Kritik an Bundeskanzlerin Merkel vor dem EU-Gipfel
Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke haben am Donnerstag, 22. Juni 2017, vor Beginn des zweitägigen EU-Gipfels in Brüssel kritisiert, dass Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) vor dem Bundestag keine Regierungserklärung abgegeben hat. In einer auf Verlangen der Grünen anberaumten Aktuellen Stunde zur „Europapolitik der Bundesregierung zwischen Griechenlandkrise, Brexit und Europäischem Rat“, warfen sie ihr vor, das Parlament nicht angemessen zu beteiligen.
Grüne: Kanzlerin wird den Herausforderungen nicht gerecht
„Haben Sie keine Positionen? Wollen Sie nichts sagen?“, fragte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Dr. Anton Hofreiter. Mit ihrem Verhalten werde die Kanzlerin den Herausforderungen, vor denen die Europäische Union stehe, „nicht in Ansätzen gerecht“ konstatierte er.
Hofreiter hielt der Bundesregierung vor, das Lebenswerk des kürzlich verstorbenen Altkanzlers Dr. Helmut Kohl (CDU) zu „demontieren“, indem sie gegenüber kleineren Mitgliedstaaten ignorant auftrete und auf „große Vision und konkrete Ideen“ wie von Frankreichs neuem Präsidenten Emmanuel Macron nur zögerlich reagiere. „Macron wirbt für eine Allianz des Vertrauens wie einst Kohl und Mitterand“, sagte der Grünen-Politiker. Er appellierte an die Bundesregierung, sich an ihr europäisches Erbe zu erinnern und dafür zu sorgen, dass die EU zusammenhält.
Linke kritisiert riesigen Außenhandelsüberschuss
Alexander Ulrich (Die Linke) warf der Regierung „Verweigerung“ vor. Vor zwei Tagen habe die Kanzlerin beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) über Europa gesprochen, aber dem Bundestag teile sie ihre Positionen nicht mit. Dabei müsse sie „endlich Tatsachen auf den Tisch legen“.
Deutschland mit seinem „riesigen Außenhandelsüberschuss“ bezeichnete Ulrich, aber auch der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler, als „Teil des europäischen Problems“. Die EU brauche mehr Investitionen und auf keinen Fall eine „französische Agenda 2010“, wie die von Präsident Macron geplante Arbeitsmarktreform, betonte Ulrich.
SPD: Mehr Engagement gegen Jugendarbeitslosigkeit
Auch Angelika Glöckner (SPD) bedauerte, dass Merkel den Bundestag nicht über ihre Positionen berichtet habe. „Es wäre ein Beitrag gewesen, der bemängelten Intransparenz der europäischen Politik entgegenzuwirken“.
Darüber hinaus forderte sie eine sozialere Europapolitik und mehr Engagement bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Dass Länder mit desolaten Haushalten oft drastische Einsparungen vornähmen, wie jetzt in Frankreich geplant, bezeichnete Glöckner als falsch. Dadurch würde der Konsum begrenzt und die Konjunktur behindert.
CDU/CSU: Wir beziehen klar proeuropäische Positionen
Thorsten Frei (CDU/CSU) nahm die Kanzlerin in Schutz. Europäische Themen würden jede Woche im Parlament und den Ausschüssen diskutiert. Außerdem beziehe die Union, anders von der Linksfraktion dargestellt, „klar proeuropäische Positionen“. So habe die Bundesregierung durch ihre Arbeit ermöglicht, dass die Brexit-Gespräche gut angelaufen seien und 27 Mitgliedstaaten geschlossen mit Großbritannien verhandelten.
Frei sieht die EU insgesamt in einem „positiven Momentum“. Sie habe sich aus Krisen heraus entwickelt und sei aus ihnen immer besser herausgekommen als hineingegangen. Jetzt gehe es darum, gemeinsame Herausforderungen wie Flucht und Migration zu bewältigen. (joh/22.06.2017)