Bundestag stellt sich hinter EU-Leitlinien für Brexit-Verhandlungen
Mit großer Mehrheit hat sich der Bundestag am Donnerstag, 27. April 2017, hinter den von EU-Ratspräsident Donald Tusk vorgelegten Leitlinien-Entwurf für die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gestellt. Mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD verabschiedete das Parlament nach einer Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) zum geplanten Sondertreffen des Europäischen Rates (ohne Großbritannien) am Sonnabend, 29. April 2017, in Brüssel und anschließender Aussprache einen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen (18/12135) mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen, in dem die Abgeordneten unter anderem den geplanten zweistufigen Verhandlungsablauf – erst Klärung des Austritts, dann Gespräche über das zukünftige Verhältnis – ausdrücklich unterstützen.
Oberste Priorität sei es, den Zusammenhalt der EU zu wahren, die Rechte der Bürger zu sichern und sich über die finanziellen Verpflichtungen des Vereinigten Königreiches zu verständigen, betonten sie. Zudem dürfe es kein „Rosinenpicken“ des Vereinigten Königreiches geben.
Merkel: Bedingungen des Austritts Großbritanniens klären
Die Staats- und Regierungschefs der 27 verbleibenden EU-Staaten wollen die Leitlinien des Europäischen Rates für die Brexit-Verhandlungen übermorgen auf einem Sondergipfel in Brüssel beschließen. Ratspräsident Tusk hatte den neunseitigen Entwurf am 31. März vorgelegt, zwei Tage nachdem die britische Premierministerin Theresa May den Austrittsprozess gemäß Artikel 50 des EU-Vertrages eingeleitet hatte.
Die Bundeskanzlerin stellte in ihrer Regierungserklärung klar, dass die von Tusk vorgeschlagene Chronologie der Verhandlungen aus Sicht der Bundesregierung „unumkehrbar“ ist. Bevor über das künftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien gesprochen werden könne, müssten die Bedingungen des Austritts „zufriedenstellend geklärt“ werden, sagte Merkel. May fordert indes, Trennung und künftige Beziehungen zusammen zu verhandeln.
Merkel betonte auch, dass von Beginn an über die finanziellen Verpflichtungen Londons gesprochen werden müsse. Diese Verpflichtungen erstreckten sich auch auf die Zeit nach dem Brexit. „Ein Drittstaat, und das wird Großbritannien sein, kann und wird nicht über die gleichen Rechte verfügen oder womöglich sogar bessergestellt werden können wie ein Mitglied der Europäischen Union“, fügte sie hinzu. Sie habe das Gefühl, dass sich einige in Großbritannien darüber noch Illusionen machten. „Das aber wäre vergeudete Zeit.“
CDU/CSU: Sicherung der Außengrenzen ist EU-Aufgabe
CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder forderte angesichts des Brexits eine Überprüfung der europäischen Zuständigkeiten. Es müsse geklärt werden, was die in Zukunft leisten soll und was besser bei den Nationalstaaten aufgehoben ist.
„Die Sicherung der Außengrenzen ist eine Aufgabe für Europa. Die Festlegung von Vogelschutzgebieten aber nicht“, stellte er klar.
SPD fordert kraftvollen Neubeginn in der Europapolitik
„Wenn wir weitere Brexits verhindern wollen, dann brauchen wir einen kraftvollen Neubeginn in der Europapolitik“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Die EU müsse Themen wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit anpacken und für mehr Investitionen und Wachstum sorgen. Den jungen Menschen in Großbritannien, die sich mehrheitlich für einen Verbleib ihres Landes in der EU ausgesprochen hätten, „sind wir es schuldig, dass wir in den kommenden zwei Jahren fair mit Großbritannien verhandeln“.
Zugleich betonte Oppermann, wie zuvor schon Merkel und Kauder, dass die EU „keine Sonderbehandlung“ zulassen werde. „Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft mit Rechten und Pflichten. Wer austritt, muss Rechte verlieren, sonst leisten wir Beihilfe zum Zerfall der EU.“
Grüne: Personenfreizügigkeit nicht dem Populismus opfern
Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis90/Die Grünen) forderte die Bundesregierung auf, bei den Brexit-Verhandlungen weniger auf deutsche Einzelinteressen als auf europäische Anliegen zu achten. „Was gut für Deutschland ist, kann in Zukunft nur noch das sein, was gut ist für das gemeinsame Europa.“
So dürfe die Personenfreizügigkeit nicht dem Populismus geopfert werden. Britischen Bürgern in Deutschland und Deutschen in Großbritannien müsse die Bundesregierung „noch im Sommer“ Sicherheit geben.
Linke: Beiderseits vorteilhafte Regelungen finden
Dr. Sahra Wagenknecht (Die Linke) warnte die Bundesregierung davor, den Austritt „so abschreckend wie möglich“ zu gestalten. Sie sollte stattdessen auf „beiderseits vorteilhafte Regelungen“ dringen, sagte die Linke-Fraktionschefin. „Wer glaubt auf Einschüchterung angewiesen zu sein, um den europäischen Zusammenhalt zu sichern, der hat Europa längst aufgegeben“, urteilte sie.
Wagenknecht warf der Koalition eine „antieuropäische Politik“ vor. Sie habe maßgeblich dazu beigetragen, dass die EU zum „Lohndrückerladen“ und zur „Sozialkürzungsmaschine“ verkommen sei, urteilte sie.
Merkel warnt vor Bruch mit der Türkei
Viel Raum nahm in der Debatte der Ausgang des Referendums in der Türkei ein. Merkel warnte vor einem Bruch mit dem Land. „Eine endgültige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch - und das sage ich mit Bedacht - Europas von der Türkei - wäre weder im deutschen noch im europäischen Interesse“, sagte die Bundeskanzlerin.
Thomas Oppermann betonte: „Wir sollten klarmachen: Nicht wir schlagen der Türkei die Tür für Europa zu, sondern es ist allein Erdoğan, (…) der sein Land systematisch wegführt von den europäischen Werten.“ Sahra Wagenknecht bezeichnete es als „untragbar“, dass die EU-Beitrittsgespräche fortgesetzt würden, trotz der Wandlung des Landes in eine „islamistische Diktatur“.
Entschließungsanträge der Linken und Grünen abgelehnt
Die Abgeordneten stimmten im Anschluss der Debatte außerdem über Entschließungsanträge von der Linken (18/12136) und über zwei Entschließungsanträge der Grünen (18/12137, 18/12138) ab. Der Antrag der Linksfraktion wurde mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen abgelehnt. Die Abgeordneten hatte gefordert, dass verbindliche Regelungen getroffen werden sollen, um zu garantieren, dass die EU-Bürger in Großbritannien sowie die britischen Bürger in der EU nicht zur Verhandlungsmasse werden und dass ihre Rechte auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung umfassend erhalten und geschützt werden.
Ebenfalls keine Zustimmung unter den übrigen Fraktionen fand ein Entschließungsantrag der Grünen, der forderte, dass in den Verhandlungen der EU mit Großbritannien eine starke Europäische Union oberste Priorität haben müsse. Einen britischen „Austritt à la carte“ dürfe es nicht geben. Ein freier Zugang zum EU-Binnenmarkt dürfe wie bisher nur möglich sein, wenn die Einheitlichkeit des Europarechts gewahrt bleibt.
Der zweite Entschließungsantrag der Grünen wurde mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linksfraktion und der Grünen ebenfalls abgelehnt. Darin hatten die Abgeordneten verlangt, dass der Bundestag eine transparente Beteiligung am Austrittsprozess im Rahmen seiner Mitwirkungsrechte und -pflichten sicherstellt und diesbezüglich die Öffentlichkeit im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hergestellt wird. (joh/vom/27.04.2017)