Der Bundestag hat am Freitag, 30. Juni 2017, den Entwurf der Bundesregierung für ein „Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz“ (18/12329, 18/12378) in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (18/13014) angenommen. Union und SPD stimmten für, Die Linke gegen das Gesetz. Die Grünen enthielten sich. Mit ihm werden die Regelungen für die erlaubte Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in Bildung und Wissenschaft sowie Bibliotheken, Museen und Archiven systematisiert und an die Bedingungen des digitalen Zeitalters angepasst.
Fraktionen urteilen unterschiedlich
Während der Debatte zeigten sich sowohl Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) als auch Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU) zufrieden, nach mehr als zehnjähriger Diskussion eine Lösung für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Unterricht und in der Forschung gefunden zu haben. Die Oppositionsfraktionen kritisierten, dass es noch immer keine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke gebe und dass die im Gesetz gefundene Regelung lediglich bis 2023 befristet sei.
Bei den Koalitionsfraktionen fiel die Beurteilung unterschiedlich aus. Lob gab es von Seiten der SPD-Fraktion. Rechtspolitiker der Unionsfraktion kritisierten, mit dem Gesetz würden die Rechte von Urhebern und Rechteinhaber zu stark beschnitten. Bildungspolitiker der Fraktion sprachen hingegen von einem fairen Ausgleich.
Minister: Schaffung eines gesetzlichen Basiszugangs
Justizminister Maas sagte, mit dem Gesetz werde ein gesetzlicher Basiszugang geschaffen, damit an Schulen, Universitäten, Bibliotheken und Archiven „nicht mehr mit viel Aufwand und Bürokratie um die Erlaubnis gefragt werden muss, wenn geschützte Werke genutzt werden sollen“. Gleichzeitig müsse aber die Nutzung angemessen vergütet werden.
Die Regelung schaffe mehr Rechtssicherheit, befand Maas. Es sei nun klar geregelt, was erlaubt ist und was nicht. Er sei sich sicher, dass die deutschen Wissenschaftsverlage mit dem Basiszugang „auch in der digitalen Zukunft bestehen können“. Der Justizminister stellte klar, dass die Reform befristet sei. „Bis spätestens 2023 werden wir prüfen, ob sich der Systemwandel bewährt hat“, sagte er.
Ministerin: Es geht nicht um Bildung zum Nulltarif
Mit dem Gesetz sei eine Balance der widerstrebenden Interessen zwischen Wissenschaftseinrichtungen und Verlagen gefunden worden, sagte Bildungsministerin Wanka. Insbesondere Forschungseinrichtungen und Hochschulen hätten auf die Novelle gewartet, um Rechtssicherheit zu erhalten.
Die bisherige Regelung, so Wanka, sei nicht praxistauglich gewesen. Klar sei aber auch, dass die Bedenken der Verlage ernst genommen würden. „Es geht nicht um Bildung zum Nulltarif“, sagte die Ministerin. Die Nutzung müsse angemessen vergütet werden.
Linke kritisiert Lobbyarbeit der Verlage
Aus Sicht von Dr. Petra Sitte (Die Linke) geht mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfes eine lange Zitterpartie zu Ende. „Aber nur unter Vorbehalt“, sagte sie mit Blick auf die im Gesetz geregelte Befristung. Zwar enthalte das Gesetz keine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke, doch sei damit eine Verbesserung des bisherigen Status Quo erreicht.
Sitte bedauerte, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf durch die „Lobbyarbeit der Verlage“ verschlechtert worden sei. Dass Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften nun gar nicht mehr unter die Schranke fallen, sei ein „deutlicher Rückschritt“. Die vorgesehene Befristung aller Schranken für Bildung und Wissenschaft stelle gar eine tickende Zeitbombe dar, sagte die Linken-Abgeordnete.
Grüne: Befristung produziert Rechtsunsicherheit
Ähnlich sah das Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen). Hätte seine Fraktion dem ursprünglichen Entwurf noch zustimmen können, sei dies nach der Intervention des Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder nicht mehr möglich, so Gehring. Kauder habe wohl Börsenverein und Verlage bedienen wollen, die vor massenhafter Enteignung gewarnt hätten, mutmaßte der Grünen-Abgeordnete.
Die von Rechtspolitikern der Union initiierte Beschränkung des Gesetzes auf Fachpublikation erschwert seiner Auffassung nach den Zugang von Schülern und Lehrerschaft zu Zeitungsartikeln für Unterricht und Hausaufgaben. Die Gültigkeit des Gesetzes auf fünf Jahre zu begrenzen, nannte Gehring einen Kardinalfehler. „Diese Befristung produziert Rechtsunsicherheit und wird von uns klar abgelehnt“, sagte er.
SPD: Ziel aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt
Von einem ausgewogenen Gesetz sprach hingegen Christian Flisek (SPD). Damit werde ein weiteres Ziel aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Es gebe nun Rechtssicherheit für Schulen und Universitäten. Die pauschale Vergütung eines erlaubnisfreien Basiszugangs sorge für eine angemessene Vergütung für die Rechteinhaber. Eine wichtige Frage in der Diskussion um das Gesetz sei gewesen, ob „angemessenen Lizenzangebote die Schranken aushebeln können“.
Die SPD habe von Anfang an klargemacht, „dass das mit uns nicht zu machen ist“. Schon ein Lizenzangebot, so Flisek, hätte dann dazu geführt, dass ein Verlag die gesetzlichen Schranken hätte aushebeln können. Wenn man aber einen fairen Ausgleich schaffen will, könne man nicht eine gesetzliche Regelung „zur Disposition nur einer Seite“ stellen.
CDU/CSU: Interessenausgleich nicht erreicht
Der Rechtspolitiker der Unionsfraktion, Dr. Stefan Heck (CDU/CSU), sieht mit dem Gesetz den Ausgleich der Interessen zwischen Urhebern und Rechteinhaber auf der einen Seite und Bildung und Wissenschaft auf der anderen Seite nicht erreicht. Ein solcher Ausgleich erfolge in der analogen Welt dadurch, „dass die eine Seite für die Leistungen der anderen Seite Geld bezahlt“. Es sei schade, dass dieser Weg ein Stück weit verlassen wurde, sagte Heck. Die Befristung der Regelung, so stellte er fest, sei eine Bedingung für die Zustimmung zu dem Gesetz gewesen. Wenn das nächste Mal im Bundestag über dieses Feld beraten wird, so seine Hoffnung, werde es Mehrheiten geben, die das geistige Eigentum höher einschätzen als das heute der Fall sei.
Anders als Heck bewertete der Bildungspolitiker Michael Kretschmer (CDU/CSU) das Gesetz positiv. Er sprach von einem fairen Ausgleich. Eine Pauschalvergütung sei der richtige Weg, befand er. Einzelvergütungen seien zu komplex und bürokratisch.
Bildungs- und Wissenschaftsschranke
Es wurde festgelegt, inwieweit urheberrechtlich geschützte Werke im Unterricht und in der Forschung frei genutzt werden dürfen und insoweit die Urheberrechte außer Kraft sind – die sogenannte Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Außerdem wird sichergestellt, dass die Rechteinhaber eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke erhalten. So dürfen an Bildungseinrichtungen „bis zu 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger Weise öffentlich wiedergegeben werden“. Anders als noch im Entwurf der Bundesregierung geplant fallen Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften nicht unter die Schranke.
Auch die zulässige Herstellung und Verbreitung von Vervielfältigungen durch Bibliotheken und Archive wird in dem Gesetzentwurf geregelt. Neu im Urheberrecht ist eine Regelung für das Text- und Data-Mining, bei dem „eine Vielzahl von Texten, Daten, Bildern und sonstigen Materialien ausgewertet werden, um so neue Erkenntnisse zu gewinnen“.
Angemessene Vergütung für Urheber
Das Gesetz regelt weiterhin, dass ein Urheber „zum Ausgleich für Nutzungen im Bereich der gesetzlichen Schranken grundsätzlich eine angemessene Vergütung“ erhält. Diese Vergütung erfolgt ausschließlich pauschal über die Verwertungsgesellschaften. Gleichzeitig wird festgelegt, dass Verträge zur Umgehung der Bildungs- und Wissenschaftsschranke unzulässig und damit unwirksam sind.
Die Neuregelung soll erklärtermaßen einen Interessenausgleich leisten zwischen dem Interesse von Wissenschaft und Lehre an ungehindertem Zugang zu Literatur und dem Eigentumsrecht der Urheber und der Fachverlage, ohne deren Zutun es diese Literatur vielfach gar nicht gäbe.
Entschließung verabschiedet
Gegen das Votum der Opposition verabschiedete der Bundestag eine Entschließung, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, sich weiterhin auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass Autoren bereits im Verlagsvertrag zugunsten ihrer Verleger über gesetzliche Vergütungsansprüche verfügen können und nicht erst nach Veröffentlichung oder mit Anmeldung des Werks.
Ebenso solle die Regierung einen Stakeholder-Dialog zwischen Rechteinhabern und Nutzern anregen und begleiten mit dem Ziel, möglichst rasch innerhalb von fünf Jahren ab Inkrafttreten des Gesetzes eine zentrale Online-Lizenzierungsplattform aufzubauen, die sowohl den Interessen der Autoren und Verleger als auch der Nutzer gerecht wird. Schließlich soll die Regierung prüfen, ob der Bund übergangsweise Maßnahmen ergreifen kann, um etwaige künftige Einnahmeausfälle der Verlage zu überbrücken. Diese könnten daraus resultieren, dass die Verlage an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaften, die aufgrund der gesetzlich erlaubten Nutzung nach den Paragrafen 60a bis 60h des Urheberrechtsgesetz erfolgt, nicht hinreichend beteiligt werden.
Entschließungsantrag der Linken abgelehnt
Bei Enthaltung der Grünen lehnte der Bundestag einen Entschließungsantrag der Linken (18/13022) ab, in dem die Bundesregierung unter anderem aufgefordert wird, eine weitere Novelle des Urheberrechts vorzulegen, die in Form einer General- oder Öffnungsklausel Nutzungen für die Zwecke von Bildung und Wissenschaft auch über die im Gesetz aufgeführten Tatbestände hinaus zumindest in ähnlich gelagerten Konstellationen erlaubt.
Museen solle erlaubt werden, ihre urheberrechtlich geschützten Bestände über das Internet öffentlich zugänglich zu machen, um dadurch einer breiten Öffentlichkeit besseren Zugang zu urheberrechtlich geschützten Kulturgütern zu ermöglichen.
Antrag der Linken zu E-Books
Abgestimmt wird auch über einen Antrag der Linken (18/5405), wonach Bibliotheken elektronische Bücher (E-Books) im gleichen Maße verleihen können sollten wie gedruckte Bücher. Die Fraktion forderte die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Urheberrechts vorzulegen, um „nichtkörperliche“ Werke mit „körperlichen“ Werken gleichzustellen. Zudem müsse der Bund gemeinsam mit den Bundesländern die Mittel zur Entschädigung von Verlagen und Autoren für die durch Bibliotheksausleihen entgangenen Einnahmen aufstocken.
Die Linksfraktion begründete ihren Antrag mit der wachsenden Bedeutung von elektronischen Büchern. Laut einer Umfrage des Branchenverbandes Bitkom vom September 2014 leihen 25 Prozent der Bürger E-Books in Bibliotheken aus. Um die öffentlichen Bibliotheken in die Lage zu versetzen, ein aktuelles E-Book-Sortiment anzubieten und dieses zu fairen Preis- und Lizenzkonditionen zu erwerben, brauche es die entsprechende Klarstellung im Urheberrecht. (hau/eis/30.06.2017)