Mehr Sichtbarkeit und Wahrnehmung für queere Themen
„Ziel muss immer sein, Inklusion zu gewährleisten“, sagte Thomas Kugler, Sozialpädagoge und Mitarbeiter der Bildungsinitiative QUEERFORMAT im öffentlichen Expertengespräch der Kinderkommission des Deutschen Bundestages (Kiko). Jugendliche, die mit ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Genderidentität von heterosexuellen Normen der Gesellschaft abweichen, sehen sich oft Unverständnis und Diskriminierung ausgesetzt. Am Mittwoch, 17. Mai 2017, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie (IDAHOT), beschäftigte sich die Kiko unter der Leitung von Beate Walter-Rosenheimer (Bündnis 90/ Die Grünen) daher mit dem Thema „Queer, na und?“.
Um Jugendliche zu unterstützen, die queer leben, lesbisch, schwul, trans* oder intergeschlechtlich sind, befasst sich die Kinderkommission in vier Sitzungen mit der Situation dieser Jugendlichen. Bei den nächsten Expertengesprächen geht es am 31. Mai um intergeschlechtliche Jugendliche, am 21. Juni um die besondere Situation queerer Mädchen und am 28. Juni um Trans*Jugendliche.
„Diskriminierung hat eine hohe Relevanz für Jugendliche“
„Diskrimierungserfahrungen finden oft im Alltagsbereich statt, dort wo man sich ihnen nicht entziehen kann“, berichtet Kerstin Oldemeier vom Deutschen Jugendinstitut. Eine aktuelle Studie des Institutes zeigt, dass 82 Prozent der befragten homo- oder bisexuellen Jugendlichen und 96 Prozent der Trans*Jugendlichen Diskriminierung erlebt haben.
Der Weg, sich über die eigenen Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung bewusst zu werden, das sogenannte innere Coming-Out, sei häufig ein belastender Prozess. Die Jugendlichen versuchten oft, ihre Entwicklung zu unterdrücken. Hinzu komme die Angst vor Ablehnung im privaten und öffentlichen Raum. „Die Diskriminierung hat eine hohe Relevanz für die Jugendlichen“, sagte die Expertin, „die erlebte, wie auch die gefürchtete.“
Queeren Themen mehr Raum geben
Dies bestätigt auch Thomas Kugler. Queere Jugendliche seien besonders verletzlich, da sie ständig unter dem Druck gesellschaftlicher Erwartungen und Normen stehen würden. Solchen Sozialerfahrungen könne man sich im Alltag nur schwer entziehen, da sie meistens in der Schule oder im familiären Umfeld stattfinden. „Schon Kleinigkeiten können die Entwicklung von Jugendlichen behindern“, sagte auch Lisa Müller, Mitarbeiterin der In&Out Jugendberatung des Jugendnetzwerks Lambda Berlin-Brandenburg. Das Projekt bietet Telefon oder Online-Beratung für Jugendliche, vor allem zum Thema Geschlechteridentität.
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (JKHG) im achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) garantiert für alle Jugendlichen ein Recht auf Persönlichkeitsentwicklung, Selbstbestimmung und positive Lebenserfahrungen. „In der Praxis ist das heute für lesbische, schule, bisexuelle und trans* Jugendliche noch nicht vollzogen“, resümiert Thomas Kugler. Begrifflichkeiten wie Geschlechtsindentität und sexuelle Orientierung zu differenzieren und queeren Themen im politischen und öffentlichen Bereich mehr Raum zu geben, ist nach Ansicht der Experten ein erster, nötiger Schritt.
Neben der Fortbildung von Fachkräften sei es zudem wichtig, Projekte zur Beratung der Jugendlichen untereinander zu fördern. Bekennende Vorbilder wie Lehrer oder andere Persönlichkeiten könnten den Jugendlichen zudem eine Orientierungshilfe sein. Doch auch politisch sehen die Experten Handlungsbedarf: So könnte zum Beispiel die Gleichstellung der Ehe oder eine Reform des Transsexuellengesetzes eine neue Öffentlichkeit schaffen. „Es wirkt sich auch auf die Jugendlichen aus, wenn diese Themen an Öffentlichkeit gewinnen“, sagte Thomas Kugler. (lau/18.05.2017)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Kerstin Oldemeier, Deutsches Jugendinstitut, München
- Thomas Kugler, Bildungsinitiative QUEERFORMAT, Bildungseinrichtung KomBi-Kommunikation und Bildung, Berlin
- Lisa Müller, In&Out Jugendberatung, Jugendnetzwerk Lambda Berlin-Brandenburg e.V.