Koalition und Opposition bewerten Kranken- und Pflegeversicherung konträr
Bei einer Generalaussprache über die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung haben die Regierungsfraktionen und die Opposition ein gänzlich unterschiedliches Lagebild gezeichnet. Während Redner von Union und SPD die in dieser Wahlperiode beschlossenen Reformgesetze als teilweise historische Wegmarken würdigten, monierten Linke und Grüne am Freitag, 31. März 2017, im Bundestag die aus ihrer Sicht nicht nachhaltige Finanzierung der Gesundheitsversorgung sowie das akute Personalproblem speziell in der Pflege.
Zur Debatte stand ein Antrag der Fraktion Die Linke (18/11722) mit dem Ziel der Einführung einer solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung und der Abschaffung der privaten Krankenvollversicherung. Der Antrag wurde zur weiteren Beratung in die Fachausschüsse überwiesen. Mitberaten wurde der sechste Pflegebericht der Bundesregierung (18/10707), in dem unter anderem auf die drei Pflegestärkungsgesetze verwiesen wird, mit denen die Versorgung systematisch ausgebaut und verbessert werden soll.
Linke: Krankheit immer mehr ein finanzielles Risiko
Sabine Zimmermann (Die Linke) würdigte in der Debatte das Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), monierte aber, dass dieses Prinzip durch Wettbewerb und Privatisierung unter Druck stehe. Krankheit werde immer mehr zu einem finanziellen Risiko. An den steigenden Kosten änderten auch die Reformgesetze nichts. Nötig seien mehr Leistungen in der Pflege, mehr gut bezahlte Pflegekräfte und eine verbindliche Personalbemessung sowie eine Entlastung der Angehörigen, die bis zu 50 Prozent der Pflegekosten selbst tragen müssten.
Den Koalitionsstreit über die Reform der Pflegeberufe nannte Zimmermann unverantwortlich. Die Reform werde dringend gebraucht. Harald Weinberg (Die Linke) erinnerte an einen früheren politischen Konsens, wonach es in der Gesundheit und Pflege keine Profitwirtschaft geben solle. Heute würden die Krankenkassen als Unternehmen angesehen und in einen ruinösen Wettbewerb um den geringsten Zusatzbeitrag geschickt.
CDU/CSU: Evolution statt Revolution
Erwin Rüddel (CDU/CSU) warf der Linksfraktion eine „klassenkämpferische, ideologisch geprägte Darstellung“ vor. Der sechste Pflegebericht zeige, wie gut die Pflege in Deutschland wirklich sei, sagte er und verwies auf die drei sogenannten Pflegestärkungsgesetze (PSG), die in dieser Wahlperiode verabschiedet wurden. Es handele sich um die umfassendste Reform seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995. Jährlich würden fünf Milliarden Euro zusätzlich in die Pflege investiert.
Rüddel betonte: „Wir haben mehr Geld und mehr Betreuung versprochen und wir haben Wort gehalten.“ Im Mittelpunkt habe dabei immer die Verbesserung der Qualität gestanden. In Anspielung auf die von SPD, der Linken und den Grünen geforderte Bürgerversicherung sprach der CDU-Politiker vom „Gespenst der Einheitskasse“, die Wirtschaft und Versicherte belasten würde, ohne ein besseres Gesundheitssystem zu schaffen.
Das deutsche Gesundheitssystem sei das beste in Europa und sollte keinen „Experimenten“ unterworfen werden. Es gehe um „Evolution statt Revolution“. Auch Erich Irlstorfer (CDU/CSU) sprach von einem „hervorragend funktionierenden System“.
Grüne: Finanzierung der Leistungen unklar
Die Grünen verwiesen hingegen auf die aus ihrer Sicht unklare mittel- und langfristige Finanzierung der Leistungen in Gesundheit und Pflege bei ständig steigenden Kosten. Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, allein in den Jahren 2015 und 2016 hätten die Versicherten 24,1 Milliarden Euro an Zusatzbeiträgen gezahlt. Es gebe keinen Grund, diese Sonderbelastungen fortzuführen. Auch die derzeit hohen Rücklagen der Krankenkassen seien ungleich verteilt. So hätten einige Kassen erst unlängst höhere Zusatzbeiträge angekündigt. Das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung produziere viele Verlierer. In die Bürgerversicherung würden hingegen alle Versicherten nach ihrer Leistungsfähigkeit einbezogen.
Elisabeth Scharfenberg (Bündnis 90/Die Grünen) ergänzte, in der Kranken- und Pflegeversicherung fehle es an Solidarität und Gerechtigkeit. Der Pflegebericht umschreibe das gesamte Problempanorama. So sei der Personalmangel dramatisch, der Pflegevorsorgefonds habe mit Nachhaltigkeit nichts zu tun. Nun werde noch die Pflegeausbildung „in den Sand gesetzt“, das sei ein „beschämendes Politiktheater“. Die grundlegenden Probleme seien ungelöst, sagte Scharfenberg und fügte hinzu: „Wir stehen vor riesigen Herausforderungen.“
SPD: Pflegeberufe aufwerten
Dr. Edgar Franke (SPD) sagte, es gehe auch um die Frage, ob die nötigen Vorbereitungen getroffen seien für die Versorgung einer älter werdenden Gesellschaft mit einer solidarischen Kostenverteilung. Derzeit werde der medizinische Fortschritt von den Arbeitnehmern bezahlt. Deshalb müsse die paritätische Finanzierung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern wieder hergestellt werden. Sinnvoll wäre auch eine einheitliche Honorarordnung der Ärzte. Wichtig sei überdies eine Aufwertung der Pflegeberufe. Franke forderte „Zukunftsentwürfe“ für die Gesundheitspolitik.
Rudolf Henke (CDU/CSU) nahm den Begriff auf und sprach von nötigen Vernetzungen im Gesundheitssystem etwa mit Hilfe neuer Techniken. So sei etwa E-Health ein Teil des Zukunftsentwurfs. Die Bürgerversicherung erinnere hingegen eher an einen Schildbürgerstreich.
Regierung: Altenpflege hat sich zu Jobmotor entwickelt
Laut der Unterrichtung der Bundesregierung hat sich die Altenpflege zu einem Jobmotor entwickelt. Die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich sei zwischen 2001 und 2013 von rund 665.000 auf rund eine Million gestiegen. Die Zahl der Beschäftigten bei ambulanten Pflegediensten stieg den Angaben zufolge zwischen 2009 und 2013 um rund 19 Prozent, von 269.000 auf 320.000. Im selben Zeitraum habe sich die Zahl der Leistungsempfänger um 13 Prozent auf rund 1,74 Millionen im Jahr 2013 erhöht.
In den Pflegeheimen stieg die Zahl der Beschäftigten nach Regierungsangaben seit 2009 um rund zehn Prozent auf rund 685.000 im Jahr 2013. In der Zeit habe die Zahl der stationären Leistungsbezieher um rund sechs Prozent zugelegt auf rund 740.000 im Jahre 2013. Sowohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich der Pflege sind die weitaus meisten Beschäftigten Frauen (87 beziehungsweise 85 Prozent).
Linke fordert einen Systemwechsel
Mit einem Systemwechsel kann nach Ansicht der Fraktion Die Linke die Gesundheitsversorgung billiger und besser gestaltet werden. In einem Antrag fordern die Abgeordneten die Einführung einer solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung und die Abschaffung der privaten Krankenvollversicherung.
Mit der sogenannten Bürgerversicherung ließen sich einer Studie zufolge die Beitragssätze in der Krankenversicherung um etwa 3,8 Prozentpunkte auf unter zwölf Prozent senken. Der Zusatzbeitrag würde entfallen. Die Beiträge würden am tatsächlichen Einkommen orientiert.
Versorgungslücken schließen
Mit den auf die Weise neu gewonnenen Spielräumen ließen sich Versorgungslücken schließen und Beschäftigte im Gesundheitswesen besser bezahlen. So könnten auch Kosten für Brillen oder Zahnersatz vollständig übernommen werden. In der Pflegeversicherung ließen sich zwölf Milliarden Euro mehr einnehmen, die für verbesserte Leistungen und eine Aufwertung der Pflege verwendet werden könnten. Konkret schlägt die Linksfraktion vor, die Beitragsbemessungsgrenzen abzuschaffen und damit hohe Einkommen stärker an den Kosten des Gesundheitssystems zu beteiligen. Ferner sollten alle Einkommen und Einkommensarten, auch aus Kapitalvermögen oder Vermietung, in die Finanzierung einbezogen werden.
Die Krankenversicherungsbeiträge müssten zudem wieder paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezahlt werden. Für Beamte könne die Beihilfe durch eine paritätische Beteiligung des Dienstherrn ersetzt werden. Alles medizinisch Notwendige müsse zuzahlungsfrei bleiben. Die Leistungen in der Pflege sollten ausgeweitet werden. Ferner sollten alle in Deutschland lebenden Menschen von Geburt an einen eigenständigen Kranken- und Pflegeversicherungsanspruch bekommen. (pk/hau/31.03.2017)