Gesundheits- und Rechtsexperten sehen in dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (18/11291) zum Nachweis der Abstammung von Kindern aus künstlicher Befruchtung eine überfällige Reform, halten aber weitere Änderungen und Ergänzungen für erforderlich. Offene Fragen beziehen sich auf Samenspenden aus dem Ausland sowie aus sogenannten Becherspenden. Überdies wird kritisiert, dass Altdaten nicht erfasst werden sollen und für die gezeugten Kinder keine Beratung und Hilfe vorgesehen ist.
Zudem werden die eingeschränkten Rechte der Kinder kritisch hinterfragt, wie anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) am Mittwoch, 29. März 2017, im Bundestag sowie aus den schriftlichen Stellungnahmen der Fachverbände deutlich wurde.
Der Gesetzentwurf der Regierung
Mit dem Gesetzentwurf wird ein Auskunftsanspruch für jene Personen ab 16 Jahren festgelegt, die durch eine Samenspende und ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung gezeugt worden sind. Geplant ist dazu die Einrichtung eines zentralen Registers für Samenspender beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). Dort sollen für eine Zeitspanne von 110 Jahren Angaben über die Samenspender und Empfängerinnen einer Samenspende gespeichert werden.
Geregelt werden Aufklärungs-, Dokumentations- und Meldepflichten. So können künftig Personen, die meinen, durch eine Samenspende gezeugt worden zu sein, bei der Registerstelle eine Auskunft beantragen. Zugleich soll durch eine Ergänzung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) die gerichtliche Feststellung der rechtlichen Vaterschaft des Samenspenders ausgeschlossen werden. Auf die Weise soll verhindert werden, dass an Samenspender im Sorge-, Unterhalts- und Erbrecht Ansprüche gestellt werden. In der Anhörung berichtete eine Sachverständige von einem Mann, der mit Samenspenden vermutlich 30 Kinder gezeugt hat.
Kritik an Inkongruenzen und Unsicherheiten
Die Bundesärztekammer (BÄK) erklärte, es würden mit dem jetzt vorliegenden Entwurf weitere ,,Inkongruenzen und Unsicherheiten„ geschaffen. Paare mit Kinderwunsch nutzten häufig Angebote aus dem Ausland und würden dann von den Regelungen nicht erfasst. Ungeklärt seien überdies gesellschaftspolitische und familienrechtliche Fragen sowie als Sonderfall die Embryonenadoption. Ausgeschlossen werden müsse die Verwendung von Samenzellen mehrerer und vermischter Spender, sogenannte gepoolte Spenden.
Auch ein schlüssiges Konzept für das Kindschaftsrecht sei nicht erkennbar, erklärte die Ärztekammer weiter. Ein Verwandtschaftsverhältnis des Samenspenders zu dem Kind könne nicht mehr entstehen. Problematisch sei überdies, dass Fälle der nicht ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung, etwa mittels der Becherspende, nicht von den Neuregelungen erfasst würden. In der Praxis sei eine Abgrenzung zwischen ,,ärztlich unterstützter künstlicher Befruchtung“ und nicht ärztlich unterstützter Befruchtung schwierig, wenn Patientinnen eine Insemination mittels Becherspende oder aus dem Ausland importierten Samen wünschten.
Künstliche Befruchtungen ohne ärztliche Assistenz
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) merkte an, dass schon aus Kostengründen die meisten künstlichen Befruchtungen ohne ärztliche Assistenz abliefen. Die geplanten Regelungen ließen also die Mehrheit der Fälle außer Acht. Eine ärztliche Assistenz sei nur erforderlich, wenn Frauen unter Fruchtbarkeitsstörungen litten oder unregelmäßigen Zyklus hätten. Die Kosten mit ärztlicher Assistenz lägen oft bei 10.000 Euro oder darüber und würden von den Krankenkassen nicht erstattet, da nur die Kosten für eine homologe Insemination, also mit dem Samen des Ehepartners, übernommen würden.
Die Frauen suchten sich daher ihren Samenspender in Spenderportalen. Der Homosexuellenverband sprach sich somit dafür aus, auch die Registrierung künstlicher Befruchtungen mit heterologen Samen ohne ärztliche Assistenz zu ermöglichen. Die betreffenden Frauen seien durchweg sehr daran interessiert, dass ihre Kinder später die Möglichkeit hätten, ihren biologischen Vater kennenzulernen.
Eintrag der Spender in das Geburtenregister
Nach Darstellung des Vereins Spenderkinder ist es rechtlich problematisch, wenn eine gerichtliche Feststellung des Spenders als genetischer Vater ausgeschlossen werden soll. Dies sei eine Diskriminierung, weil auf natürliche Weise oder durch eine Becherspende gezeugte Menschen ihren genetischen Vater als rechtlichen Vater feststellen lassen könnten. Es entstünde erstmals eine Gruppe von Menschen, die ihren genetischen Vater nicht als rechtlichen Vater feststellen lassen könnten.
Der Verein sprach sich dafür aus, die Samenspender in das Geburtenregister einzutragen, um die Möglichkeit einer öffentlichen Feststellung der genetischen Verbindung zum Samenspender anzubieten.
Klärung der juristischen Vaterschaft
Ein Sprecher des Deutschen Richterbundes plädierte in der Anhörung für eine weniger starre Regelung, die es bei einer Samenspende dem biologischen Vater ermöglichen würde, auch der rechtliche Vater zu sein, wenn alle Beteiligten damit einverstanden wären. Dies könnte etwa dann relevant werden, wenn das Kind nur noch ein oder gar kein Elternteil mehr habe. Andere Sachverständige gaben zu bedenken, dass eine freiwillige Vaterschaftsanerkennung möglich bleibe.
Nach Ansicht des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland (BKiD) sollte sich die Freistellung von der juristischen Vaterschaft auch auf Behandlungen von lesbischen und alleinstehenden Frauen beziehen. Unabdingbar seien zudem Angebote einer psychosozialen Beratung bei Kontakten zwischen Kindern aus künstlicher Befruchtung mit dem Samenspender. Zudem müssten alle Altdaten auch in das Register überführt werden.
Recht auf Kenntnis der Abstammung
Auf diesen Punkt zielt auch die Kritik der Deutschen Vereinigung von Familien nach Samenspende (DI-Netz). Nach jetzigem Stand bliebe wegen der zehnjährigen Aufbewahrungspflicht das verbriefte Recht von 100.000 Menschen in Deutschland, die vor August 2007 durch eine Samenspende gezeugt wurden, ungeregelt.
Es sei eine unerträgliche Vorstellung, dass vorhandene Spenderdaten vernichtet würden. In dem Fall würde für die älteren Kinder keine Lösung angeboten. Das grundlegende Recht auf Kenntnis der Abstammung müsse aber für alle Menschen gelten, die mit Hilfe einer Samenspende gezeugt worden seien.
Regelung bei Änderung der Personendaten
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) gab zu bedenken, dass der Entwurf keine Regelung vorsehe für den Fall, dass sich die Personendaten zwischenzeitlich ändern, etwa dann, wenn der Spender heirate und einen anderen Namen annehme oder wegziehe. Dann sei die Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung faktisch kaum möglich, wenn die nötige Recherche allein der durch Samenspende gezeugten Person aufgebürdet würde.
Zudem könnten auch andere Personen Interesse an einer Auskunft haben, zum Beispiel die Kinder der durch künstliche Befruchtung gezeugten Menschen hinsichtlich möglicher Erbkrankheiten oder Paare, die Gewissheit haben wollten über etwaige Verwandtschaftsverhältnisse. (pk/28.03.2017)
Liste der geladenen Sachverständigen
Verbände/Institutionen:
- Arbeitskreis Donogene Insemination
- Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland (BKiD)
- Berliner Samenbank GmbH
- Bundesärztekammer (BÄK)
- BUNDESFORUM MÄNNER
- Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren e. V.
- Deutsche Vereinigung von Familien nach Samenspende DI-Netz e. V.
- Deutscher Anwaltsverein e. V.
- Deutscher Familiengerichtstag e. V.
- Deutscher Juristinnen Bund e. V.
- Deutscher Notarverein
- Deutscher Richterbund
- Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V.
- Interessenverband Unterhalt und Familienrecht -ISUV/VDU e. V.
- LSVD e. V.
- pro familia - Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e. V.
- Spenderkinder
- Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht e. V.
Einzelsachverständiger: