verwaltet von einem EU-Finanzminister, sehe ich gegenwärtig aber nicht. Dazu sind mir insbesondere zu viele organisatorische und rechtliche Fragen offen. Um die Eurozone und damit auch die Europäische Union zu stärken, erscheint mir die von Deutschland ins Spiel gebrachte Weiterentwicklung des ESM zu einem europäischen Währungsfonds erfolgversprechender.
Auch eine Angleichung von Sozialstandards erscheint mir angesichts der sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen zu früh. Harmonisierungen bei den Unternehmenssteuern fordert Deutschland hingegen schon lange. Dabei geht es allerdings erst einmal um die Angleichung der Bemessungsgrundlagen, um optimale Transparenz herzustellen. Wir versuchen bereits, durch ein gemeinsames deutsch-französisches Projekt, schneller Fortschritte zu erzielen und frischen Wind auch in die festgefahrenen europäischen Verhandlungen zu bringen.
(hau/07.11.2017)