Bundesregierung (18/11243, 18/11616), Bundesrat (18/10980), Die Linke (18/8272) und Bündnis 90/Die Grünen (18/8121) haben jeweils Gesetzentwürfe zur Abschaffung der als „Majestätsbeleidigung“ bekannt gewordenen Strafvorschrift eingebracht, doch vor dem Rechtsausschuss und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) zeigten Sachverständige keine vergleichbare Einigkeit über die Sinnhaftigkeit dieses Schritts. Bei öffentlichen Anhörung am Mittwoch, 17. Mai 2017, zu den vier Gesetzentwürfen waren vielmehr zwei der vier Rechtsexperten dezidiert dafür, den Paragrafen 103 des Strafgesetzbuches - Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten - beizubehalten.
Der aufgrund seiner Entstehungsgeschichte auch als Majestätsbeleidigung bezeichnete Straftatbestand spielt in dem Verfahren des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegen den Fernseh-Satiriker Jan Böhmermann erstmals seit Langem wieder eine Rolle.
Interesse der Bundesrepublik an guten Beziehungen
Der Göttinger Strafrechtler Prof. Dr. Alexander Heinze wies die Ansicht zurück, ausländische Staatsoberhäupter könnten genauso gut nach den allgemeinen Beleidigungsparagrafen 185 und folgende ihr Recht einklagen. Bei deren Beleidigung gehe es nicht in erster Linie um ihre persönliche Ehre und schon gar nicht um Majestäten, sondern um den vom Oberhaupt repräsentierten Staat. Paragraf 103 solle auch das Interesse der Bundesrepublik an guten Beziehungen zu anderen Staaten schützen. Würde er abgeschafft, entstünde die Situation, dass es für einen körperlicher Angriff auf ein Staatsoberhaupt, etwa eine Ohrfeige, eine besondere Strafnorm gibt, nicht aber für eine schwere Beleidigung.
Ähnlich argumentierte der Potsdamer Strafrechtsprofessor Dr. Wolfgang Mitsch. Er problematisierte zudem die Tatsache, dass alle vier Gesetzentwürfe einzig als Reaktion auf die Vorgänge um das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann gegen den türkischen Staatschef Erdogan eingebracht wurden. Mitsch stellte die Frage in den Raum, ob ebenso vorgegangen worden wäre, wenn etwa ein Pegida-Redner sich ähnlich über Queen Elisabeth geäußert hätte. Ebenso wie Heinze plädierte Mitsch dafür, alle vier Gesetzentwürfe abzulehnen.
Strafrecht und Völkerrecht
Der Potsdamer Völkerrechtler Prof. Dr. Andreas Zimmermann beschränkte sich in seiner Stellungnahme auf den völkerrechtlichen Aspekt. Er führte aus, dass weder im Völkerrecht noch im Völkergewohnheitsrecht etwas dagegen spreche, Paragraf 103 abzuschaffen. Das Völkerrecht denke in Kategorien des Schutzes der Ehre anderer Staaten, wobei das Strafrecht nicht im Vordergrund stehe. Daher gebe es keine Verpflichtung, den Sondertatbestand aufrechtzuerhalten.
Für den Deutschen Anwaltverein erklärte Ali Norouzi, er begrüße grundsätzlich, wenn einmal eine Strafnorm abgeschafft statt eine neue eingeführt wird. Es sei fraglich, ob das Strafrecht geeignet sei, diplomatische Interessen der Bundesrepublik zu schützen. Norouzi gab zu bedenken, dass es in Staaten mit einem anderen Rechtsverständnis auch als Ehrverletzung empfunden werden könne, wenn ein Verfahren nach Paragraf 103 mit Freispruch endet oder eingestellt wird.
Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten
In ihrem Gesetzentwurf „zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten“ bezeichnet die Bundesregierung die normalen Strafvorschriften für Beleidigung als „ausreichend für den Ehrenschutz von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“. Insbesondere bedürfe es keines „erhöhten Strafrahmens“.
Auch das Völkerrecht verpflichte nicht zu „Sonderstrafnormen zugunsten Repräsentanten ausländischer Staaten“. Paragraf 103 erscheine „nicht mehr zeitgemäß“ und sei „daher entbehrlich“. Das Gesetz mit dem schlichten Wortlaut „§ 103 wird aufgehoben“ soll nach dem Willen der Bundesregierung im Januar 2018 in Kraft treten.
Stellungnahme des Bundesrates
Zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat gibt es eine Meinungsverschiedenheit, ab wann der sogenannte Majestätsbeleidigungs-Paragraf wegfallen soll. Dies geht aus der Stellungnahme der Länderkammer (18/11616) zum Gesetzentwurf hervor. Der Bundesrat will, dass das Gesetz am Tag nach seiner der Verkündung in Kraft tritt und nicht erst am 1. Januar 2018.
Die Bundesregierung hält in ihrer Gegenäußerung am nächsten Jahresbeginn fest, ohne dies weiter zu begründen.
Gesetzentwurf der Linken
Die Linke will besondere Beleidigungstatbestände für bestimmte Personengruppen abschaffen. In ihrem Gesetzentwurf (18/8272) fordert sie die Streichung der Paragrafen 90 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), 103 (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) sowie 188 (üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens) des Strafgesetzbuches. Mit diesen Bestimmungen werde „die Beleidigung bestimmter Betroffener strafrechtlich schwerwiegender gewertet als die Beleidigung anderer Betroffener“, heißt es in dem Gesetzentwurf. Dies widerspreche Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.
Weiterhin sieht der Gesetzentwurf vor, die für verschiedene Delikte vorgesehenen Verfolgungsermächtigungen durch Staatsorgane zu streichen. So sei beispielsweise für Ermittlungen wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat eine Ermächtigung durch das Justizministerium und wegen Preisgabe von Staatsgeheimnissen eine Verfolgungsermächtigung durch die Bundesregierung vorgesehen. Dies durchbreche den Grundsatz der Gewaltenteilung. Denn es sei „von politischen Entscheidungen abhängig“, ob in solchen Fällen eine Strafverfolgung stattfindet.
Unter Berufung auf Paragraf 103 des Strafgesetzbuches hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan unlängst Strafanzeige gegen den Moderator Jan Böhmermann gestellt. Die Bundesregierung hat daraufhin der Staatsanwaltschaft eine Verfolgungsermächtigung erteilt.
Gesetzentwurf der Grünen
Die Grünen schreiben in ihrem Gesetzentwurf zur Streichung des Majestätsbeleidigungsparagrafen aus dem Strafgesetzbuch (18/8123), der Paragraf sei „ein Relikt aus der Zeit, als es noch eine Monarchie in Deutschland gab“. In Verbindung mit den Erfordernissen eines Strafverlangens der ausländischen Regierung sowie der Strafverfolgungsermächtigung durch die Bundesregierung werde „die Strafverfolgung in derartigen Fällen zum Spielball der Politik“.
Der Gesetzentwurf sieht die ersatzlose Aufhebung des Paragrafen 103 des Strafgesetzbuches vor. Im Gesetzentwurf der Grünen heißt es: „Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.“
Gesetzentwurf des Bundesrates
Nach dem Willen der Länderkammer soll der Paragraf 103 des Strafgesetzbuches mit dem Tatbestand der „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ ersatzlos gestrichen werden (18/10980).
In ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates schreibt die Bundesregierung, sie unterstütze dessen gleichlautendes Anliegen, halte aber am eigenen Gesetzentwurf fest. (pst/19.05.2017)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Alexander Heinze, LL.M. (TCD), Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Kriminalwissenschaften, Abteilung für ausländisches und internationales Strafrecht, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Strafrecht
- Prof. Dr. Wolfgang Mitsch, Universität Potsdam, Professur für Strafrecht mit Jugendstrafrecht und Kriminologie
- Dr. Ali Norouzi, Deutscher Anwaltverein e. V. (DAV), Rechtsanwalt
- Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Professur für Öffentliches Recht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Rechtsphilosophie
- Prof. Dr. Andreas Zimmermann, Universität Potsdam
- N. N.
- N. N.