Sachverständige plädieren für eine attraktivere berufliche Bildung
Angesichts des demografischen Wandels und der Tendenz, dass immer mehr junge Menschen einen möglichst hohen Bildungsabschluss anstreben, soll die berufliche Bildung künftig attraktiver gestaltet werden. Dies ist ein Fazit aus dem Fachgespräch über die Situation der beruflichen Bildung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch, 31. Mai 2017,unter Leitung von Patricia Lips (CDU/CSU). Anlass des Gesprächs waren der Berufsbildungsbericht 2017 der Bundesregierung (18/11969) und zwei Anträge der Koalitionsfraktionen (18/4928 und 18/1451. Ebenfalls wurden zwei Anträge von Bündnis 90/Die Grünen (18/12361) und der Fraktion Die Linke (18/10281) zur Reform der beruflichen Bildung.
Enge Koppelung von Arbeitsmarkt und Bildungssystem
Es sei eine besondere Stärke des deutschen Systems der beruflichen Bildung, dass Arbeitsmarkt und Bildungssystem dabei „eng gekoppelt“ seien, sagte Matthias Anbuhl, Abteilungsleiter Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), in seiner Stellungnahme. Dennoch gebe es aktuell drei besonders dringende „Baustellen“: Zum einen gebe es aktuelle rund 1,2 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss - in jedem Jahrgang schafften rund 120.000 Schulabgänger den Übergang von Schule zu Ausbildung nicht. Zum zweiten müsse die berufliche Bildung stärker in den Blick genommen werden; nötig seien sowohl Investitionen in Gebäude als auch die Stärkung des Lehrernachwuchses.
Anbuhl forderte daher einen „Pakt für berufsbildende Schulen“. Zum dritten stelle die Digitalisierung eine „zentrale Herausforderung“ dar: Gerade in diesem Punkt müsse man stärker auf die Qualifizierung der betrieblichen Ausbilder schauen.
Rolle der Fachoberschulen und Fachgymnasien
Prof. Dr. Thomas Bals, Vizepräsident für Hochschulentwicklung und Strategie der Universität Osnabrück, betonte, berufliche Bildung sei mehr als nur das duale System, dies müsse in den Blick genommen werden. Auch Fachoberschulen und Fachgymnasien seien wichtige Bestandteile des Systems. Die beruflichen Schulen seien der Ort für die Berufsorientierung: So solle man darüber nachdenken, ob nicht auch Gymnasiasten der Klassen acht bis zehn ihre Laufbahn unterbrechen sollten, um dort eine Orientierung für ihre berufliche Zukunft zu bekommen.
Gleichzeitig müsse man realistisch bei der Einschätzung dessen sein, was berufsbildende Schulen leisten könnten: Die Vorbereitung im dualen System sei keine Vorbereitung auf einen Master-Studiengang.
Probleme bei der Besetzung von Ausbildungsstellen
Der Abteilungsleiter Berufliche Bildung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Dr. Volker Born, sagte, obwohl man sich über einen leichten Anstieg der Neuverträge im Handwerk freuen könne, gebe es bereits im „fünften Jahr in Folge“ Probleme bei der Besetzung von Ausbildungsstellen. So sei der Zahl der Hauptschüler von 60 auf aktuell 40 Prozent gesunken. Dies sei Ergebnis einer Verschiebung in der Schulpolitik, bei der man sich mehr an einem akademischen Studium als Ziel orientiere. Die Betriebe bräuchten daher Unterstützung bei der Besetzung der Lehrstellen.
Born lobte die Möglichkeit der assistierten Ausbildung: Angesichts der vielen förderbedürftigen Jugendlichen sei diese ein wichtiges Instrument, das allerdings 2018 auslaufe und verlängert werden solle. Zugleich sei es ein „Fehler der Bildungspolitik“, ihre Maßnahmen ausschließlich an die Erstausbildung zu adressieren. Die Fortbildung müsse als attraktive Aufstiegschance stärker bekannt gemacht werden.
Qualitätsstandards und Karrierechancen
Für Manuela Conte, Abteilungsleiterin Jugend und Jugendpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), ist es wichtig, die Attraktivität der beruflichen Ausbildung weiter zu stärken, Sie müsse sich durch Chancengleichheit und den Zugang für alle auszeichnen und dürfe nicht an finanziellen Hürden scheitern. Conte forderte, Qualitätsstandards für die Ausbildung festzuschreiben und dem dualen Studium Rechtssicherheit einzuräumen. Dies sei aktuell „extrem intransparent“.
Die Abteilungsleiterin Bildung/Berufliche Bildung bei Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA), Dr. Barbara Dorn, betonte, aus Sicht der Arbeitgeber sei es um die berufliche Bildung in Deutschland „recht gut“ bestellt. Probleme gebe es aktuell beim „Matching“, also dem Zusammenfinden von Angebot und Nachfrage. Gleichzeitig strebten immer mehr Jugendliche nach höheren Schulabschlüssen - davon könne man ihnen auch nicht abraten. Wichtig sei aber deutlich zu machen, dass auch berufliche Bildung höhere Abschlüsse Einkommens- und Karrierechancen bereithalte, die mit denen der akademischen Bildung vergleichbar seien.
Image der beruflichen Bildung in Deutschland
Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Bonn, sagte, obwohl es um die berufliche Bildung in Deutschland gut stehe, sei ihr Image in der Öffentlichkeit häufig anders - damit müsse man sich auseinandersetzen. Es sei „logisch“, dass viele Schulabgänger höhere Abschlüsse anstrebten. Diese Entwicklung aber zeige sich „unheilvoll“ besonders bei den kleinen und Kleinstbetrieben. Insbesondere Ausbildungsgänge, die mit harter körperlicher Arbeit einhergingen, würden immer weniger nachgefragt - hier könne immer weniger ausgebildet werden. Um dem entgegen zu wirken, gebe es regional schon gute und innovative Ansätze, die verstärkt werden sollten.
Dass es im Sinn der Integration wichtig sei, den vielen jungen Geflüchteten in Deutschland eine berufliche Perspektive zu verschaffen und ihnen den Zugang in das Bildungssystem zu gewähren, betonte Claudia Karstens, Referentin für Migrationssozialarbeit und Jugendsozialarbeit beim Paritätischen Gesamtverband. Die Gleichung „Schutzquote gleich Bleibeperspektive“ sei „ein Trugschluss“. Wer nur Geflüchteten mit guter Bleibeperspektive fördern wolle, wiederhole alte Fehler und schaffe neue Exklusionen.
Aufgaben für die Zukunft
Für die Unionsfraktion war nach Anhörung der Sachverständigen klar, dass in Sachen Berufsbildung in dieser Legislatur „einiges richtig“ gelaufen sei. Die Berufsbildung sei offen in der Breite, „in der Spitze“ bleibe noch einiges zu tun. Problematisch sei, dass Ausbildung mittelfristig wegfalle, wenn kleine und kleinste Betriebe ihre Ausbildungsstellen nicht besetzen könnten. Hier müsse man alle Verbündeten zusammenbringen.
Abgeordnete der SPD betonten, es sei ein Fehler, von einem vermeintlichen „Akademisierungswahn“ zu sprechen - Jugendliche träfen in der Regel als „stichhaltige Entscheidungen“ über ihren Beruf. Man müsse fragen, ob die großen Unternehmen ihren Anforderungen, ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, gerecht würden. Gleichzeitig sehe man mit Sorge, dass Methodik und Didaktik bei der Ausbildung der Berufsschullehrer nicht mehr so gut seien, wie sie einmal waren.
Warnung vor Übergangssystem und Klein-Klein-Debatten
Die Linke benannte es als Problem, dass so viele Jugendliche, die einmal im Übergangssystem gelandet seien, von dort nicht in Ausbildung kämen. Besorgniserregend sei auch, dass nur noch 52 Prozent der ausbildungsberechtigten Betriebe auch ausbilden würden.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geht es aktuell vor allem um eine Integration der Geflüchteten. Verstricke man sich dabei nicht in „Klein-Klein-Debatten“ könne, dies zu einer Situation führen, von der alle Beteiligten profitierten.
Geringste Jugendarbeitslosigkeit in der EU
Die Qualität der deutschen Berufsbildung, ihre Orientierung an einem ganzheitlichen Berufskonzept, die vergleichsweise guten Übergänge von Ausbildung in Beschäftigung sind aus Sicht der Regierung ausschlaggebend für den Erfolg des deutschen Systems. Deutschland habe im EU-Vergleich die geringste Jugendarbeitslosigkeit. Auch daher rühre das hohe internationale Ansehen. Mit rund 330 anerkannten Ausbildungsberufen, die es in Deutschland gebe, hätten die Jugendlichen gute Voraussetzungen, um einen Beruf zu finden, der ihren eigenen Interessen am besten entspreche.
Auch die späteren Übernahmechancen nach abgeschlossener Ausbildung seien gut, betont die Regierung. Der Grund dafür liege in der Nähe des dualen Berufsausbildungssystems zum Arbeitsmarkt. Den Unternehmen sichere das berufliche Bildungssystem den Fachkräftenachwuchs und sei damit eine zentrale Säule des Erfolgs der deutschen Volkswirtschaft.
Für die jungen Menschen, die sich um einen Ausbildungsplatz beworben haben, hätten sich die Chancen auf einen attraktiven Ausbildungsplatz erneut verbessert, heißt es in dem Bericht. Rechnerisch stünden 100 ausbildungsplatzsuchenden Schulabgängern 104,2 Ausbildungsangebote gegenüber - so viele wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr.
Immer weniger Betriebe bilden aus
Erneut gesunken sei die Ausbildungsbetriebsquote, sie habe 2015 bei 20,0 Prozent (2014: 20,3 Prozent) gelegen. Der Bestandsverlust an Ausbildungsbetrieben sei ausschließlich auf die Nichtbeteiligung von Kleinstbetrieben (weniger als zehn Beschäftigte) in neuen Branchen ohne Ausbildungstradition zurückzuführen.
Ferner sei das Interesse junger Frauen an dualen Ausbildungsberufen ebenfalls weiter gesunken, diesmal um 3.500 (minus 1,7 Prozent) auf 204.100. Die Zahl der Ausbildungsverträge mit jungen Männern sei dagegen um 1.700 (plus 0,5 Prozent) auf 316.200 gestiegen. Junge Frauen seien jedoch weiterhin deutlich stärker in vollzeitschulischen Berufsausbildungen, insbesondere in den Berufen des Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialwesens vertreten. Zuletzt hätten auch mehr junge Frauen ein Studium aufgenommen, unterstreicht die Regierung.
Antrag der Grünen
Die gesunkene Ausbildungsbetriebsquote beklagen auch die Grünen in ihrem Antrag. Die duale Ausbildung eröffne jungen Menschen gute Zukunftsperspektiven und sichere den Betrieben ihren zukünftigen Fachkräftebedarf. Die Bundesregierung habe sich zwar immer wieder für eine Stärkung der beruflichen Bildung ausgesprochen, dieses Bekenntnis aber selten in politisches Handeln umgesetzt.
Mit 45,3 Prozent schaffe nicht einmal mehr die Hälfte der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss den direkten Sprung in die Ausbildung. In der Folge hätten derzeit fast zwei Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren keinen Berufsabschluss. Wachsende regionale Unterschiede auf dem Ausbildungsmarkt führten dazu, dass junge Menschen in manchen Regionen kaum noch eine Chance auf eine Lehrstelle hätten, während Betriebe in anderen Teilen der Republik händeringend nach Auszubildenden suchten.
Die Abgeordneten fordern, eine „echte“ Ausbildungsgarantie zu schaffen, die allen jungen Menschen direkt nach der Schule den Schritt in eine Ausbildung mit qualifiziertem Berufsabschluss ermöglicht. Die berufliche Integration junger Menschen solle verbessert werden, indem Arbeitsagenturen, Jobcenter und Jugendhilfe in ganz Deutschland nach dem Prinzip von Jugendberufsagenturen gleichberechtigt und fallbezogen im Sinne der Jugendlichen zusammenarbeiten.
Antrag der Linken
Für eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes setzt sich die Fraktion Die Linke ein. Sie fordert eine solidarische Umlagefinanzierung, die alle Betriebe für die Ausbildung junger Menschen in die Pflicht nimmt. Außerdem möchte sie einen Rechtsanspruch auf Ausbildung im Grundgesetz verankern. Zudem solle der Bund - gemeinsam mit den Ländern - Maßnahmen ergreifen, die die Berufsschulbildung verbessern.
Dazu müssten zum Beispiel zusätzlich Mittel für die personelle und sächliche Ausstattung der Berufsschulen und Hochschulen bereitgestellt und einheitliche und verbindliche Standards zur Dauer und zum Umfang der Berufsschulpflicht erarbeitet werden, schreibt die Linksfraktion. Sie sieht Handlungsbedarf, weil die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zurückgegangen und die Ausbildungsbetriebsquote weiter gesunken sei. (suk/31.05.2017)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Matthias Anbuhl, Abteilungsleiter Bildungspolitik und Bildungsarbeit, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Bundesvorstand, Berlin
- Prof. Dr. Thomas Bals, Vizepräsident für Hochschulentwicklung und Strategie, Universität Osnabrück
- Dr. Volker Born, Abteilungsleiter Berufliche Bildung, Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Berlin
- Manuela Conte, DGB-Bundesjugendsekretärin, Abteilung Jugend und Jugendpolitik, Deutscher Gewerkschaftsbund, Bundesvorstand, Berlin
- Dr. Barbara Dorn, Abteilungsleiterin Bildung/Berufliche Bildung, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA), Berlin
- Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), Bonn
- Claudia Karstens, Referentin für Migrationssozialarbeit und Jugendsozialarbeit, Abteilung Migration und Internationale Kooperation, Der Paritätische Gesamtverband, Berlin