Spanier am Föderalismus und an dualer Ausbildung interessiert
Spanien lässt viele Deutsche an ihren Urlaub denken. Das kann Jana Schimke (CDU/CSU), Vorsitzende der Deutsch-Spanischen Parlamentariergruppe, gut verstehen – auch ihr Bundestagswahlkreis im südlichen Brandenburg umschließt touristische Regionen, vom Spreewald bis zur Lausitz. Für Spanien stellen der Tourismus und die deutschen Urlauber einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor dar. Rund zehn Millionen Deutsche besuchen das Land zwischen Atlantik und Mittelmeer jährlich.
Die fünftgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union ist einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Deutschlands. Außerdem bestehen enge politische und kulturelle Beziehungen. Die Zusammenarbeit mit Spanien ist auch Gegenstand der parlamentarischen Arbeit des Deutschen Bundestages. Zuständig dafür ist die Deutsch-Spanische Parlamentariergruppe, eine von 54 Parlamentariergruppen, die kontinuierlich die Beziehungen zu einem oder mehreren Ländern pflegen.
Erfahrungen fließen in die Parlamentsarbeit ein
Spanien zu verstehen, diesem Land in wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten zu helfen, umgekehrt aber auch etwas von den Spaniern zu lernen, kurzum, einen intensiven Austausch zu dieser faszinierenden und wichtigen Nation zu pflegen, sei ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen ein wesentliches Anliegen und habe sie bewogen, 2014 den Vorsitz der Parlamentariergruppe zu übernehmen, sagt Jana Schimke.
„Wenn man Politik gestalten will, ist es sinnvoll, sich andere Eindrücke zu verschaffen“, wirbt die Brandenburgerin für den Blick über den nationalen Tellerrand. Für die politische Arbeit im Deutschen Bundestag seien die Parlamentariergruppen eine Bereicherung, der Austausch zwischen den Abgeordneten zweier Länder eine kontinuierlich gelebte und gepflegte Kultur. Die Erfahrungen aus den Ländergruppen flössen in die Arbeit des Parlaments ein.
Parlamentariergruppe als zentrale Anlaufstelle
Einmal pro Wahlperiode, also alle vier Jahre, ist eine Delegationsreise deutscher Abgeordneter in ein Partnerland vorgesehen. Darüber hinaus bestehen zahlreiche Kontakte der Parlamentariergruppe und auch zwischen einzelnen Abgeordneten. Spanische Abgeordnete, die keine Gremien wie die Parlamentariergruppen kennen, kämen etwa zwei- bis dreimal pro Jahr nach Berlin, erzählt Schimke.
Diese und andere Besucher aus Spanien sähen in der Parlamentariergruppe des Bundestages eine zentrale Anlaufstelle in Deutschland. Deutsche Abgeordnete aus den unterschiedlichen Fachausschüssen stünden dann als Gesprächspartner zur Verfügung und vermittelten weitere Ansprechpartner.
Spanier zeigen Interesse an dualem Ausbildungssystem
Vor dem Hintergrund der zurückliegenden Wirtschaftskrise und noch immer hoher Arbeitslosenzahlen interessiere die Spanier hierzulande das Modell der dualen Ausbildung als ein Weg aus der Krise. Die starken regionalen und separatistischen Bewegungen im eigenen Land ließen die Spanier zudem nach der Funktionsweise des Föderalismus in Deutschland fragen. Deutschen Zuhörern wiederum erklärten die Spanier die aktuelle wirtschaftliche Lage ihres Landes und warben um Investitionen.
Wie kommt Spanien wirtschaftlich wieder auf die Beine? Vor allem diese Frage stellten sich die deutschen Abgeordneten bei ihrem Besuch im Oktober in Madrid. Dazu führten sie Gespräche mit Abgeordneten verschiedener Parlamentsausschüsse, dem Parlamentspräsidenten, der Ministerin für Arbeit und Soziale Sicherheit, den Dachverbänden der Arbeitgeber und Gewerkschaften und besuchten eine Arbeitsvermittlungsagentur.
Lage deutscher Investoren erkundet
In der deutschen Auslandshandelskammer für Spanien erkundeten die Bundestagsabgeordneten die Lage deutscher Investoren vor Ort, bei der deutschen Auslandsberufsschule FEDA nahmen sie Ausbildungsangebote für junge Leute in Augenschein, die dem dualen System nachempfunden sind, mit theoretischen und praktischen Modulen, und von der Kammer zertifiziert.
Um auch eine regionale Perspektive auf das Land zu erhalten, jenseits der Zentrale Madrid, sah die Delegationsreise einen Abstecher nach Valencia vor, Hauptstadt der Valencianischen Gemeinschaft, die eine der 17 autonomen Gemeinschaften Spaniens ist. Dort gewann man bei einem Treffen mit der Regionalregierung einen Eindruck über Entwicklungen im Tourismus und die Finanzlage der Region.
Gespräche mit der Geschäftsführung, dem Betriebsrat und Auszubildenden des Ford-Werks gaben einen aktuellen Einblick in die regionale Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation.
„Finanzkrise sehr gut bewältigt“
„Im Vergleich mit anderen EU-Mitgliedsländern hat Spanien die Finanzkrise sehr gut bewältigt“, stellt Schimke fest. Das Wirtschaftswachstum habe jüngst erneut zugelegt, die Zahl der Arbeitslosen sinke weiter leicht, wenn auch von einem hohen Niveau. Bei der Bewältigung der Krise profitiere das Land außerordentlich von seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union.
Ein ernstes Problem bleibe freilich die hohe Jugendarbeitslosigkeit. „Jungen Menschen in Spanien eine berufliche Perspektive zu bieten, dabei helfen wir gerne“, sagt Schimke. Dabei müsse man sich im Klaren darüber sein, dass es ein mühevoller Prozess sei, Errungenschaften wie das System der dualen Ausbildung aus Deutschland zu übernehmen. Seit 2012 gebe es in Spanien nun ein entsprechendes Gesetz zur dualen Ausbildung. Um darüber mehr zu erfahren und Eindrücke vor Ort zu sammeln, hätten sie und ihre Kollegen sich im Oktober nach Spanien aufgemacht.
Schimke: Madrid hat sich eine strenge Reformagenda verordnet
„Madrid hat sich eine sehr strenge Reformagenda verordnet“, bilanziert Schimke die wirtschafts- und sozialpolitischen Anstrengungen der spanischen Regierung der vergangenen Jahre, und hebt die Arbeitsmarktreformen und die Lockerung des Kündigungsrechtes hervor.
Von einigen dieser Weiterentwicklungen in Spanien könne auch die deutsche Seite lernen, sagt die Arbeitsmarktpolitikerin Schimke. So sei das spanische Kündigungsrecht aus unternehmerischer Sicht praktikabler als das deutsche, da es einer ganz anderen Systematik folge. Es sei nämlich mehr auf die Gewährung einer Abfindung als auf die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers ausgelegt.
Die Lage bleibt kompliziert
Zu den wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen infolge der Finanzkrise hatte Spanien bis Ende Oktober zudem fast ein Jahr lang mit einer handfesten politischen Krise zu kämpfen. So versuchten die Spanier seit den Parlamentswahlen vom 20. Dezember 2015 eine Regierung zu bilden, die sich auf eine stabile Parlamentsmehrheit stützt – ein schwieriges Unterfangen bei einem derart breiten politischen Spektrum, wie es die Wahlen zur Folge gehabt hatten. Regierungschef Mariano Rajoy war fast ein Jahr geschäftsführend im Amt.
„Die schwierige innenpolitische Lage überschattete alles“, gibt Schimke zu bedenken, „die Wartesituation des Landes belastete alle. Es herrschte politischer Stillstand, nichts konnte beschlossen werden.“ Erst Ende Oktober, quasi in letzter Minute vor der nächsten drohenden Neuwahl, gelang es dem Parlament, Rajoy erneut zum Ministerpräsident zu wählen. Die Lage bleibt allerdings kompliziert, bei der Wahl war seine Partei auf die Stimmen der Opposition angewiesen, seine Minderheitsregierung wird von der Zustimmung der Opposition abhängig bleiben.
Die Schwierigkeit, Reformen durchzusetzen
Bei all den Herausforderungen, vor denen Spanien stehe, werde vor Augen geführt, wie schwierig es sei, umfassende und nachhaltige Reformen durchzusetzen, und dass es zu großen Schritten meist erst einer schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage bedürfe.
Der Vergleich mit Spanien zeige ihr dabei immer wieder, wie gut es uns in Deutschland gehe, egal, ob man nun die Funktionsweise und Effizienz der Verwaltung betrachte oder das Ausbildungssystem. (ll/30.01.2017)