Bundestag benennt Gebäude nach Otto Wels und Matthias Erzberger
Der Bundestag benennt zwei prominente Liegenschaften nach Otto Wels und Matthias Erzberger. Dies gab Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert zu Beginn der Plenarsitzung am Donnerstag, 23. März 2017, bekannt. Das Gebäude Unter den Linden 50 in Berlin nach einem Beschluss des Ältestenrates „Otto-Wels-Haus“, das Gebäude Unter den Linden 71 „Matthias-Erzberger-Haus“ heißen. Damit setze der Bundestag ein überfälliges Zeichen im öffentlichen Raum, sagte Lammert unter dem Beifall aller Fraktionen. „Wir erinnern an die Lebensleistung zweier herausragender Parlamentarier, die beispielgebend moralischen Größe und demokratische Haltung bewiesen – zu einer Zeit, als es auch in Deutschland tatsächlich Mut brauchte, um für seine Überzeugungen einzutreten. Ihr Vermächtnis ist und bleibt uns anvertraut“, sagte der Bundestagspräsident.
84. Jahrestag der Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“
Vor 84 Jahren, am 23. März 1933, hatte der nationalsozialistisch dominierte Reichstag das sogenannte Ermächtigungsgesetz verabschiedet. Die damalige „Selbstaufgabe des Parlaments“, so Lammert, habe den Weg in die nationalsozialistische Diktatur unumkehrbar gebahnt. Als ein Wendepunkt der deutschen Geschichte verweise der 23. März auf die persönlichen Schicksale der beiden „herausragenden Parlamentarier“ Wels und Erzberger, mit denen sich die dramatischen Anfänge und das tragische Ende der ersten deutschen Republik verbinden.
Der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger habe es als Leiter der deutschen Verhandlungsdelegation auf sich genommen, 1918 im Wald von Compiègne den Waffenstillstand zu unterschreiben, um das „sinnlose Gemetzel in Europa nach vier entsetzlich langen Jahren endlich zu beenden“, sagte Lammert. Als Folge der „berechnenden Feigheit verantwortlicher Generäle, ihre militärische Niederlage selbst einzugestehen“, sei nicht nur der Ruf der jungen, gerade neu begründeten Republik und der parlamentarischen Demokratie nachhaltig beschädigt geblieben, auch Erzberger persönlich sei „Ziel übelster Schmähungen und Verleumdungen – und im August 1921 das Opfer eines Mordanschlags“ geworden. Erzberger sei für die Idee eines Völkerbundes und die Annahme des von vielen als „Friedensdiktat“ empfundenen Versailler Vertrages eingetreten.
„Widerstand gegen die Anmaßung der neuen Machthaber“
Unmittelbar vor dem Ermächtigungsgesetz habe Reichspräsident Paul von Hindenburg 1933 mit einer Verordnung „für Straftaten, die im Kampfe für die nationale Erhebung des Deutschen Volkes, zu ihrer Vorbereitung oder im Kampfe für die deutsche Scholle begangen sind“ Straffreiheit gewährt. Betroffen davon seien auch die ins Ausland geflüchteten Attentäter Erzbergers gewesen, für deren Rückkehr sich Hitler persönlich ausgesprochen habe. Sie hätten einer nationalistisch-antisemitischen Terrororganisation angehört, die aus einem Putsch konterrevolutionärer Kräfte gegen die Republik hervorgegangen war. Der Putsch war im März 1920 an einem Generalstreik gescheitert, den Otto Wels damals organisiert und initiiert hatte.
Wels hatte als SPD-Vorsitzender am 23. März 1933 „in einem Akt demokratischer Selbstbehauptung“ seine Stimme gegen die „Auslieferung der Demokratie an ihre Feinde“ erhoben, „als einziger, mutig und mit bestechender Klarheit“, wie Lammert sagte. Zwar habe sich die Entwicklung einer labilen Demokratie in einem autoritären, schließlich totalitären Staat nicht mehr verändern lassen, doch sei das „Wort zur Tat“ geworden, zum Widerstand gegen die „Anmaßung der neuen Machthaber, zum Signal, zur Botschaft an die Nachwelt, dass – auch unter dem eskalierenden Terror – Widerstand möglich und nötig war“. Diese historische Erfahrung verdiene nicht nur in Deutschland, in Erinnerung bewahrt und politisch bewusst zu bleiben. Ähnliche Versuchungen gebe es offenkundig auch heute, fügte Lammert hinzu.
„Den Übergang von der Monarchie zur Republik organisiert“
Bei allen Unterschieden in Herkunft und politischer Sozialisation eine Wels und Erzberger, dass ihr Wirken in der Rückschau auf die „existenziellen Krisenmomente reduziert wird“. Beide hätten dem Reichstag jeweils fast zwei Jahrzehnte angehört und an herausgehobener Position den schwierigen Übergang von der Monarchie zur Republik organisiert und deren Grundfeste mitgeformt: Wels von 1919 an als Vorsitzender seiner Partei, deren führender Kopf er auch im Exil bis zu seinem Tod zwei Wochen nach Kriegsbeginn geblieben sei.
Erzberger wiederum personifiziere das im Kaiserreich „gewachsene Selbstbewusstsein des Parlaments“. Auch wenn die von ihm initiierte Friedensresolution, in der sich der Reichstag vor genau hundert Jahren mehrheitlich für einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen aussprach, folgenlos geblieben sei, habe sich das damals geschmiedete parlamentarische Bündnis aller demokratischen Kräfte tragfähig für die spätere sogenannte „Weimarer Koalition“ erwiesen.
„Wegbereiter unserer Demokratie“
Erzberger sei in der kurzen Zeit, die ihm blieb, Beachtliches gelungen, betonte Lammert. Er habe ein reichseinheitliches Bahnsystem organisiert und als Finanzminister in nur neun Monaten eine der größten Steuerreformen der Geschichte geschaffen, deren Grundlagen „bis in die heutige Zeit reicht“.
„Dass wir Persönlichkeiten ehren, die in ihrem Kampf um Demokratie und Parlamentarismus scheiterten und dafür sogar mit dem Leben bezahlten, ist keine deutsche Besonderheit – der Schleier des Vergessens aber, der vielfach über den Wegbereitern unserer Demokratie liegt, schon. So gibt es in Berlin einen Hindenburgdamm, aber bis heute keine Straße und keinen Platz, der an Matthias Erzberger erinnert“, sagte der Bundestagspräsident und fügte hinzu: „Möglichst bald wollen wir so auch eine herausragende Frau des deutschen Parlamentarismus würdigen.“
Solidarität im Kampf gegen Terror und Gewalt
Lammert war eingangs auf den „fürchterlichen Anschlag“ in London unweit des Parlaments mit Toten und Verletzten am Vortag, 22. März, eingegangen. „Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer“, sagte der Bundestagspräsident, den Verletzten wünschte er baldige Genesung.
Er sicherte den Briten darüber hinaus „unsere uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen jede Form von Terror und Gewalt“ zu. (vom/23.03.2017)