Kritik an der Bilanz von Entwicklungsminister Gerd Müller
SPD und Oppositionsfraktionen haben am Donnerstag, 18. Mai 2017, eine kritische Bilanz der fast vierjährigen Amtszeit von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller (CSU) gezogen. Grüne und Linke warfen dem Ressortchef vor, statt Taten vor allem Worte geliefert und der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) vier verlorene Jahre beschert zu haben. Redner der SPD monierten unter anderem die Vielzahl an Sonderinitiativen, die Ausgestaltung der Handelsabkommen mit Afrika (EPAs) und zu unkonkrete Maßnahmen in dem von der Bundesregierung vorgelegten 15. Entwicklungspolitischen Bericht (18/12300).
Der Bericht zeigt alle vier Jahre die entwicklungspolitische Arbeit der Bundesregierung auf und schlägt Lösungen zur Bewältigung der globalen Herausforderungen vor. Er wurde im Anschluss an die Debatte zur Beratung an den Ausschuss for Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit überwiesen. In dem Bericht zieht die Bundesregierung eine positive Bilanz. Mit mehr als 8,5 Milliarden Euro habe der Etat des Entwicklungsministeriums 2017 einen neuen Höchststand erreicht, heißt es. Fortschritte zeigten sich etwa bei Einschulungsraten und der Eindämmung von Krankheiten.
Linke kritisiert ungerechte Strukturen im Welthandel
Heike Hänsel (Die Linke) warf Müller vor, sich in seiner Amtszeit in „tausenden Projekten und Sonderinitiativen verloren“, aber an den „ungerechten Strukturen“ im Welthandel nichts geändert zu haben. Ihr Fraktionskollege Niema Movassat hielt dem Minister vor, Entwicklungspolitik als „Phrasendrescherei und Außenwirtschaftsförderung“ zu begreifen.
Müller predige fairen Handel, habe aber in Brüssel mit am Verhandlungstisch gesessen, als die Wirtschaftsabkommen mit Afrika ausgehandelt worden seien, sagte Hänsel. Sie mahnte: „Wer die Armut in Afrika stoppen will, muss diesen tödlichen Handel stoppen.“ Außerdem kritisierte sie, dass Müller mit dem Textilbündnis nur „freiwilliges Mitmachprogramm“ für die Textilunternehmen geschaffen habe, statt diese gesetzlich zur Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards zu verpflichten.
Mehrere Redner von Linken und SPD warfen der Bundesregierung außerdem vor, die sogenannte ODA-Quote schöngerechnet zu haben, indem sie die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland auf den Anteil der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationaleinkommen eingerechnet habe. Müller hatte in seiner Rede betont, dass 2016 erstmals das international angepeilte 0,7-Prozent-Ziel erreicht worden sei.
SPD: Sonderinitiativen auf ein verträgliches Maß zurückführen
Stefan Rebmann (SPD) lobte den Minister zwar dafür, dass unter seiner Führung die Entwicklungspolitik wieder einen neuen Stellenwert in der Öffentlichkeit erlangt habe. Jedoch brauche es für eine globale Struktur-, Friedens- und Zukunftspolitik „nachhaltige Strategien und eine verlässliche Finanzierung“. Er monierte, dass die Handelsabkommen mit Afrika keine entwicklungspolitischen Maßnahmen beinhalteten.
Außerdem habe das stetige Anwachsen der drei Sonderinitiativen des Ministeriums in anderen Bereichen „für erhebliche Schwierigkeiten“ gesorgt. In der Folge könnten eine Reihe anderer Projekte nicht mehr durchgeführt werden. Rebmann forderte die Regierung auf, die Sonderinitiativen wieder „auf ein verträgliches Maß“ zurückführen damit sich die deutsche EZ wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren könne.
Grüne bescheinigen Regierung magere Bilanz
Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen) wies ebenfalls darauf hin, dass die Gelder, „die Sie medial wirksam in die Sonderinitiativen pumpen, an anderer Stelle schmerzhaft fehlen“. Darüber hinaus warf er dem Minister vor, sich in „Hochglanzbroschüren“ seitenlang über die Notwendigkeit eines fairen Welthandels auszulassen, schlussendlich jedoch in Brüssel die „schädlichen“ Verträge mit Afrika unterschrieben zu haben. Dabei wäre aus Sicht von Kekeritz ein Stopp der EPAs „effektive Fluchtursachenbekämpfung, die Ihnen ja angeblich so wichtig ist“.
Kekeritz bescheinigte dem „Scheinriesen Müller“ eine „magere Bilanz“ und „bloße Lippenbekenntnisse“ und nannte die vergangenen vier Jahre „entwicklungspolitisch verloren“.
Minister: Entwicklungspolitik wurde aufgewertet
Der so gescholtene Minister hob indes die Erfolge seines Ressorts hervor. Deutschland habe den Stellenwert der Entwicklungspolitik neu definiert und entscheidend aufgewertet; allein in dieser Legislaturperiode sei der Etat um 35 Prozent gestiegen. In der Kooperation mit dem afrikanischen Kontinent setze die Bundesregierung neue Akzente, Schwerpunkte der Zusammenarbeit seien Bildung und Frauen.
„Wir beschreiben nicht nur Probleme und Herausforderungen, wir haben Lösungen“, zeigte sich Müller überzeugt. Mit 12 Milliarden Euro habe Deutschland in den vergangenen vier Jahren das Überleben in Kriegs- und Krisengebieten gesichert. 8.000 Lehrer seien in der Türkei ausgebildet worden, um Kinder in den Flüchtlingscamps rund um Syrien zu unterrichten. Und in 14 grünen Innovationszentren in Afrika und Indien würde vermittelt, wie die Produktion nachhaltiger Nahrungsmittel gesteigert werden könne.
CDU/CSU lobt für Sonderprogramm
Die Vorsitzende des Entwicklungsausschusses, Dagmar Wöhrl (CDU/CSU), nannte die Sonderinitiativen sowie das Cash for Work-Programm, mit dem in den Aufnahmeländern Jobs für Flüchtlinge geschaffen werden, sehr erfolgreich.
Außerdem lobte sie, dass Müller auch die Privatwirtschaft einbeziehe und in die Verantwortung nehme. Zugleich müssten aber auch die Nehmerländer mehr Eigenverantwortung zeigen, „sonst könnten sie in Zukunft keine Hilfe von uns erwarten“.
Bericht der Bundesregierung
Zentrales Ziel der deutschen Entwicklungspolitik ist es nach Darstellung der Bundesregierung, internationale Strukturpolitik so zu gestalten, dass sie global nachhaltige Entwicklung fördert und Globalisierung für alle Menschen gerecht gestaltet. In diesem Sinne wirke die Bundesregierung an den mit Blick auf die Agenda 2030 notwendigen Neuausrichtungen und Reformen der EU sowie multilateraler Organisationen, insbesondere der Vereinten Nationen, der Weltbank und der regionalen Entwicklungsbanken, aktiv mit.
Um die Wirksamkeit der Zusammenarbeit des Entwicklungsministeriums mit multilateralen Organisationen weiter zu stärken, sei 2014/2015 ein „Mapping“ zu 30 multilateralen Organisationen und vertikalen Fonds vorgenommen worden. Die Organisationen seien hinsichtlich Relevanz, Leistungsfähigkeit und strategischer Rolle für das Ministerium erfasst und bewertet worden. Die Ergebnisse dieser Bewertung dienten der internen Strategiebildung des Entwicklungsministeriums und seien der Bundesregierung sowie dem Bundestag zur Verfügung gestellt worden.
Ausblick auf zukünftige Handlungsfelder
Der Bericht beinhaltet erstmals auch einen umfangreichen Ausblick auf zukünftige Handlungsfelder. So legt das Dokument Maßnahmen dar, um den globalen Herausforderungen zu begegnen – wie dem weltweiten Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Migrationsbewegungen und gewaltsamen Konflikten. Wie die Regierung schreibt, orientiert sich die Darstellung an den Leitbildern der Agenda 2030 und ihren Zielen für nachhaltige Entwicklung.
Als zentrale Herausforderungen nennt der Bericht die Bereiche Ernährung, Überwindung von Armut und Hunger, Klima- und Umweltschutz, die gerechte Gestaltung der Weltwirtschaft sowie die Minderung von Fluchtursachen und die Sicherung von Frieden.
Entschließungsanträge der Opposition
Ein von der Fraktion Die Linke vorgelegter Entschließungsantrag (18/12385) wurde bei Enthaltung der Grünen mit der Mehrheit von CDU/CDU und SPD abgelehnt. Die Abgeordneten hatten gefordert, die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik grundlegend neu auszurichten. Es soll darauf Wert gelegt werden, dass die Entwicklungspolitik kohärent an entwicklungs-, friedenspolitischen und menschenrechtlichen Maßstäben orientiert wird. Hingegen beendet werden soll die derzeit forciert vorangetriebene zivil-militärische Zusammenarbeit und Verzahnung der Entwicklungspolitik mit deutscher und europäischer Sicherheitspolitik.
Ebenfalls mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung durch die Oppositionsfraktionen wurde ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/12386). Darin hatten die Abgeordneten gefordert, dass als Mindestanforderung und Hauptbestandteil des Entwicklungspolitischen Berichts der Bundesregierung an das Parlament künftig die Qualität und die langfristigen Wirkungen deutscher Entwicklungspolitik stärker in den Mittelpunkt der Bilanz gerückt werden soll. Außerdem sollen der Klimavertrag von Paris und die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit den 17 Globalen Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals – SDGs) als handlungsleitende Rahmen für alle Politikbereiche verankert werden. Die Bundesregirung soll Deutschland national und international zu einem Vorreiter bei der Umsetzung der Agenda 2030 und des Klimaabkommens zu machen. (joh/eis/hau/18.05.2017)