Expertenbericht zum Antisemitismus in Deutschland erörtert
Der Bundestag hat am Mittwoch, 21. Juni 2017, den Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus (18/11970) und einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, Antisemitismus entschlossen zu bekämpfen (18/12784), zur weiteren Beratung an den federführenden Innenausschuss überwiesen. Die Debatte um den Bericht des Unabhängigen Expertenkreises sei „eine von vielen, aber nicht irgendeine“, sagte Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert zu Beginn der Aussprache - und so zeigten sich auch alle Fraktionen einig in der Überzeugung, dass die Handlungsempfehlungen der Experten über die zu Ende gehende Legislatur hinaus bedeutsam seien.
Regierung: Kampf gegen Antisemitismus gehört zur Staatsräson
Dr. Günter Krings (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, sagte in seiner Rede, der Kampf gegen den Antisemitismus sei eine „Selbstverständlichkeit“ und gehöre zur „Staatsräson der Bundesrepublik“. Weil es der Antisemitismus zu den Merkmalen des Rechtsextremismus gehöre, sondern sich in allen Gesellschaftsschichten finde, brauche es mehr Präventions- und Interventionsmaßnahmen. Hier sei die politische Bildung gefragt, denn sie müsse helfen, dem „unreflektierten Übernehmen“ von Vorurteilen entgegenzuwirken.
Die von den Sachverständigen geforderte konsequente Erfassung und Ahndung von antisemitischen Straftaten seine „Verpflichtung des Rechtsstaats aus eigenem Anspruch“.
Linke will Beauftragten des Bundestages
Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen forderten überstimmend einen Antisemitismusbeauftragten, den auch die Experten wollten. So sagte Dr. Petra Pau (Die Linke), es brauche einen „Beauftragten des Bundestages für Demokratie und Bürgerrechte“.
Nötig sei zudem eine verlässliche finanzielle Förderung für die Erforschung des Antisemitismus, die nicht nur jahresweise genehmigt werden dürfe. Verbale und tätliche Angriffe gehörten für viele jüdische Bürger in Deutschland zu ihrem Leben. Dies sei nicht hinnehmbar.
Grüne: Probleme „unverzüglich“ anpacken
Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, er sei eigentlich immer gegen einen weiteren Beauftragten gewesen, halte ein solches Amt aber inzwischen für nötig. Es brauche „jemanden, der sich zuständig fühlt“. Es gebe innerhalb der deutschen Bevölkerung eine hohe Zustimmung zu antisemitischen Vorurteilen, auch wenn der klassische Antisemitismus stagniere. Zu oft sei vermeintliche Israelkritik aber der Deckmantel für Judenfeindschaft: „Der Antizionismus ist Antisemitismus 2.0.“ Unter den Flüchtlingen gebe es ein hohes Maß an Antisemitismus; hier brauche es Forschung und politische Bildung, um eine klare Haltung einnehmen zu können.
Beck sagte, die Forderungen der Kommission sollten „unverzüglich“ angepackt werden. Seine Fraktion legte einen entsprechenden Antrag (18/12784) vor, der nach dem Willen der Grünen sofort abgestimmt werden sollte, mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen aber zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen wurde. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die „zentralen Forderungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“ bis zum Jahresende umzusetzen beziehungsweise mit der Umsetzung zu beginnen.
Dazu zählen der Vorlage zufolge unter anderem die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten, die „konsequente Erfassung, Veröffentlichung und Ahndung antisemitischer Straftaten“ sowie eine dauerhafte Förderung von Trägern der Antisemitismusprävention. Der Bundestag solle sich laut Antrag verpflichten, „jeder Form des Judenhasses und des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen entgegenzutreten“.
SPD: Dauerhafte Forschungsförderung
Auch die SPD will mehr Kontinuität in der Antisemitismusforschung: Diese sei eine „Daueraufgabe“, der die aktuellen Förderstrukturen nicht Rechnung trügen, sagt Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD). Es müsse „endlich“ eine dauerhafte Förderung geben. Denkbar sei dafür ein Demokratie-Förderungsgesetz. Auch wenn „die breite Mehrheit“ der Deutschen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus ablehne und Deutschland wieder von einem Erblühen jüdischen Lebens profitiere, sei „im Land der Täter“ der Antisemitismus noch weit verbreitet.
Beispiel dafür sei die AfD und die „unerträglichen“ Bemerkungen „der Höckes, Gideons und Weidels“ zu einer Wende in der Erinnerungskultur oder einer vermeintlich überholten politischen Korrektheit.
Union: Sorgen jüdischer Bürger ernst nehmen
Für die Union betonte Stephan Mayer (CDU/CSU), der Bericht enthalte „Licht und Schatten“. Der klassische Antisemitismus sei von neun Prozent im Jahr 2002 auf aktuell sechs Prozent gesunken, auch im Bereich des sekundären Antisemitismus sehe man eine „rückläufige Tendenz“.
Dennoch fürchteten mehr als 50 Prozent der befragten jüdischen Bürger, sie könnten in den nächsten Monaten Opfer von Beleidigungen werden, 27 Prozent hätten Angst vor Angriffen. Diese Sorgen müssten ernst genommen werden.
Perspektive der Betroffenen im Vordergrund
In dem Bericht rückt der Expertenkreis die Perspektive der Betroffenen in den Vordergrund und verweist auf erste Erkenntnisse zu einem möglichen Antisemitismus bei Geflüchteten. Eingehend betrachtet worden sei auch die Entwicklungen im Internet und in den sozialen Medien, die zum zentralen Verbreitungsinstrument von Hassbotschaften und antisemitischer Hetze geworden sind, heißt es in der Vorlage.
Besonders in den Blick genommen worden sei das Thema Prävention, wobei neben Projekten, die sich an Jugendliche richten, vor allem das bisher weitgehend vernachlässigte Thema Erwachsenenbildung stärker im Fokus stehe. Ein verstärktes Augenmerk sei dabei auf die theoretische Auseinandersetzung mit nachhaltigen pädagogischen Ansätzen einer Präventionspädagogik gelegt worden.
Interviews mit Imamen
Ein wichtiges Feld, das schon im ersten Antisemitismusbericht thematisiert worden ist, wurde im vorliegenden Bericht nach Aussage der Autoren erneut aufgegriffen. Eine in Auftrag gegebene Studie sollte mithilfe von qualitativen Interviews mit Imamen zum Thema Antisemitismus in muslimischen Gemeinden Einblick geben in einen Bereich, der seit Jahren im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit steht.
Nicht selten werde der Anschein erweckt, als seien „die Muslime“ die Hauptträger des Antisemitismus in diesem Land, heißt es in dem Bericht. Seit der Zuwanderung von Flüchtlingen seien solche Zuschreibungen noch einmal verstärkt wahrzunehmen.
Erste Annäherung an das Thema
Das habe dazu geführt, dass der Rechtsextremismus als zentrales Milieu antisemitischer Inhalte in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Antisemitismus in Deutschland in den Hintergrund getreten ist. Insbesondere muslimische Verbände und Moscheegemeinden würden undifferenziert als Hort antisemitischer Agitation gesehen und Imame als „Hassprediger“ charakterisiert.
Untersuchungen zu antisemitischen Einstellungen in muslimisch geprägten religiösen Milieus, die diese Vermutungen untermauern könnten, gebe es bisher jedoch kaum, deshalb bedeute die Studie zu Imamen eine erste Annäherung an das Thema.
Antrag der Grünen
Die Grünen fordern in ihrem Antrag unter anderem, einen Antisemitismusbeauftragten zu berufen und antisemitische Straftaten konsequent zu erfassen, zu veröffentlichen und zu ahnden. Träger von Antisemitismusprävention sollten dauerhaft, die Antisemitismusforschung langfristig gefördert werden. Auch solle eine ständige Bund-Länder-Kommission eingerichtet werden.
Darüber hinaus will die Fraktion, dass sich der Bundestag verpflichtet, jede Form des Judenhasses und des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen entgegenzutreten. „Wir sind dankbar für das vielfältige jüdische Leben und die erneute Verwurzelung jüdischer Kultur in Deutschland. Ein starkes und vielfältiges Judentum bereichert das Zusammenleben und festigt den Zusammenhalt in Deutschland und Europa“, heißt es in dem Antrag. (suk/hau/21.06.2017)