Fraktionen würdigen Bedeutung der europäischen Integration
Anlässlich des 60. Jahrestages der Römischen Verträge haben die Bundestagsfraktionen die Bedeutung der europäischen Integration für die Menschen hervorgehoben und für eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten bei grenzüberschreitenden Themen geworben. In einer auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen anberaumten Aktuellen Stunde äußerten Linke und Grüne am Donnerstag, 23. März 2017, jedoch auch Bedauern darüber, dass die Große Koalition ihrem Antrag, zum Jubiläum eine vereinbarte Debatte auf die Tagesordnung zu setzen, nicht gefolgt sei. „Das wäre ein wichtiges Signal gewesen“, urteilte Grünen-Parteichef Cem Özdemir. Alexander Ulrich (Die Linke) sagte, dies zeige, „mit welcher Euphorie diese Bundesregierung Europa begleitet“.
Grüne loben politischen Mut
Einig waren sich die Redner alle Fraktionen in ihrem Urteil, dass die Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957 nach zwei Weltkriegen die wohl größte historische Errungenschaft des Kontinents war. „60 Jahre Römische Verträge, das heißt 60 Jahre Miteinander statt Gegeneinander“, sagte Özdemir.
Seine Fraktionskollegin Annalena Baerbock lobte den Mut und das politische Risiko, das maßgeblich beteiligte Politiker wie der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Präsident Charles De Gaulle eingegangen seien. Sie hätten entgegen der „richtig miesen Stimmung“ in ihren Ländern das Projekt Europa auf den Weg gebracht und dafür gesorgt, dass sich ehemalige Kriegsfeinde auf einen gemeinsamen Binnenmarkt und die Vergemeinschaftung kriegswichtiger Güter einigten.
Den politischen Mut aufzubringen, für die gemeinsamen europäischen Werte einzutreten, „ist auch heute unsere Aufgabe als Politiker“, mahnte Baerbock. Ausdrücklich wandte sie sich im Namen ihrer Fraktion gegen ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. „Kerneuropa bedeutet: Einige gehen voran und der Rest ist außen vor.“ Das werde Europa weiter spalten.
Linke: Friedensidee reicht nicht mehr aus
Alexander Ulrich forderte einen „Neustart der EU“. Die Friedensidee reiche heute nicht mehr aus, um junge Menschen von der Gemeinschaft zu überzeugen. Notwendig sei ein gerechteres und sozialeres Europa.
Gerade in Südeuropa, wo mehr als 50 Prozent der Jugendlichen arbeitslos seien, fühlten sich viele Menschen abgehängt; der Wohlstandsgedanke werde nicht mehr verwirklicht, betonte der Abgeordnete der Linken. Die dafür verantwortliche Austeritätspolitik der EU habe die Bundesregierung maßgeblich mit vorangetrieben und sich damit „an der europäischen Idee versündigt“.
CDU/CSU: EU sollte sich auf die wesentlichen Themen konzentrieren
Thorsten Frei (CDU/CSU) verwies indes auf die wirtschaftlichen Erfolge der EU, die heute nicht nur für Frieden und Freiheit, sondern auch für Prosperität und Wohlstand stehe. Die 2004 aufgenommen osteuropäischen Staaten hätten ihre Wirtschaftsleistung binnen kürzester Zeit von 40 auf 60 Prozent steigern können, Polen habe seine Arbeitslosigkeit in den ersten Jahren nach dem Beitritt halbiert. Mit Blick auf den Brexit und die zunehmenden europaskeptischen Stimmen gerade auch im Osten Europas mahnte Frei jedoch, dass diese Errungenschaften nicht für alle Zeiten gesichert seien. „Wir müssen jedes Mal aufs Neue darum kämpfen.“
„Wir müssen Europa richtig bauen, damit es zukunftsfähig ist und Akzeptanz bei den Menschen findet“, betonte der CDU-Politiker. Dafür müsse die EU sich künftig mehr auf die Themen mit europäischem Mehrwert konzentrieren – wie Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Sicherung der europäischen Grenzen – und andere den Nationalstaaten überlassen. Gemeinsame Vereinbarungen müssten dann auch gemeinsam umgesetzt werden.
Regierung: Wir gewinnen mit der EU Gestaltungsmacht zurück
Der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Thomas Roth (SPD), forderte, nicht länger „Verzichtsdebatten“ zu führen, wenn es um die Verlagerung von Zuständigkeiten auf die europäische Ebene gehe. „Andersherum wird ein Schuh daraus“, betonte er mit Verweis auf die Globalisierung. „Der Nationalstaat alter Ordnung ist nicht mehr in der Lage, sie angemessen, sozial und demokratisch zu gestalten.“
Daher müsse man den Menschen mit Blick auf Herausforderungen wie Migration, Terror oder Steuerdumping, klar machen: „Wir gewinnen mit der EU Gestaltungsmacht zurück, die uns auf nationaler Ebene schon längst nicht mehr zur Verfügung steht.“ Einige Staaten könnten dabei offensiv vorangehen und eine Art „Europa der Mutmacher“ bilden, schlug Roth vor. Dies bedeute aber keinen „closed shop“, die anderen müssten sich jederzeit anschließen können.
Darüber hinaus stellte Roth klar, dass Deutschland nicht nur Zahlmeister Europas sei, sondern wie kein anderes Land in der EU von der Gemeinschaft profitiert habe und noch immer profitiere. „Wir sind stark, weil wir in einem starken Europa leben“, sagte Roth. „Europa war, ist und bleibt unsere Lebensversicherung.“ (joh/23.03.2017)