Die Engagementpolitik ist nach Ansicht von Prof. Dr. Thomas Klie nach wie vor ein Politikfeld mit geringer politischer Bedeutung. Das sagte der Vorsitzende der zehnköpfigen Sachverständigenkommission, die den Zweiten Engagementbericht (18/11800) der Bundesregierung erarbeitet hat, am Mittwoch, 17. Mai 2017, während der von Willi Brase (SPD) geleiteten Sitzung des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement.
Klie untermauert seine Einschätzung unter anderen mit dem Umgang des vorgelegten Berichtes. Erst nach elf Monaten habe die Stellungnahme der Bundesregierung dazu vorgelegen, die zudem zu zwei Dritteln aus der eigenen Leistungsbilanz bestehe. Die Geringschätzung des Themas sei jedoch nicht gerechtfertigt, betonte der Gerontologe. Ohne Engagement in seiner Vielfalt gebe es keine soziale Kohäsion, keine stabilen demokratischen Strukturen und keine Integration, sagte er.
„Es gibt keine Pflicht zum freiwilligen Engagement“
Klie ging auf einige der im Zweiten Engagementbericht der Bundesregierung aufgeführten Erkenntnisse und Empfehlungen ein. So müsse die Breite des Engagements in den Blick genommen werden, forderte er. Engagement umfasse weitaus mehr als die Freiwilligentätigkeit in Vereinen und Verbänden. Empirische Untersuchungen der Engagements sollten daher ihren Fokus weiter öffnen, um die Vielfalt des Engagements zu erfassen.
Wegkommen müsse man auch von der Pflichtdebatte. „Es gibt keine Pflicht zum freiwilligen Engagement“, betonte der Kommissionsvorsitzende. Engagement erwache vielmehr aus eigenen Vorstellungen vom „guten Leben“. Sprachformen wie etwa jene vom „Rekrutieren von Freiwilligen“ seien daher abzulehnen.
Monetarisierung des Ehrenamtes
Klie sprach auch das Thema der Monetarisierung des Ehrenamtes an. „Der Bundestag hat in Teilbereichen die Monetarisierung in unverantwortlicher Weise gefördert“, sagte der Experte. Beispielhaft nannte er „niederschwellige Pflegeleistungen“, die nicht gut überlegt gewesen seien. Klie räumte ein, dass es keine einfache Frage sei, wie man das Engagement in Fragen der Daseinsvorsorge in strukturschwachen Gebieten entgelte.
Die Sachverständigenkommission habe sich – anders als die Bundesarbeitsministerin – für eine Neuauflage der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) ausgesprochen, damit nicht Langzeitarbeitslose mit dem Verweis, „beschäftigt euch mal ehrenamtlich und tut was sinnvolles“, nochmals einer subjektiven Demütigungserfahrung ausgesetzt würden.
Staatssekretär sieht sich bestätigt, bestärkt und ermutigt
Staatssekretär Dr. Ralf Kleindiek (SPD) vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bewertete den vorgelegten Bericht positiv. „Wir sehen uns bestätigt, bestärkt und ermutigt, den eingeschlagenen Weg in der Engagementpolitik weiterzugehen“, sagte er. Es sei richtig gewesen, im Zweiten Engagementbericht besonders die Kommunen in den Blick zu nehmen, weil dort deutlich werde, „wie wichtig Engagement ist“. Nicht teilen könne er die Kritik, wonach dem Engagement als Politikfeld keine große Bedeutung beigemessen werde. Der Anstieg des Engagements sei ein Beleg dafür, „wie wichtig die Unterstützung in politischer Hinsicht ist“.
Die Kritik Klies, wonach Engagementpolitik als Programmpolitik nicht hinreichend sei, teilte der Staatssekretär. Im Bundesfamilienministerium sei man dezidiert der Auffassung, „dass wir dauerhafte Strukturen für die Unterstützung von Engagement brauchen“. Dazu könne eine gesetzliche Grundlage zur Verstetigung des Engagements ein wirksames Mittel sein, betonte Kleindiek.
„Stärkung des Zusammenlebens vor Ort“
In seinem Schwerpunktteil widmet sich der Zweite Engagementbericht der Frage, wie bürgerschaftliches Engagement zur konkreten Stärkung des Zusammenlebens vor Ort in einer demografisch veränderten Gesellschaftsstruktur und vor dem Hintergrund räumlicher Disparitäten beitragen kann. D
abei wirft die Kommission zugleich einen weitgreifenden Blick auf die Frage, welche Bedingungen notwendig sind, damit sich das in der Bevölkerung bestehende Engagementpotenzial besser entfalten kann und wie das bürgerschaftliche Engagement auf den unterschiedlichen Ebenen staatlicher Aufgabenwahrnehmung noch besser unterstützt und gefördert werden kann.
Handlungsempfehlungen für die Akteure
Einzelne Schlüsselbereiche des Engagements, wie zum Beispiel die Themen Mobilität, Pflege und Sorge, Kultur und Sport oder Katastrophenschutz, werden einer gesonderten Betrachtung unterzogen, und auch das Thema lokale Governance (Stichwort „Bürgerkommune“) im Engagement-Kontext diskutiert. Damit gelingt es der Sachverständigenberichtskommission nicht nur, den aktuellen Status quo in den genannten Bereichen aufzuzeigen, sondern aus ihren Schlussfolgerungen auch Handlungsempfehlungen für die Akteure der Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zu entwickeln, die der Engagementpolitik neue Impulse geben und Perspektiven eröffnen können.
Mit Beschluss vom 19. März 2009 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung beauftragt, einmal pro Legislaturperiode einen wissenschaftlichen Bericht einer jeweils neu einzusetzenden Sachverständigenkommission - inklusive einer Stellungnahme der Bundesregierung - vorzulegen, der sich neben einer allgemeinen Bestandsaufnahme des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland auf einen Schwerpunkt konzentriert. (hau/18.05.2017)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Thomas Klie, Vorsitzender der Sachverständigenberichtskommission
- Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend