Verurteilungen wegen Homosexualität sollen aufgehoben werden
Frühere Schuldsprüche wegen homosexueller Handlungen unter erwachsenen Männern waren Unrecht, müssen aufgehoben und die Verurteilten entschädigt werden. Darüber herrschte Einigkeit bei der Debatte am Freitag, 28. April 2017, über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/12038) „zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen“.
Die Strafbarkeit war in der DDR seit 1968 und in der Bundesrepublik seit 1969 schrittweise bis 1994 aufgehoben worden, frühere Urteile blieben aber rechtskräftig. Nun sollen solche strafgerichtliche Urteile wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen „pauschal aufgehoben“ werden. Die Bundesregierung begründet die normalerweise dem Rechtsstaatsprinzip widersprechende Aufhebung rechtskräftiger Urteile damit, dass „das strafrechtliche Verbot homosexueller Handlungen nach heutigem Verständnis in besonderem Maße grundrechtswidrig“ sei.
Umfang der Entschädigung strittig
Die Verurteilten sollen „wegen des durch die Verurteilung oder die strafgerichtliche Unterbringungsanordnung erlittenen Strafmakels“, wie es im Gesetzentwurf heißt, eine Entschädigung erhalten. Diese soll 3.000 Euro je aufgehobene Verurteilung plus 1.500 Euro je angefangenes Jahr in Haft betragen. Ausgeschlossen von der Rehabilitierung sollen Verurteilungen wegen sexuellen Handlungen sein, die auch unter Heterosexuellen strafbar sind oder waren. Dies sind insbesondere Handlungen mit Kindern und unter Missbrauch von Abhängigkeiten. Vor dem 8. Mai 1945 Verurteilte hat der Gesetzgeber bereits 2002 im Zuge der „Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile“ rehabilitiert.
Ebenfalls zur Debatte standen ein Gesetzentwurf (18/10117) sowie ein Antrag (18/10118) der Grünen mit gleicher Zielsetzung. Die Fraktion fordert neben einer einmaligen Entschädigung eine dauerhafte Rente für Personen, „die aufgrund von Verurteilungen, aber auch wegen eines Ermittlungs- und Strafverfahrens Schaden an Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in ihrem beruflichen oder wirtschaftlichen Fortkommen erlitten haben“.
Minister: Grundfragen des Rechtsstaats berührt
Bundesjustizminister Heiko Maas hob das Leid hervor, dass der aufgehobene Strafrechtsparagraf 175 bei vielen Homosexuellen verursacht habe. Zu dem Gesetzentwurf sagte er, dass er „Grundfragen eines Rechtsstaats“ berühre. Einer seiner Pfeiler sei die Rechtssicherheit, dass man sich auf einmal getroffene Entscheidungen verlassen könne.
Recht sei „aber auch der Wille zur Gerechtigkeit, und mit diesem Ideal der Gerechtigkeit ist es unvereinbar, dass Männer bis heute mit einem Strafmakel der Verurteilung leben müssen, nur weil sie homosexuell sind und ihre Sexualität gelebt haben“.
Rechtssicherheit bedeute, fuhr Maas fort, dass ein Täter nicht erneut verfolgt werden kann und ein Opfer sich auf die Genugtuung durch ein Urteil verlassen darf. Bei der Verurteilung nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuches „gab es jedoch keine Opfer, weil es sich um einvernehmliche Handlungen handelte“. Die angestrebte Rehabilitierung zeige, „was ebenfalls die Stärke eines Rechtsstaates ausmacht: Er hat die Kraft, seine eigenen Fehler zu korrigieren“, schloss Maas.
Linke wirbt für Korrekturen
Ein erkennbar bewegter Harald Petzold (Die Linke) sagte, dass er sich „tief verneige vor all denjenigen, die unter diesem Paragrafen gelitten haben, vor allem vor denjenigen, die den heutigen Tag nicht mehr erleben“. Er schilderte, auch aus seinem Bekanntenkreis, die Auswirkungen des Paragrafen über die Verurteilungen hinaus: „Das Tuscheln der Nachbarn, der Verlust der Wohnung, das Mobbing, der Verlust des Arbeitsplatzes, aber auch die ständige Angst vor dem Entdecktwerden, vor Ermittlungsverfahren.“ Petzold nannte auch die zur Tarnung eingegangenen Scheinehen und das Leid, das dadurch auch Partnerinnen und Kinder erlitten haben.
Petzold kündigte bereits jetzt an, dass seine Fraktion dem Gesetzentwurf zustimmen werde, bat aber die anderen Fraktionen, in den Ausschussberatungen noch über Veränderungen nachzudenken. So warb er für eine Orientierung der Entschädigung am Opferentschädigungsgesetz mit höheren Entschädigungen und pauschalen Rentenzahlungen sowie eine Härtefallregelung für Betroffene, für die allein das Ermittlungsverfahren schwerwiegende Folgen hatte, auch wenn es zu keiner Verurteilung gekommen war.
Grüne: Rechtsstaat zeigt Überlegenheit
Ähnliche Wünsche erhob auch Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen). Er verstehe nicht, warum man sich bei der Entschädigungsregelung nicht am NS-Unrechts-Entschädigungsgesetz orientiert habe, sagte Beck. Auch er erinnerte an die Folgen von Ermittlungsverfahren, selbst wenn am Ende ein Freispruch aus Mangel an Beweisen gestanden hatte: „Aus dem Beamtenverhältnis entlassen, gekündigt vom Arbeitgeber, vom Wohnungsgeber“ und einiges mehr.
„Ja, unser Rechtsstaat hat Fehler gemacht“, erklärte Beck. Aber Demokratie und Rechtsstaat zeichneten sich nicht dadurch aus, dass sie keine falschen Entscheidungen träfen, weder der Gesetzgeber noch die unabhängige Justiz. „Wir zeichnen uns dadurch als allen Staatsformen überlegen aus, dass wir Fehler erkennen, eingestehen und Unrecht wieder beseitigen können“, sagte Beck.
CDU/CSU: Verfassungspolitisches Neuland
Die Redner der Koalitionsfraktionen zeigten sich offen für Veränderungen im Gesetzgebungsverfahren. Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) lehnte es aber ab, die jetzt aufzuhebenden Urteile pauschal als Unrechtsurteile zu bezeichnen. Das gelte auch für ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957, das den Paragrafen 175 für grundgesetzkonform erklärt hatte. Dieses stoße heute auf Unverständnis, sei aber „im demokratischen Rechtsstaat gesprochen“ worden. Die jetzt anstehende Entscheidung sei „Folge eines gewandelten Verständnisses auch von Sexualmoral und Sexualität“. Der Rechtsstaat sei „lernfähig und hat hier dazugelernt“.
Die CDU-Abgeordnete Dr. Sabine Sütterlin-Waack und ihre CSU-Fraktionskollegin Gudrun Zollner sprachen übereinstimmend von verfassungspolitischen beziehungsweise verfassungsrechtlichem Neuland, das mit dem Gesetzentwurf betreten werde. Es sei bei der Ausformulierung darauf zu achten, dass das Gesetz den Grundsätzen der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit gerecht werde, sagte Zollner. Wichtig sei, dass die Aufhebung von Urteilen nicht zu Wertungswidersprüchen führt und kein Präzendenzfall geschaffen wird. Sütterlin-Waack hob aber auch hervor: „Wir korrigieren durch die Aufhebung der Gesetze nur uns selbst und nicht die Justiz, die zur Anwendung der Gesetze verpflichtet war und ist.“
SPD: Noch immer Stigmatisierung
Dr. Eva Högl (SPD) bedauerte, dass es nach der vollständigen Abschaffung der Strafrechtsvorschriften gegen Homosexuelle 1994 „noch mal 23 Jahre gedauert hat, bis heute über Rehabilitierung gesprochen werden kann“. Was die früheren Urteile angerichtet hätten, „können wir heute kaum wieder gut machen“. Deshalb halte sie die vorgeschlagene Regelung eines pauschalisierten Schadenersatzes für richtig, sagte Högl, aber die Anregungen von Linken und Grünen „werden wir sorgfältig prüfen“. Auch Johannes Kahrs (SPD) hob hervor, dass die genaue Höhe der Beträge nicht das Entscheidende sei.
Högl wies aber auch darauf hin, dass mit dem Rehabilitierungsgesetz der Weg zur Gleichstellung Homosexueller noch nicht zu Ende sei. Noch immer gebe es Stigmatisierung und Übergriffe gegen Homosexuelle. Sie warb ebenso wie Kahrs für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Außerdem regte Högl an, in der nächsten Legislaturperiode ein Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung im Grundgesetz zu verankern.
Der Bundestag überwies den Gesetzentwurf zur weiteren Beratung an den federführenden Rechtsausschuss sowie den Familien- und den Menschenrechtsausschuss. In der Debatte hatten alle Fraktionen den Willen erklärt, das Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode zu Ende zu bringen. (pst/28.08.2017)