Die Fraktionen im Bundestag stellen der deutschen Menschenrechtspolitik eine gemischte Bilanz aus: In der Debatte zum Zwölften Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik (18/10800, 18/10924 Nr. 1.15) am Mittwoch, 31. Mai 2017, traten Opposition und auch ein Redner der SPD-Fraktion für eine Stärkung nationaler Menschenrechtsinstitutionen ein sowie für klare Regelungen zu Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen im Ausland. Die Unionsfraktion warb unter anderem dafür, die Situation der Religionsfreiheit stärker in den Blick zu nehmen. Weitgehend Konsens waren die Fraktionen in der Analyse, dass Menschenrechte weltweit zunehmend unter Druck geraten seien und die Spielräume für Zivilgesellschaften und Menschenrechtsaktivisten in einer Vielzahl von Ländern systematisch eingeschränkt würden.
Mit den Stimmen der Koalition gegen das Votum der Opposition verabschiedete der Bundestag auf Empfehlung des Menschenrechtsausschusses (18/12467) eine Entschließung, in der die Bundesregierung unter anderem aufgefordert wird, beim nächsten Menschenrechtsbericht die Anmerkungen des Deutschen Bundestages zu berücksichtigen, aktuelle menschenrechtliche Themen und Debatten aus dem Berichtszeitraum hervorzuheben und problemorientiert einzubeziehen, die Menschenrechtslage auch von befreundeten Staaten künftig in den Länderteil zu integrieren und erneut über ihr Engagement zu berichten, die Todesstrafe weltweit abzuschaffen und die Folter zu ächten.
SPD: Kein Rabatt bei den Menschenrechten
Frank Schwabe (SPD) forderte mit Blick auf Länder wie die Türkei aber auch Ungarn für „klare Ansagen“ an ausländische Regierungen, dass es solche Einschüchterungen der Zivilgesellschaft nicht geben dürfe. „Es darf keinen Rabatt geben bei den Menschenrechten.“ Ein strenger Maßstab müsse im Sinne der Glaubwürdigkeit dann aber auch beim Blick nach innen gelten. Schwabe warb in diesem Zusammenhang unter anderem für eine bessere finanzielle Ausstattung des Deutschen Instituts für Menschenrechte und des Bundestagsprogramms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ sowie eine stärkere Stellung des Amtes des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung.
Schwabe lenkte zudem den Blick auf soziale und wirtschaftliche Menschenrechte: „Es geht eben auch um das Recht auf Nahrung und eine saubere Umwelt.“ Auch deutsche Unternehmen trügen in anderen Ländern dazu bei, dass es Menschenrechtsverletzungen gebe. Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte bilde eine „akzeptable Grundlage“, um dies abzustellen. Es brauche vernünftige Regelungen, die die Unternehmen in die Pflicht nehmen würden: „Gerne freiwillig, falls nötig aber auch gesetzlich.“
Linke: Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland
Inge Höger (Die Linke) kritisierte, dass der menschenrechtspolitische Bericht an vielen Stellen an der Realität vorbei gehe. Das gelte insbesondere für die Lage der Menschenrechte in Deutschland – etwa bei der Praxis des „Racial Profiling“, also der Fahndung nach Personen anhand von Kriterien wie Hautfarbe und ethnischer Zugehörigkeit. Solch „tief verankerter Rassismus in staatlichen Institutionen“ finde im Bericht keine Erwähnung.
Beschönigt werde auch die Lage von Asylsuchenden und die Praxis der Abschiebungen. „Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland“, sagte Höger. Unerwähnt bleibe die Lage auf den Flüchtlingsrouten: „Das Sterben im Mittelmeer ist eine direkte Folge der Abschottungspolitik der EU.“ Höger sprach zudem von „gravierenden Menschenrechtsverletzungen“ infolge „neoliberaler“ Politik in Deutschland: 1,7 Millionen Kinder lebten in Armut, während auf der anderen Seite das Privatvermögen auf zehn Billionen Euro gestiegen sei.
CDU/CSU: Religionsfreiheit zunehmend in Gefahr
Michael Brand (CDU/CSU) machte sich für eine „umfassendere Befassung“ mit der Lage der Religionsfreiheit stark. Dieses Grundrecht sei zunehmend in Gefahr. Es sei ein Indikator, wie es um die Menschenrechtslage in einem Land insgesamt bestellt sei. Der erstmalig erstellte Bericht der Bundesregierung zur Religionsfreiheit solle deshalb „verstetigt und erweitert“ werden.
Brand forderte zudem eine „aktivere Rolle“ der Bundesregierung beim Eintreten für die Menschenrechte. Gerade mit Blick auf China sollte sie „ohne zu poltern die Finger in die Wunde legen“ und die Unterdrückung von Tibetern und Uiguren, die Lage in Arbeits- und Umerziehungslagern und den Handel von Organen von Strafgefangenen klar benennen. Dass dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages weiterhin die Einreise nach China verweigert werde, zeige, dass der Menschenrechtsdialog für Peking „sehr bequem“ geworden sei. Die deutsche Diplomatie müsse hier mehr „vorzeigbare Ergebnisse“ bringen, sagte Brand.
Grüne fordern Stärkung von Menschenrechtsinstitutionen
Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen) forderte, Menschenrechte „nicht mit zweierlei Maß zu messen“, sie stattdessen überall zu vertreten und sich gegen jede Diskriminierung zu wehren. Der Abgeordnete teilte dabei verbal gegen die anderen Fraktionen aus: So habe die CSU eine „Obergrenze für Asyl“ gefordert, die verfassungs- und menschenrechtswidrig wäre. Die CDU wiederum habe „zwölf Jahre lang zugelassen, dass eine AfD-Tante ihre Menschenrechtspolitik vertritt“, sagte Koenigs mit Blick auf Äußerungen der Anfang des Jahres aus Unionsfraktion und Partei ausgetretenen langjährigen Abgeordneten Erika Steinbach.
Die SPD habe nur ein „Mäuschen“ von Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte zustande gebracht und dabei ihren Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung verschlissen. Die Linke wiederum bleibe gegenüber „Gulags“ in Russland und gegenüber dem „fortgesetzten Terror der Hamas“ blind. Koenigs forderte die Stärkung von Menschenrechtsinstitutionen im Inneren und eine „menschenrechts-geleitete Außenpolitik, so weit der Arm des Staates reicht.“
Regierung: Zivilgesellschaft weltweit unter Druck
Wie es im Bericht heißt, lasse sich weltweit beobachten, wie Regierungen versuchten, die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen einzuschränken, heißt es in dem Bericht. Diese Entwicklung – oftmals bezeichnet als „shrinking space“ – sei mittlerweile zu einem globalen Trend geworden, der nicht nur in autoritären Regimes zu beobachten sei.
„Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Organisationen erfolgen in vielen Ländern nach einem ähnlichen Muster: Mit Vorschriften über die Registrierung, Arbeitsweise und Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen versuchen Staaten, deren Handlungsspielraum zum Teil erheblich einzuschränken“, schreibt die Bundesregierung. Kernanliegen bei Einschränkungen des Zugangs zu (insbesondere ausländischer) Finanzierung sei es, einheimischen Organisationen den Zugang zu den für ihre Arbeit nötigen Ressourcen zu erschweren oder die für sie vorgesehenen finanziellen Mittel staatlich zu kontrollieren.
Russische Gesetzgebung als Blaupause für andere Länder
Zugleich gebe es Vorschriften, die Nichtregierungsorganisationen mit ausländischen Finanzquellen zu Kennzeichnungen verpflichten, die mehr oder weniger offen stigmatisierend seien. „Prominentestes, aber bei weitem nicht einziges Beispiel dafür ist Russland, wo bereits seit 2012 ein Gesetz in Kraft ist, das Nichtregierungsorganisationen verpflichtet, sich öffentlich als ‚ausländische Agenten’ zu bezeichnen, sollten sie Gelder aus dem Ausland erhalten und ‚politischen’ Tätigkeiten nachgehen“, heißt es in dem Bericht weiter.
Die russische Gesetzgebung habe als Blaupause für ähnliche Gesetze in anderen Ländern, etwa in Turkmenistan oder Tadschikistan, gedient. Vergleichbare Entwicklungen seien auch in Äthiopien, China oder Saudi Arabien zu beobachten. Zuletzt habe die Knesset in Israel im Juli 2016 ein Gesetz verabschiedet, das überwiegend durch ausländische Regierungen finanzierte Nichtregierungsorganisationen verpflichte, auf diesen Umstand in allen Berichten, Publikationen und im Kontakt mit Regierungsbeamten hinzuweisen.
Lage in 79 ausgewählten Ländern
Der Bericht geht auch auf die Menschenrechte in Deutschland und im Rahmen der gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik der Europäischen Union ein sowie auf die Menschenrechte in der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik. Außerdem stellt er die Menschenrechtslage in 79 ausgewählten Ländern dar, darunter auch die katastrophale Situation im Bürgerkrieg in Syrien mit bisher weit mehr als 400.000 Toten und den UN-Schätzungen über 7,6 Millionen Binnenvertriebene und 4,6 Millionen syrischen Flüchtlingen im Ausland.
Als einer von 22 Schwerpunkten des „Aktionsplans Menschenrechte der Bundesregierung 2017-2018“ wird im Bericht die Stärkung internationaler menschenrechtlicher Instrumente, Gremien und Überwachungsorgane sowie nationale Menschenrechtsinstitutionen und die Bekämpfung von Straflosigkeit genannt. Die Bundesregierung trete zudem weiterhin weltweit für die Abschaffung der Todesstrafe und gegen Folter und das Verschwindenlassen von Personen ein. Weitere Prioritäten liegen laut Bericht unter anderem auf der Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren und der Achtung der Menschenrechte bei der Terrorismusbekämpfung.
Entschließungsantrag der Linken abgelehnt
Gegen das Votum der Opposition lehnte der Bundestag einen Entschließungsantrag der Linken (18/12553) ab, in dem die Bundesregierung unter anderem aufgefordert wurde, in ihrem nächsten Bericht nicht nur auf Gesetze, Verordnungen und Vorschriften einzugehen, sondern eine umfassende Analyse von Problemen im Bereich der Menschenrechte vorzunehmen sowie mögliche nachhaltige Lösungsansätze aufzuzeigen.
Die Ausführungen zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten hätten mit der sozialen Situation in Deutschland wenig gemein, so die Fraktion. Der Bericht gehe nicht auf die Menschenrechtsverletzungen ein, die „in Folge der neoliberalen Spar- und Kürzungspolitik“ entstünden.
Antrag der Grünen abgelehnt
Zur Debatte lagen auch zwei Anträge von Bündnis 90/Die Grünen vor. An den Menschenrechtsausschuss überwiesen wurde der Antrag mit dem Titel „Für den Menschenrechtsschutz in Deutschland - Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter reformieren und stärken“ (18/12544). Danach soll die Bundesregierung die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zu stärken, um ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafe besser nachzukommen.
Bei Enthaltung der Linken lehnte der Bundestag hingegen einen Antrag mit dem Titel „Zivilgesellschaftliches Engagement braucht Raum - Anti-NGO-Gesetze stoppen, Menschenrechtsverteidiger stärken“ (18/7908) ab, zu dem Menschenrechtsausschuss eine Beschlussempfehlung (18/10625) vorgelegt hatte. Die Grünen forderten in dem Antrag die Bundesregierung auf, in der Außen-, Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik solche Einschränkungen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stärker zu berücksichtigen. So sollte sie den Dialog mit zivilgesellschaftlichen Kräften stärken und diese gezielt fördern, „um ihre Bedeutung für eine lebendige Demokratie deutlich zu machen“. Mehr Aufmerksamkeit sollte zudem auf dem Umgang mit Menschenrechtsverteidigern in bilateralen Beziehungen zu anderen Ländern liegen. (ahe/vom/31.05.2017)