5. Untersuchungsausschuss

Weil: Von Dieselgate erst im September 2015 erfahren

Ein Mann im Anzug steht in einem Sitzungssaal und stützt die Hände auf eine Stuhllehne.

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages (© dpa)

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) weist eine frühzeitige Kenntnis des gesetzwidrigen Verhaltens von Volkswagen in den USA zurück. „Ich habe von Dieselgate im September 2015 erfahren und nicht vorher“, sagte Weil am Donnerstag, 16. Februar 2017, im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Erstmals habe er am 19. September in der ARD-„Tagesschau“ davon gehört und sei „tief betroffen“ gewesen.

„Tiefpunkt in der Unternehmensgeschichte“

Das Vorgehen von VW hätte er nicht für möglich gehalten und stelle einen „Tiefpunkt in der Unternehmensgeschichte“ dar. Er habe die Information nicht einordnen können und sei an dem Wochenende als Aufsichtsratsmitglied auch nicht informiert worden. Er habe dann am Montag bei VW selbst nachfragen müssen.

Weil ist seit 2013 wie auch der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) Mitglied im Aufsichtsrats des Volkswagenkonzerns. Dem Geständnis von VW in den USA, die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen manipuliert zu haben, gingen eine Studie der Umweltorganisation ICCT, einjährige Gespräche der US-Behörden mit VW und eine Rückrufaktion für rund 500.000 Autos voraus. Die Rückrufe waren laut Weil kein Gegenstand im Aufsichtsrat, die Studie habe er vor September 2015 nicht erkannt.

Weil: Gegenbeweis ist für mich geführt

Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch hatte laut einem „Spiegel“-Bericht vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig erklärt, er habe vier Mitglieder des Kontrollgremiums, darunter Weil, schon im Frühjahr 2015 über den Verdacht in den USA informiert. Der Ministerpräsident betonte, alle vier und auch die zwei angeblichen Informanten Piëchs, darunter der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor, hätten diese Darstellung „sehr klar, sehr vehement“ zurückgewiesen. Es stehe hier 6:1, damit sei für ihn der Gegenbeweis geführt. Generell immer wieder ein Thema seien die unbefriedigenden Verkaufszahlen in den USA gewesen.

Er habe nicht den leisesten Grund, etwas zu vertuschen, betonte Weil weiter. Gesetzwidriges Verhalten wäre ein Fall für den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates gewesen. Zu welchem Zeitpunkt der Vorstand davon wusste, sei Gegenstand laufender Prüfungen. Er wolle eine vollständige Aufklärung, es sei von VW-Seite auch viel geschehen.

Ferdinand Piëch in den Ausschuss geladen

Weil verwies auf den gebildeten Sonderausschuss und die Ermittlungen der von VW beauftragten US-Kanzlei Jones Day. Die Rückrufe in Europa liefen auf Hochtouren. Weil warb um Verständnis dafür, dass betroffene Kunden in Europa im Gegensatz zu den USA keine Entschädigung erhalten. Er könne die Verärgerung darüber verstehen. Es gebe aber unterschiedliche Rechtsrahmen. Auch habe der Wiederverkaufswert für die betreffenden Autos in den USA stark gelitten. Das sei in Deutschland nicht der Fall.

Der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Die Linke) forderte nach der Befragung von Weil Piëch auf, sich dem Ausschuss zu stellen. Was zutreffend sei oder nicht, sei nicht per Mehrheitsentscheidung, sondern anhand von Fakten zu ergründen. Der Ausschuss hat Piëch geladen, er muss aber als österreichischer Staatsbürger nicht erscheinen. Wenn Piëch bei seinem Nein bleibe, entwerte das seine Vorwürfe, sagte Behrens.

„Aussage Weils ein bisschen schräg“

Auch SPD-Obfrau Kirsten Lühmann forderte Piëch ebenfalls auf, das vermeintliche Dokument für seine Darstellung vorzulegen und im Ausschuss auszusagen. CDU/CSU-Obmann Ulrich Lange nannte die Aussage von Weil „ein bisschen schräg“, aus der „Tagesschau“ von dem Skandal erfahren zu haben.

Als Ministerpräsident, Vertreter des Minderheitsaktionärs Niedersachsen und Aufsichtsratsmitglied komme Weil schließlich eine Schlüsselrolle bei VW zu. Die Frage, wer wann was wusste, sei weiter offen. Grünen-Obmann Oliver Krischer zweifelte an den Strukturen bei VW und dem Aufsichtsrat, wenn Weil erst durch das Fernsehen Kenntnis erhalten habe.

Dobrindt setzt auf „vollumfängliche Aufklärung“

Wie Weil erklärte auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), erst am 19. September 2015 von den Vorgängen bei Volkswagen erfahren zu haben. Die Bundesregierung habe unmittelbar gehandelt. Zwei Tage später habe er eine Untersuchungskommission eingesetzt. Er setze auf eine vollumfängliche Aufklärung und die Wiederherstellung der Rechtskonformität der betreffenden Autos.

Bis heute habe VW 1,35 von 2,4 Millionen Autos in Deutschland umgerüstet. Die Maßnahmen dürften bis September abgeschlossen sein. Volkswagen garantiere mit einer Bescheinigung, dass die umgerüsteten Autos keinerlei Verschlechterung aufweisen.

Unangemeldete Dopingtests des Kraftfahrt-Bundesamtes

Zudem sei das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) seit April 2016 angewiesen, vor einer Typgenehmigung von einem Hersteller eine Erklärung zu verlangen, ob sie eine Abschalteinrichtung verwenden und wie sie gegebenenfalls wirke. Das KBA führe ab Februar dieses Jahres zudem unangemeldete Dopingtests durch. Das Amt habe dazu mobile Messgeräte angeschafft und ein eigenes Testgelände erhalten.

Dobrindt forderte eine Änderung der EU-Verordnung 715/2007, die Abschalteinrichtungen verbietet, aber Ausnahmen etwa zum Motorschutz zulässt. Die Vorgaben seien ungenau und führten dazu, „dass im Zweifel der schlechteste Ingenieur die meisten Ausnahmen für sich in Anspruch nehmen kann“. Zwar gebe es seit Januar neue Leitlinien der EU-Kommission dazu. Eine rechtlich verbindliche Konkretisierung sei aber „dringend notwendig“. Deutschland habe schneller und wirksamer als andere europäische Staaten Maßnahmen ergriffen, betonte der Minister.

Krasenbrink: Wir sind keine Motorenentwickler

Zu Beginn befragte der Ausschuss den EU-Beamten Alois Krasenbrink. Er arbeitet in der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission (JRC), die in Italien ein eigenes Testlabor unterhält. Ab 2005 wurden mit mobilen Messgeräten zunächst Lkw auf der Straße getestet, später auch Pkw. Bei einer Untersuchung von je sechs Dieselautos und Benzinern wurde festgestellt, dass Dieselfahrzeuge auf der Straße die Stickoxidgrenzwerte nicht einhalten. In einem Bericht von Anfang 2011 wurde dies publiziert. Die Abweichungen zu den Laborergebnissen seien „bemerkenswert“ und nicht auf einen Hersteller begrenzt gewesen. Unter den sechs getesteten Diesel waren zwei VW, zwei Fiat sowie je eines von Renault und BMW 

Die Gründe für die Abweichungen habe man nicht verifizieren können, sagte Krasenbrink. „Wir sind keine Motorenentwickler“, betonte er. Kenntnis von illegalen Einrichtungen zum Abschalten der Abgasreinigung habe er vor September 2015 nicht gehabt.

Dobrindt weist Vorwürfe zurück

Das Bundesverkehrsministerium weist Vorwürfe zurück, es habe nach Entdecken des VW-Skandals andere Hersteller geschont. „Die sind nicht freigesprochen worden“, sagte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) anschließend im Ausschuss. Es habe bei vielen Autos Zweifel gegeben, ob die verwendete Emissionsstrategie mit europäischen Regelungen vereinbar sei. Man habe ihnen daher die „Aufgabe gegeben“, ihre Fahrzeuge „in einen optimierten Zustand zu bringen“.

Die von Dobrindt eingesetzte Untersuchungskommission hatte 53 Diesel-Modelle untersucht, um herauszufinden, ob auch andere Autoproduzenten wie VW unzulässige Einrichtungen zum Abschalten der Abgasreinigung verwenden. Die Kommission teilte die Autos dann in drei Gruppen ein. In Gruppe eins kamen Fahrzeuge, die keine Abschalteinrichtung nutzen oder deren Verwendung schlüssig erklären konnten. Gruppe drei umfasste die Autos aus dem VW-Konzern, die wegen der verbotenen Software umgerüstet werden sollten.

Nachrüstung betraf rund 620.000 Autos

In der Gruppe zwei sortierte man jene Autos ein, bei denen die Kommission nach Feststellung hoher Stickoxidwerte am Ende Zweifel hatte, ob die entsprechende Software noch legal ist und gänzlich mit dem Schutz des Motors begründet werden kann. Diese Hersteller nutzten sogenannte Thermofenster, außerhalb derer die Abgasreinigung abgeriegelt wird. Sie erklärten sich freiwillig zu „Serviceaktionen“ bereit. Die Nachrüstung betraf rund 630.000 Autos von Audi, Mercedes, Opel, Porsche und Volkswagen.

Ein Sonderfall stellt Fiat dar. Dort sah die Kommission die Verwendung einer illegalen Abschalteinrichtung als gegeben an und bat den Hersteller zum Gespräch. Bei einem ersten Treffen zeigte sich der Fiat-Vertreter laut Dobrindt ahnungslos, ein zweites Treffen ließ Fiat platzen mit dem Hinweis, die Kommission sei nicht zuständig, sondern die italienische Typgenehmigungsbehörde.

„EU sollte Schiedsrichterrolle einnehmen“

Auch weist Italien die Vorwürfe zurück. Das Vorgehen sei vollkommen unangemessen, schließlich befänden sich diese Fahrzeuge im deutschen Markt, sagte Dobrindt. Der Streit ist nicht entschieden, er befindet sich in einem Mediationsverfahren, bei dem die EU-Kommission vermittelt. Dobrindt mahnte, die EU dürfe nicht nur moderieren, sondern sollte eine Schiedsrichterrolle einnehmen.

In seiner viereinhalbstündigen Befragung betonte der Minister, er habe am 19. September 2015 erst aus den Medien von der Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen durch VW erfahren und umgehend gehandelt. Am 21. September habe er sich in München mit VW-Chef Martin Winterkorn und dem Präsidenten des Kraftfahrt-Bundesamtes, Ekhard Zinke, getroffen.

„Ein Scheunentor für Missbrauch“

Am selben Tag habe er die Einsetzung der Untersuchungskommission entschieden, die einen Tag später erstmals und bislang 70 mal tagte. Dass die Kommission nur mit Vertretern des Ministeriums und des KBA unter Hinzuziehung eines externen Sachverständigen bestückt war, erklärte Dobrindt damit, dass die Aufklärung schnell erfolgen sollte. Auch sei beim KBA die Fachkenntnis vorhanden, zudem sei sein Haus politisch verantwortlich.

Erneut kritisierte Dobrindt die EU-Verordnung 715/2007, die Abschalteinrichtungen verbietet, aber Ausnahmen erlaubt. Die unklare Regelung sei ein „Scheunentor für Missbrauch“. Wann die Untersuchungskommission ihren Bericht zu den Kohlendioxidmessungen vorlegt, ließ der Minister offen. Die Untersuchungen dauerten an. Der Report zu den Stickoxidwerten wurde bereits am 22. April 2016 publik gemacht.

„Es gibt kein Versagen der Bundesregierung“

Die Fraktionen bewerteten die Aussagen des Ministers gegensätzlich. Eine Skandalisierung des Verhaltens der Bundesregierung sei definitiv nicht zu erkennen, sagte der Obmann von CDU/CSU, Ulrich Lange. „Es gibt kein Versagen der Bundesregierung oder staatlicher Stellen“, sagte der CSU-Politiker. Es handele sich um einen VW-Skandal. Es stellten sich weiter Fragen zur Verantwortung des VW-Aufsichtsrates.

SPD-Obfrau Kirsten Lühmann betonte, die Abweichungen der realen von den Laborwerten seien lange bekannt, aber mit der Entwicklung von Regelungen für Straßentests habe man auf europäischer Ebene etwas getan. Bei den Sanktionen könne man aber künftig weiter gehen als der von Dobrindt genannte Entzug der Typgenehmigung.

Opposition unzufrieden

Unzufrieden zeigte sich die Opposition nach Dobrindts Vernehmung. Der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Die Linke) monierte, es habe keinen Erkenntnisfortschritt gegeben. Die Antworten des Ministers blieben zum Teil hinter dem zurück, was man ohnehin wusste.

Wichtige Fragen seien weiter offen und müssten im Abschlussbericht benannt werden. Grünen-Obmann Oliver Krischer sah den Vorwurf seiner Fraktion erhärtet, dass Staatsversagen den Skandal begünstigt habe. „Das Problem ist konsequent ignoriert worden“, kritisierte Krischer. (stu/17.02.2017)

Liste der geladenen Zeugen 

  • Alois Krasenbrink, Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission
  • Stephan Weil, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen
  • Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur 

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