Parlament

Karlsruhe: Regierung hat Auskünfte zu Unrecht verweigert

Zweiter Senat des Bundesverfassungsgerichts

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Kontrollrechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung gestärkt. (© dpa)

Die Bundesregierung hat Auskünfte zur Deutschen Bahn AG und zur Finanzmarktaufsicht zu Unrecht verweigert. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit einem am Dienstag, 7. November 2017, verkündeten Urteil festgestellt (Aktenzeichen: 2 BvE 2 / 11). Die Regierung habe ihrer Pflicht, parlamentarische Anfragen zur Deutschen Bahn AG und zur Finanzmarktaufsicht zu beantworten, nicht genügt und dadurch die Rechte der Antragsteller und des Deutschen Bundestages verletzt. Antragsteller waren Bundestagsabgeordnete und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die im Jahr 2010 mehrere Anfragen zur Bahn und zur Finanzmarktaufsicht gestellt hatten.

Fragen unvollständig oder gar nicht beantwortet

Die Antragsteller hatten nach Angaben der Karlsruher Richter in erster Linie Informationen über Gespräche und Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der Deutschen Bahn AG über Investitionen in das Schienennetz, über ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten zur Wirtschaftlichkeitsberechnung des Bahnhofsprojekts „Stuttgart 21“ sowie über Zugverspätungen und deren Ursachen verlangt. Darüber hinaus erkundigten sie sich nach aufsichtsrechtlichen Maßnahmen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gegenüber mehreren Banken in den Jahren 2005 bis 2008.

Aus Sicht der Grünen hatte die Regierung sämtliche Anfragen nur unzureichend beantwortet. Im Organstreitverfahren wollten sie festgestellt wissen, dass die Bundesregierung die von ihr erbetenen Auskünfte unter Berufung auf „verfassungsrechtlich nicht tragfähige Erwägungen“ verweigert oder nur unzureichend beantwortet und sie sowie den Bundestag in den Rechten aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 und Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt hat. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Regierung diese Fragen ohne hinreichende Begründung unvollständig oder gar nicht beantwortet hat.

Zur Begründung heißt es, dem Bundestag stehe gegenüber der Regierung aufgrund der genannten Grundgesetzartikel ein Frage- und Informationsrecht zu, dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Regierung gegenübersteht. Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung könne das Parlament sein Kontrollrecht nicht ausüben. Dem parlamentarischen Informationsinteresse komme besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung geht. Die Regierung müsse alle Informationen mitteilen, über die sie verfügt oder die sei mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung bringen kann. Sie müsse alle ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Informationsbeschaffung ausschöpfen.

„Geheimhaltungsbedürftigkeit darlegen“

Berechtigte Geheimschutzinteressen der Regierung oder Grundrechte Betroffener könnten die Prüfung erfordern, ob bestimmte Vorkehrungen parlamentarischer Geheimhaltung getroffen werden müssen, heißt es weiter. Auch die Beantwortung parlamentarische Anfragen unter Anwendung der Geheimschutzordnung könne als „milderes Mittel“ einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Fragerecht der Abgeordneten und anderen schützenswerten Rechtsgütern schaffen.

Der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten könne sich aber nur auf Angelegenheiten beziehen, die in die Zuständigkeit der Regierung fallen und für die sie verantwortlich ist. Im Falle einer Auskunftsverweigerung müsse die Bundesregierung die Gründe darlegen, weshalb sie die erbetenen Auskünfte verweigert oder in nichtöffentlicher Form erteilt. Besonders begründen müsse sie, warum sie ihre Antwort eingestuft in der Geheimschutzstelle des Bundestages zur Verfügung stellt. Die Regierung müsse nachvollziehbar darlegen, aus welchem Grund die angeforderten Informationen geheimhaltungsbedürftig sind und warum sie gegebenenfalls auch noch nach Jahren oder sogar nach Abschluss des betreffenden Vorgangs nicht Gegenstand einer öffentlichen Antwort sein können.

Deutsche Bahn und Stuttgart 21

Solange der Bund eine Gewährleistungsverantwortung für die Schienenwege und für die Verkehrsangebote trägt und als Alleineigentümer der Deutschen Bahn AG deren Geschäftspolitik bis zu einem gewissen Grad beeinflussen könne, sei er nicht von „jedweder Verantwortung für die Unternehmensführung“ freizustellen. Der Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Bahn stünden der Auskunftserteilung nicht entgegen. Juristischen Personen des Privatrechts, deren Anteile sich – wie bei der Bahn – ausschließlich in den Händen des Staates befinden, fehle die Grundrechtsfähigkeit im Hinblick auf materielle Grundrechte.

Die Bundesregierung habe ihrer Antwortpflicht im Hinblick auf die Kleine Anfrage der Grünen „Fulda-Runden der Deutschen Bahn AG und Finanzierungsvereinbarungen zu Bedarfsplanprojekten“ (17/3757) nicht genügt, da sie die Antwort nicht durch Verweis auf die Nichtexistenz jährlich und einheitlich erstellter Listen, die Nichtexistenz von Statistiken zur Höhe der vom Bund finanzierten zuwendungsfähigen Kosten sowie die aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten verweigern könne.

Auch die Antwortverweigerung auf die Kleine Anfrage zur Wirtschaftlichkeitsberechnung für das Projekt „Stuttgart 21“ (17/3766) hätte die Regierung nicht mit Verweis auf die berufsständische Verschwiegenheitspflicht der Wirtschaftsprüfer sowie mit der Vertraulichkeitsvereinbarung, die mit der Bahn AG abgeschlossen wurde, begründen dürfen.

Die Antwort auf die Kleine Anfrage „Zugverspätungen“ (17/3149) hätte sie nicht mit der Begründung verweigern dürfen, die erfragten Informationen gehörten vollständig in den Bereich der Geschäftstätigkeiten der Deutschen Bahn AG, da aufgrund der hundertprozentigen Beteiligung des Bundes die unternehmerische Tätigkeit der Bahn in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung falle.

Themenkomplex Finanzmarktaufsicht

Auch beim Themenkomplex Finanzmarktaufsicht hat die Regierung nach Auffassung des Zweiten Senats die Grenze ihrer Antwortpflicht „überwiegend verkannt“ und dadurch Rechte der Antragsteller verletzt. Hier argumentieren die Richter, dass „Erschwerungen der behördlichen Aufgabenwahrnehmung“ durch die BaFin oder – nicht auf konkreten Tatsachen beruhende – Annahmen eines „möglichen Rückgangs der Kooperationsbereitschaft und der freiwilligen Mitarbeit“ der beaufsichtigten Finanzinstitute als Folge einer „Bekanntgabe von Informationen“ nicht genügten, um die Antwortpflicht der Bundesregierung zu beschränken.

Sollten die gesetzlichen Befugnisse der BaFin nicht ausreichen, um ihrer Aufgabe als Aufsichtsbehörde hinreichend nachzukommen und sollte sie zwingend auf die „freiwillige und überobligatorische Preisgabe von Informationen“ durch die beaufsichtigten Finanzinstitute angewiesen sein, so „wäre hier jedenfalls gesetzgeberisch nachzusteuern“, heißt es im Urteil. Überwiegend ungenügend sei daher auch die Beantwortung der Kleinen Anfragen zur IKB/Finanzmarktaufsicht (17/4350) und zur „Ausübung parlamentarischer Kontrollrechte im Bereich Finanzmarkt“ (17/3740) gewesen.

Allein die nicht näher begründete Annahme, schon das Bekanntwerden der Kontrollintensität der Bankenaufsicht im Hinblick auf einzelne Institute könne zu einem irreversiblen Vertrauensverlust in das jeweilige Institut mit entsprechen Reaktionen des Marktes führen, könnten in dieser Pauschalität eine Antwortverweigerung nicht begründen. In diesem Fall wäre die Tätigkeit der BaFin der parlamentarischen Kontrolle vollständig entzogen, heißt es weiter.

Parlamentarisches Interesse überwiegt 

Zu Unrecht habe die Regierung die Antwort auf die Frage zu den Gehalts- und Bonuszahlungen über 500.000 Euro bei gestützten Finanzinstituten nur eingestuft erteilt, denn das parlamentarische Interesse an einer öffentlichen Antwort mit dem Ziel, die Mitarbeitervergütung bei gestützten Finanzinstituten und damit die Verwendung von Steuermitteln zu kontrollieren, überwiege das Interesse an der Geheimhaltung dieser Informationen.

Lediglich in Bezug auf die Risikobewertung später gestützter Banken in den Jahren 2005 bis 2008 habe die Regierung die Antwort zu Recht in der Geheimschutzstelle des Bundestages zur Verfügung gestellt. Eine Information der Öffentlichkeit hätte die Gefahr begründen können, so der Senat, dass der Markt jede Einstufung unterhalb der höchsten Stufe als negativ ansehen könnte. (vom/07.11.2017)

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