Opposition wirft Agrarminister Schmidt fehlende Strategie vor
„Die Entwicklung der ländlichen Räume darf kein politisches Randthema sein.“ Dieser von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) während seiner Rede zu Beginn der Debatte am Donnerstag, 19. Januar 2017, erhobenen Forderung stimmten Redner aller Fraktionen zu. Aus den Reihen der Oppositionsfraktionen wurde der Minister jedoch kritisiert, im Verlaufe seiner Amtszeit keine wirkungsvolle Strategie zur Stärkung der ländlichen Räume entwickelt zu haben. Beleg dafür sei der von Schmidt vorgelegte zweite Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume (18/10400), der die Planlosigkeit der Bundesregierung deutlich mache, sagte Heidrun Bluhm (Die Linke). Dr. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, der Minister sei zum Totengräber der bäuerlichen Landwirtschaft geworden.
Minister: Großer Schritt nach vorne
Gitta Connemann (CDU/CSU) warf hingegen den Grünen vor, die Realität zu negieren und Politik auf dem Rücken der Landwirte zu machen. Willi Brase (SPD) richtete seinen Blick schon in die kommende Legislaturperiode. Er hoffe, dass man dann intensiver über die benötigte Grundgesetzänderung sprechen werde, um die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Agrar- und Küstenschutz (GAK) zur Förderung ländlicher Räume weiterzuentwickeln.
Der vorgelegte Bericht zeige, dass es bei der Förderung der ländlichen Regionen einen großen Schritt nach vorne gegeben habe, sagte Landwirtschaftsminister Schmidt. Die Förderprogramme seien erweitert worden. Zugleich seien neue Programme geschaffen worden. „Das Geld ist gut angelegt“, befand Schmidt. Schließlich gelte es „den Blick auf die Notwendigkeiten der Regionen differenziert zu richten“.
Die Regionen „nördlich des Bodensees“ hätten ganz andere Problemlagen als Regionen, in denen immer weniger Menschen leben, und seien auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen. Der Minister kündigte an, sein Ministerium so umzubauen, dass die Entwicklung der ländlichen Räume stärker in den Mittelpunkt rückt.
Linke: Minister wirft Nebelkerzen
Heidrun Bluhm zeigte sich erfreut, dass die Bundesregierung „wenn auch ziemlich spät“ die Bedeutung des ländlichen Raumes beginne zu erkennen. Ebenso erfreulich sei, dass die Mittel für den ländlichen Raum „ein wenig aufgestockt wurden“, fügte die Linke-Abgeordnete hinzu. Dies alles seien erste Schritte, die aber an der Fehlentwicklung bei Städten auf der einen Seite und ländlichen Regionen auf der anderen Seite nichts Wesentliches ändern würden.
Bluhm warf dem Minister vor, Nebelkerzen zu werfen, um Engagement zu suggerieren. Tatsächlich sei aber das Handeln Schmidts von Flickschusterei geprägt. Die Linke-Abgeordnete sagte weiter, sie wolle die ländliche Entwicklung dauerhaft zu einem eigenen Politikfeld machen. „Ich kann mir ein Ministerium für ländliche Entwicklung gut vorstellen“, sagte sie.
Landesminister: Brauchen die Landwirtschaft zum Leben
Dr. Till Backhaus (SPD), Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, machte deutlich: „Wir alle brauchen die Landwirtschaft zum Leben.“ Daher dürfe die Landwirtschaft nicht unter einen Generalverdacht gestellt werden.
Konventionelle Landwirtschaft und ökologischer Landbau dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, fordert der Ländervertreter. Unter dem Stichwort Lebensmittelsicherheit sagte Backhaus, noch nie seien die Lebensmittel in Deutschland so sicher gewesen wie heute.
Grüne: Agrarministeriumn ein Klamaukministerium
Obwohl das Landwirtschaftsministerium eine sehr hohe Verantwortung habe, sei es unter Minister Schmidt zu einem Klamaukministerium geworden, kritisierte Anton Hofreiter.
Schmidt sei bei den entscheidenden Fragen untätig geblieben, weil er die Auseinandersetzung mit der Industrie gescheut habe, sagte der Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Statt Regeln festzulegen, habe sich der Minister immer wieder auf Freiwilligkeit verlassen.
CDU/CSU: Breitbandausbau und Wirtschaftsförderung wichtig
„Sie machen Politik auf dem Rücken der Landwirte“, warf Gitta Connemann den Grünen vor. Die Partei erkläre den Ernährungsstil zur Gewissensfrage, kritisiert die Unionsabgeordnete. Mit Blick auf Streitigkeiten zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium sagte Connemann, künftig müsse das Landwirtschaftsministerium die Kernkompetenz für den ländlichen Raum erhalten. Die Unionsabgeordnete sagte weiter, ihre Fraktion befasse sich mit dem Thema „Entwicklung des ländlichen Raums“ wie keine andere. Es müsse auch in Zukunft attraktiv sein, auf dem Land zu leben und zu arbeiten.
Wichtig dafür sei der Breitbandausbau ebenso wie eine Wirtschaftsförderung, die sich eben nicht nur an Ballungsräumen orientiere. Positiv bewertete Connemann, dass Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gezielt Mediziner fördere, die sich auf dem Land ansiedeln wollten. Die Unionsabgeordnete sprach sich sogar für die Einführung einer Landarztquote aus.
SPD lobt freiwilliges Engagement im ländlichen Raum
Es sei ein ermutigendes Signal, dass der Bund der Deutschen Landjugend unlängst gefordert habe, die Subventionierung der Landwirtschaft über kurz oder lang einzustellen, sagte Willi Brase. Zugleich lobte er das freiwillige Engagement der Menschen im ländlichen Raum. Wenn in Gegenden, in denen der öffentliche Personennahverkehr nicht mehr funktioniert, ehrenamtliche Bürgerbusse zur Verfügung gestellt würden, sei das etwas, wofür den Menschen Respekt und Lob gebühre, sagte der SPD-Abgeordnete. Brase, derzeit Vorsitzender des Unterschusses „Bürgerschaftliches Engagement“, forderte vor diesem Hintergrund, in der kommenden Legislaturperiode einen ständigen Ausschuss Bürgerschaftliches Engagement einzusetzen.
Der Bundestag überwies den zweiten Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume (18/10400) zusammen mit Anträgen der Linken (18/10861) und der Grünen (18/10872) sowie einem Entschließungsantrag der Linken (18/10877) zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Die Linke will die „Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher“ beenden und klare und verständliche Lebensmittelinformationen durchsetzen. Die Grünen fordern Zukunft für die Landwirtschaft. Gutes Essen brauche eine gute Landwirtschaft, ist ihr Antrag überschrieben.
Digitale Transformation auf dem Land
Wie es im Regierungsbericht heißt, werden viele ländliche Regionen in Deutschland mithilfe der Digitalisierung an die Entwicklung der Ballungsräume aufschließen können. Darüber hinaus werde die digitale Transformation auf dem Land eine Reihe von Erleichterungen im Hinblick auf die Überwindung von Distanzen, Verwaltung und medizinischer Versorgung mit sich bringen.
Allerdings werden große Unterschiede hinsichtlich der Wirtschaftskraft, Demografie und Grundversorgung zwischen den ländlichen Regionen erwartet. Schrumpfende Kommunen werden sich besonderen Herausforderungen einhergehend mit dem Leerstand von Fabriken, Kasernen, Ställen, Ladenlokalen, Wohngebäuden und dem Abbau von Infrastrukturen stellen müssen.
Regionalförderung für strukturschwache Regionen
Deshalb soll sich das System der Regionalförderung ab dem Jahr 2020 auf die strukturschwachen Regionen konzentrieren und die Differenzierung zwischen Ost und West beseitigt werden, heißt es in dem Bericht. Die entsprechende Grundlage für ein solches Fördersystem soll noch in dieser Legislaturperiode erarbeitet werden, um Planungssicherheit für die Zeit nach dem Jahr 2019 für die Bundesländer und ländlichen Räume herzustellen.
Zum Regierungsbericht legte Die Linke einen Entschließungsantrag (18/10877) vor, in dem die Regierung aufgefordert wird, ein Gesamtkonzept zu erarbeiten, das die negativen Entwicklungstendenzen der ländlichen Räume überwindet und für die nächsten zehn Jahre Handlungsempfehlungen zur Sicherung der gleichwertigen Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land aufzeigt.
Fünf Anträge der Grünen abgelehnt
Im Anschluss lehnte die Koalitionsmehrheit fünf Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab.
Darin hatten die Grünen ein Ende der Kükentötung (18/7878, 18/10896), die Begrenzung der Milchmenge (18/8618, 18/10897), eine Tierhaltungskennzeichnung für Fleisch (18/4812, 18/10898) und ein bundeseinheitliches Gentechnik-Anbauverbot (18/3550, 18/3843) gefordert. Zudem verlangte die Fraktion Sofortmaßnahmen für die Agrarwende (18/4191, 18/10899). (hau/eis/19.01.2017)