03.07.2024 | Dokumente

Tagesaktuelles Plenarprotokoll 20/180

 

**** NACH § 117 GOBT AUTORISIERTE FASSUNG ****

*** bis 14.05 Uhr ***

 

Deutscher Bundestag

 

180. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2024

Beginn: 13.00 Uhr

 

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Tag. Die Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: 

 

 

ZP 1

 

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU

Gewalttäter aus Parallelgesellschaften – Ursachen und Konsequenzen der Tat von Bad Oeynhausen ehrlich benennen

 

 

 

ZP 2

 

Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP

Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

Drucksache 20/12088

Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

 

 

ZP 3

 

Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU

Demokratie stärken – Für eine echte Parlamentsreform im Deutschen Bundestag

Drucksache 20/12087

Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

 

 

ZP 4

 

Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 30)

 

 

 

 

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Genehmigungsverfahren

Drucksache 20/11980

Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Inneres und Heimat (f)

Rechtsausschuss

Wirtschaftsausschuss

Verkehrsausschuss

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz

 

 

ZP 5

 

Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 31)

 

 

 

a)

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Merz, Alexander Dobrindt, Thorsten Frei, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Einsetzung des 2. Untersuchungsausschusses der 20. Wahlperiode

Drucksachen 20/11731, 20/…

 

 

 

 

b)

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Janich, Dr. Gottfried Curio, Martin Hess, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD

Bundespolizei in Grenzregionen wirksam entlasten 

Drucksachen 20/10616, 20/11421

 

 

 

ZP 6

 

Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU

Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45d des Grundgesetzes

Drucksache 20/12111

 

 

 

ZP 7

Wahl der Mitglieder des Beirates bei der Koordinierungsstelle für Digitale Dienste nach § 21 des Digitale-Dienste-Gesetzes (DDG)

 

 

 

a)

Wahlvorschlag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP 

Wahl der Mitglieder des Beirates bei der Koordinierungsstelle für Digitale Dienste nach § 21 des Digitale-Dienste-Gesetzes (DDG)

Drucksache 20/…

 

 

 

b)

Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU

Wahl der Mitglieder des Beirates bei der Koordinierungsstelle für Digitale Dienste nach § 21 des Digitale-Dienste-Gesetzes (DDG)

Drucksache 20/…

 

 

 

c)

Wahlvorschlag der Fraktionen der AfD

Wahl der Mitglieder des Beirates bei der Koordinierungsstelle für Digitale Dienste nach § 21 des Digitale-Dienste-Gesetzes (DDG) 

Drucksache 20/…

 

 

 

ZP 8

 

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP

zu den Ergebnissen der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen

 

 

 

ZP 9

 

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Medizinforschungsgesetzes

Drucksache 20/11561

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss)

Drucksache 20/…

 

 

 

ZP 10

 

Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU

Die Grenzkontrollen haben sich bewährt – Deutschlands Grenzen auch über die Europameisterschaft hinaus schützen

Drucksache 20/12101

 

 

 

ZP 11

 

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des GAP-Konditionalitäten-Gesetzes

Drucksache 20/10819

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

Drucksache 20/…

 

 

 

ZP 12

 

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung agrarrechtlicher Vorschriften

Drucksache 20/11948

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

Drucksache 20/…

 

 

 

ZP 13

 

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Tarifermäßigung für Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft

Drucksache 20/11947

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

Drucksache 20/…

 

 

 

ZP 14

 

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU

Landwirtschaft tatsächlich entlasten – 
Versprechen der Bundesregierung umgehend umsetzen

Drucksachen 20/11951, 20/…

 

 

 

ZP 15

 

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd Schattner, Stephan Protschka, Peter Felser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD

Die deutsche Landwirtschaft wirklich entlasten 

Drucksachen 20/11958, 20/…

 

 

 

ZP 16

 

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Gruppe Die Linke

Vertrauen in die Bahn stärken – Investitionen statt Kappung von Verbindungen

 

 

 

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. 

Der Tagesordnungspunkt 7 wird abgesetzt. 

Die weiteren Änderungen und Ergänzungen sowie den geänderten Ablauf der Beratung im Übrigen können Sie der Zusatzpunkteliste entnehmen. 

Ich sehe keinen Widerspruch. Dann sind Sie damit einverstanden; dann ist das so beschlossen. 

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: 

 

 

 

Befragung der Bundesregierung 

 

 

Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass heute der Bundeskanzler, Herr Olaf Scholz, zur Verfügung steht. 

Herr Bundeskanzler, Sie haben das Wort für Ihre einleitenden Ausführungen.

Olaf Scholz, Bundeskanzler: 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind in sehr ernsten Zeiten. Das haben uns die jüngsten Wahlen in Frankreich gezeigt genauso wie viele andere Verwerfungen, mit denen wir zu kämpfen haben. Das haben uns auch die großen Herausforderungen gezeigt, mit denen die Bürgerinnen und Bürger seit vielen Jahren umgehen müssen: die Coronapandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Folgen, die das hat für wirtschaftliche Entwicklung, Energiesicherheit und Inflation, mit denen wir so lange kämpfen mussten. 

Und selbstverständlich sind das Zeiten, in denen die Unsicherheit große Gefahren mit sich bringt und es deshalb wichtig ist, Klarheit zu haben über das, was zu tun ist. Ich bin deshalb sehr froh, dass es bei dem letzten Europäischen Rat gelungen ist, schnell Entscheidungen zu treffen, was die Institutionen Europas betrifft, nämlich einen Vorschlag zu machen, wer die nächste Kommissionspräsidentin wird, in der Frage, wer der nächste Außenminister oder die nächste Außenministerin der EU sein wird, der oder die Hohe Repräsentantin, und was den Ratsvorsitz betrifft - ein klares Zeichen der Stabilität in solchen Zeiten und deshalb auch sehr gut. 

Dazu passt auch die gestrige Regierungskonsultation mit Polen - seit langer Zeit wieder eine; 2018 hat die letzte stattgefunden. Ich erinnere mich noch; ich war damals in anderer Funktion dabei. Es ist gut, dass nach so langer Pause hier eine gute Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Nationen, aber auch den beiden Regierungen stattfinden kann. Das kann auch ein wichtiger Anker der Stabilität in Europa sein, auf den wir in der Zukunft setzen und bauen müssen. 

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Natürlich sind solche Zeiten auch Zeiten, in denen diejenigen, die den Blick in die Vergangenheit wagen wollen und sie irgendwie für besser halten als das, was wir heute haben, und die die Menschen gegeneinander aufbringen wollen, von der Unsicherheit zu profitieren suchen; auch das haben wir bei den Wahlen gesehen. Umso wichtiger ist es, dass wir klare Grundsätze und Prinzipien haben, mit denen wir die Bewältigung der Aufgaben für die Sicherheit Europas und unseres Landes gewährleisten. 

Da geht es zunächst mal ganz materiell um die Sicherheit im Äußeren und Inneren. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass in solchen Zeiten eine stabile Bundeswehr und das, was wir für die Polizei tun, für die Dienste, die in der inneren Sicherheit erforderlich sind, große Bedeutung haben. 

Es geht um die Frage, wie wir es sicherstellen, dass ein gutes Miteinander stattfinden kann, dass wir Zusammenhalt haben in dieser Gesellschaft. 

Und natürlich geht es immer auch um Wachstum. Wir brauchen Wachstumspotenziale für die Zukunft, damit nicht das Nullsummendenken das Miteinander beeinträchtigt. 

In Gesellschaften, in denen alle nur noch denken, dass das, was jemand an zusätzlichen Investitionen in einem Bereich, der ihn interessiert, bekommt, was dort an Unterstützung gewährt wird, etwas ist, das auf eigene Kosten geschieht, kann man nicht zuversichtlich nach vorne blicken und auch keine Perspektiven für eine gute Zukunft entwickeln.

(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel (AfD))

Darum, glaube ich, geht es genau: um diese drei Fragen - übrigens auch, wenn die Bundesregierung jetzt auf den letzten Metern über den Haushalt berät, den sie diesem Parlament vorschlägt für das nächste Jahr. 

(Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Auf der letzten Rille!)

Auch das sind dann die klaren Kriterien, um die es geht: Sicherheit, Wachstum und Zusammenhalt für die Zukunft. 

Ich bin überzeugt, dass uns das auch gelingen wird und dass wir deshalb eine entsprechende Perspektive für unser Land entwickeln können.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ansonsten freue ich mich auf Ihre Fragen.

Präsidentin Bärbel Bas: 

Vielen Dank. - Wir beginnen nun mit der Befragung des Bundeskanzlers. Ich weise schon mal alle darauf hin, sich an die vorgegebenen Zeiten zu halten - auch den Bundeskanzler bitte ich darum, bei der Beantwortung sich an die Zeiten zu halten -, damit so viele Abgeordnete wie möglich ihre Fragen stellen können.

Es beginnt aus der CDU/CSU-Fraktion Dr. Mathias Middelberg.

Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben das Stichwort „Wachstum“ ja schon in Ihren einleitenden Ausführungen angesprochen. Ich würde Sie gern an ein Zeitungsinterview erinnern, das Sie vor gut einem Jahr der „Lausitzer Rundschau“ gegeben hatten. Im März 2023 haben Sie ein Wirtschaftswunder für dieses Land quasi angekündigt. Sie haben wortwörtlich gesagt:

„Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er- und 1960er-Jahren …“

In den 50er-Jahren hatten wir im Schnitt 8 Prozent Wachstum, in den 60er-Jahren im Schnitt über 4 Prozent Wachstum. 

Ihre Bilanz sieht jetzt etwas anders aus: im letzten Jahr Rückgang, in diesem Jahr irgendwas um null. Meine Frage wäre: Wann können wir mit Ihrem Wirtschaftswunder und mit den 4 oder 8 Prozent Wachstum pro Jahr rechnen?

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Harald Weyel (AfD): Nach den Wahlen!)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Es ist wichtig, dass wir wissen, unter welchen Bedingungen wir arbeiten. Ich habe schon auf die Krisen hingewiesen, mit denen wir zu kämpfen hatten. Da war - ich glaube, auch Sie haben davon eine Vorstellung - ein Angriffskrieg, der stattgefunden hat, mit Konsequenzen für die Gas- und Energieversorgung in Deutschland. Beinahe wäre es dazu gekommen, dass Deutschland seine Energiesicherheit nicht hätte gewährleisten können, weil zum Beispiel 50 Prozent der Gaslieferungen ausgefallen sind.

Wir haben es geschafft, da durchzukommen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir haben unsere Wirtschaft gerettet und Arbeitsplätze gesichert. Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Energiepreisinflation und die Folgen der Inflation wieder zurückgegangen sind, zunächst mit Subventionen, dann mit all den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, damit das tatsächlich auch passieren kann. Wir haben die Grundlagen dafür gelegt, dass die Inflation wieder zurückgeht - übrigens auch mit der Politik der Europäischen Zentralbank, die wir begleitet haben.

Alles zusammen hat die Grundlagen dafür gelegt, dass wir die ersten guten Daten für eine wirtschaftliche Besserung in Deutschland bekommen. 

(Zuruf von der CDU/CSU: Wann denn? Wann kommt die denn?)

Es ist wichtig, dass wir jetzt aber nicht innehalten, sondern dafür Sorge tragen, dass wir die Möglichkeiten auch weiter verbessern.

Ich habe in der Regierungserklärung hier im Bundestag einen Wachstumsturbo angekündigt und will Ihnen deshalb sagen: Genau daran arbeitet die Regierung in diesem Moment, und zusammen mit dem Haushalt wollen wir genau einen solchen Wachstumsturbo auch vorstellen.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz (CDU/CSU): Na ja, na ja!)

Und ansonsten will ich gerne noch ergänzen: Ja, ich bin überzeugt, dass mit den Weichenstellungen, die wir getroffen haben, auch die wirtschaftliche Dynamik eine unglaubliche Belebung bekommen kann, wenn die vielen Hundert Milliarden Euro investiert werden, zum Beispiel in unsere Energieinfrastruktur - um nur ein Thema zu nennen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Jetzt geht auch mein Mikro wieder. 

(Zurufe von der AfD: Ah!)

Sonst hätte ich Sie gerade unterbrochen. Ich bitte wirklich, die Zeiten einzuhalten.

Jetzt hat der Herr Dr. Middelberg noch eine Nachfrage. 

Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): 

Eigentlich zwei, aber egal.

Präsidentin Bärbel Bas: 

Erst mal eine Nachfrage.

Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): 

Okay, erste Nachfrage dann. - Nur der Hinweis: Das Interview haben Sie im März 2023 gegeben - da dauerten der Ukrainekrieg und auch die Energiekrise leider schon ein Jahr an -, also im vollen Wissen dessen, worauf Sie eben entschuldigend hingewiesen haben.

Ich will jetzt nur klarstellen: Sie haben auch von „Wachstumsturbo“ gesprochen, und wir müssen natürlich Maßnahmen ins Werk setzen. Nur, dazu brauchen Sie eine Grundlage; dazu brauchen Sie einen Haushalt. Den hätten Sie heute eigentlich im Kabinett beschließen wollen. Können Sie uns heute, Herr Bundeskanzler, denn verlässlich sagen, wann wir einen beratungsfähigen Haushalt im Kabinett erwarten dürfen und wann im Parlament?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ich kann Ihnen darauf eine sehr klare Antwort geben, aber will zunächst noch einmal sagen: Ich bleibe bei dem, was ich in der „Lausitzer Rundschau“ und auch an anderen Stellen gesagt habe, 

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Das ist das Problem! Genau das ist das Problem! - Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Dann müssen Sie das auch mal umsetzen!)

nämlich dass wir mit den Grundlagen, die wir gelegt haben, die Basis dafür geschaffen haben, dass gutes Wachstum in Deutschland möglich wird, mehr als in der Vergangenheit.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Parallelwelt! - Friedrich Merz (CDU/CSU): Das ist eine Parallelwelt!)

Wir haben die Phase der Unsicherheit über den Weg, den Deutschland bei der Modernisierung einschlägt, beendet, indem wir dafür gesorgt haben, dass der Ausbau der Energieinfrastruktur klappt mit Erneuerbaren, dass die Wasserstoffwirtschaft nicht nur eine große Idee ist, 

(Zuruf von der CDU/CSU: Frage beantworten!)

sondern etwas ist, das real passiert. Im Übrigen haben wir dafür gesorgt, dass überall Wachstumspotenziale, ob es nun Pharmaindustrie, künstliche Intelligenz oder Quantencomputer betrifft, gehoben werden. Wir werden das sehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Herr Bundeskanzler, bitte die Zeit.

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ansonsten ist es so, dass ich Ihnen versichern kann, dass wir den Haushalt in diesem Monat im Bundeskabinett wie geplant beschließen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Nadine Schön (CDU/CSU): In diesem Monat!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine zweite Nachfrage stellen.

Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wir halten also fest: in diesem Monat. Das ist ja wenigstens mal eine einigermaßen konkrete Aussage von Ihnen: in diesem Monat.

Olaf Scholz, Bundeskanzler: 

Sie haben schon in den Zeitungen gelesen, dass es die Kabinettsitzung im Juli ist; das ist kein Geheimnis, das ich Ihnen hier verrate.

Präsidentin Bärbel Bas: 

Herr Bundeskanzler, Herr Middelberg hat seine Frage noch nicht gestellt.

Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): 

Das Problem, Herr Bundeskanzler, bei Ihnen ist: Sie sollten hier Rede und Antwort stehen im Parlament und Rechtfertigung abgeben gegenüber dem Parlament.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Es ist schon schlimm genug, dass wir alle diese Dinge immer nur durch Zeitungslektüre erfahren; das sage ich ganz offen. Ich finde das einen unmöglichen Umgang mit dem Parlament, das am Ende diesen Haushalt ja auch noch beraten muss.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

So ein Haushalt hat ein paar Tausend Seiten. Also, so geht es nicht, dass Sie ewig intern beraten und dass dann mal irgendwann dem Parlament vorlegen.

Meine Frage jetzt im Konkreten - Herr Lindner und seine FDP sind ja schon lange an diesem Thema dran, es müsse die Wirtschaftswende kommen; Sie nennen das jetzt „Wachstumsturbo“ -: Können wir denn erwarten, dass von den zwölf konkreten Punkten, die die FDP benannt hat, überhaupt irgendeiner in diesem Wachstumsturbo oder in Ihrem Haushalt sich wiederfindet?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Reinhard Houben (FDP), an den Abg. Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) gewandt: Das müssten Sie eigentlich uns fragen und nicht den Kanzler!)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Da höre ich gerade den Zwischenruf, das müsse ja die FDP gefragt werden. - Aber ich will Ihnen gerne sagen: Die Regierung wird ein gemeinsames Konzept vorlegen, in dem - das wird Sie überraschen - sehr viele sehr kluge Maßnahmen vorgesehen sind. Mir gefällt jedenfalls schon, was ich jetzt kenne.

Deshalb noch eine Bemerkung zu Ihrem Zwischenhinweis. Der Bundestag berät typischerweise nach der Sommerpause über den Haushalt und berät ihn dann bis zum Jahresende. An diesem Zeitablauf wird keine Beeinträchtigung zu finden sein.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz (CDU/CSU): Dann mal los!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Nyke Slawik. 

Nyke Slawik (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Werter Herr Bundeskanzler, über 11 Millionen Menschen nutzen das Deutschlandticket. Es sichert soziale, klimafreundliche und auch freie Bewegung in unserem Land. Es sichert Millionen Menschen den Weg zur Arbeit, zur Schule, zur Ausbildung und zur Uni. Es ist ein riesiger Fortschritt auf dem Weg zu einem besseren ÖPNV.

Auf der MPK im letzten Herbst und einer VMK Anfang des Jahres wurde beschlossen, 2024 soll der Preis von 49 Euro gelten. Zuletzt stellte Finanzminister Christian Lindner das aber infrage. Herr Bundeskanzler, wie stehen Sie denn persönlich dazu? Können sich die Millionen Pendler/-innen auf eine Preisstabilität des 49-Euro-Tickets verlassen, das ihnen täglich Mobilität garantiert, oder wird es teurer werden?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Das Deutschlandticket ist in der Tat eine große Errungenschaft. Es hat den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland massiv gefördert, übrigens auch die Modernisierung und Digitalisierung, insofern ein rundum gelungenes Projekt. Ich will ausdrücklich sagen: Ich bin sehr begeistert über die große Zustimmung, die das Deutschlandticket hat bei denen, die es sich kaufen, aber auch insgesamt in der Bevölkerung.

Deshalb kann ich Ihnen versichern, dass wir, so wie mit den Ministerpräsidenten besprochen, die finanziellen Rahmenbedingungen schaffen werden, um eine eigenständige Entscheidung der Verkehrsministerkonferenz dieses Jahr wie auch in den nächsten Jahren jeweils zu ermöglichen. Es heißt ja „Deutschlandticket“ und wird hoffentlich auch viele Jahre in Deutschland zu nutzen sein. Deshalb wird es natürlich über die Jahre hin immer auch mal andere Preise geben. Jetzt werden wir aber diese Möglichkeit umsetzen, die wir angekündigt haben. Daran besteht kein Zweifel, übrigens auch nicht seitens des Finanzministers.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Nyke Slawik (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Vielen Dank. - Im letzten Jahr sind ja Ausgabereste übrig geblieben, die genutzt werden sollen, um den Ticketpreis in diesem Jahr zu stabilisieren. Habe ich Sie dann richtig verstanden, dass es für die kommenden Monate bei 49 Euro bleiben soll? Dafür braucht es ja noch eine Änderung des Regionalisierungsgesetzes hier im Deutschen Bundestag.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wird die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf in der Sommerpause noch vorlegen?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Das ist ja genau das, worauf ich eben angespielt habe. Wir arbeiten an der technisch nicht ganz einfachen Lösung für das Regionalisierungsgesetz. Aber wir haben uns genau nach der Verabredung mit den Ministerpräsidenten auf den Weg gemacht. Insofern wird das noch kommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Nyke Slawik (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank!)

Präsidentin Bärbel Bas:

Die nächste Frage stellt aus der Fraktion der AfD Dr. Bernd Baumann. 

Dr. Bernd Baumann (AfD): 

Herr Bundeskanzler, die große Mehrheit der Deutschen hat Angst. Sie fühlen sich fremd im eigenen Land wegen wachsender kultureller Parallelgesellschaften, die ganze Stadteile abschotten, das Kalifat ausrufen, Clanherrschaften errichten, Hamasmorde bejubeln und vieles mehr. Dabei geht es nicht um die Ausländer, sondern um bestimmte Migranten aus Orient und Afrika mit anderen Frauenbildern, Männerbildern, höherer Gewaltbereitschaft. Nur zwei Beispiele: Allein diese Flüchtlinge begingen seit 2017  52 000 Sexualdelikte. Bei den besonders abscheulichen Gruppenvergewaltigungen ist der Täteranteil von Afghanen 15-mal höher als ihr Anteil an der Bevölkerung.

Das Individuum kann ja immer auch anders sein; aber die Gesamtmuster bleiben erschreckend. Inwieweit spielen für Sie, Herr Bundeskanzler, kulturelle Prägungen aus diesen Herkunftsregionen eine Rolle bei all diesen Phänomenen?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Zunächst mal gibt es keine kulturelle Prägung irgendwo auf der Welt, die es akzeptabel macht, zum Beispiel Gewalt gegen Frauen auszuüben oder Vergewaltigung.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Deshalb sage ich noch mal: Wer so etwas tut, muss mit der Härte des Gesetzes rechnen. Er muss damit rechnen, dass er ausgewiesen wird, wenn er eine ausländische Staatsbürgerschaft hat, und wir werden das auch mit den gesetzlichen und praktischen Maßnahmen möglich machen, die wir haben, dass das funktionieren kann.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Ah ja!)

Ich sage Ihnen auch noch mal ausdrücklich: Es ist in keinem Fall irgendeine Rechtfertigung, die irgendjemand haben kann, dass er sagt: Ich komme aus einem Kulturkreis, der das anders sieht. - Hier ist Deutschland.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Dr. Bernd Baumann (AfD): 

Also für Sie sind kulturelle Unterschiede irgendwie vernachlässigungswürdig. Zuwanderung aus fremden Kulturen löse keine Probleme, sie schaffe „nur ein zusätzliches dickes Problem.“ Das sagte SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er sagte auch: „Wir können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag.“ Er hat recht behalten. Helmut Schmidt forderte deshalb wörtlich: „Wir müssen eine weitere Zuwanderung aus fremden Kulturen unterbinden.“

Sie, Herr Bundeskanzler, handeln genau entgegengesetzt. Warum?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Zunächst einmal will ich Sie darauf hinweisen, dass wir in der Europäischen Union Freizügigkeit haben und die Möglichkeit, hier berufstätig zu sein. Ein großer Teil derjenigen, die in Deutschland leben und hier in den letzten Jahren die Arbeit aufgenommen haben, stammt aus der Europäischen Union.

Auch für viele, die aus anderen Ländern kommen, gilt immer das Gleiche: Wer hier zum Beispiel erwerbstätig sein will und dabei sein will, muss arbeiten, muss die deutsche Sprache sprechen, muss sich an Recht und Gesetz halten und seine Kinder auf unsere Schulen schicken. Das ist das, was dazu beiträgt, dass wir heute eine Gesellschaft sind, in der ein erheblicher Teil der Bevölkerung einen Zuwanderungshintergrund hat; diese Menschen mit ihrem Zuwanderungshintergrund sind - so wie viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages hier - ein Teil unserer deutschen Gesellschaft. Und das werden wir uns von Ihnen nicht ausreden lassen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Deshalb ist es, genau wie Sie sagen: Es ist eine individuelle Pflicht, sich an die Werte und Gesetze dieses Landes zu halten. Und ich betone: nicht nur an die Gesetze, sondern auch an die Werte des gegenseitigen Respekts. Das erwarten wir von allen, die hier bei uns dabei sind, und das bleibt auch so.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie wirklich noch mal, die Zeiten einzuhalten. 

Ich komme jetzt zum nächsten Fragesteller. Das ist Johannes Schraps aus der SPD-Fraktion.

Johannes Schraps (SPD): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihren einleitenden Worten den zurückliegenden EU-Gipfel angesprochen. Darauf möchte ich jetzt zu sprechen kommen. Da ist es gelungen, wichtige Weichenstellungen für die nun anlaufende europäische Legislaturperiode vorzunehmen. Unter anderem ist es Ihnen und dem spanischen Ministerpräsidenten Sánchez zu verdanken, dass es ein Personalpaket gibt und man sich darauf geeinigt hat, für die nächsten Jahre einen Konsens zu finden zwischen den führenden demokratischen Parteienfamilien. Ich glaube, das ist eine große Errungenschaft.

Nachdem Sie uns in der letzten Woche in der Regierungserklärung die Positionen dargestellt haben, mit denen Sie in diesen Gipfel hineingehen, würde mich jetzt interessieren, wie Sie die Gipfelergebnisse aus der vergangenen Woche bewerten und was sich daraus für Chancen für Deutschland und für die Europäische Union für die Zukunft ergeben.

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Es ist so, dass wir in der Tat entlang dessen, was wir hier miteinander im Deutschen Bundestag diskutiert haben, was ich hier vorstellen konnte, auch die Verständigung in Europa gefunden haben. Und wir haben auch gleichzeitig in einem Gespräch der Parteienfamilien - der Sozialdemokraten, der Europäischen Volkspartei mit Tusk und Mitsotakis, der Liberalen mit Rutte und Emmanuel Macron - eine Verständigung gefunden über einen Vorschlag, den wir machen wollen, von dem wir gleichzeitig glauben, dass er eine politische Plattform im Parlament ist, die die künftige Kommissionspräsidentin und die Kommission tragen kann - aus genau diesen drei Parteienfamilien, ergänzt um andere, die sich da aufgerufen fühlen, zu unterstützen, wie zum Beispiel die Grünen im Europäischen Parlament, die das sicherlich auch in großem Umfang tun werden. 

Insofern ist das aus meiner Sicht eine gute Entscheidung, die dann auch vom Rat fast einvernehmlich getroffen worden ist, und ein Zeichen dafür, dass dieser Weg zur Stabilität auch mit schneller Geschwindigkeit eingeschlagen worden ist. 

Ansonsten haben wir die Leitlinien für die Arbeit der Kommission in der nächsten Zeit aus der Perspektive des Rates festgelegt. Auch die Kommissionspräsidentin wird daran arbeiten. Ich glaube aber, dass die großen Aufgaben, vor denen wir stehen, - 

Präsidentin Bärbel Bas: 

Herr Bundeskanzler, achten Sie bitte auf die Zeit.

(Johannes Steiniger (CDU/CSU): Da muss man mal eingreifen! - Dr. Alice Weidel (AfD): Was soll das? Jetzt zum wiederholten Mal!)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

- die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, das Wachstum zu fördern, mit dem menschengemachten Klimawandel umzugehen und die Sicherheitsaufgaben zu lösen, genau die Aufgaben sind um die es geht.

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen. 

Johannes Schraps (SPD): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Das würde ich sehr gerne. - Sie haben die wichtigen Herausforderungen angesprochen, die vor uns liegen. Über die Personalfragen hinaus ist ein Rahmen gesetzt worden. Mich würde interessieren, welche für Sie die prioritären Themen sind, die jetzt über diese Gipfelergebnisse hinausgehend priorisiert werden müssen und schnell angegangen werden müssen auf europäischer Ebene, damit wir vorankommen.

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

So wie hier in Deutschland ist ein ganz zentrales Thema unübersehbarerweise die Sicherheit. Wir leben auf einem Kontinent, in dem das größte Land dieses Kontinents, Russland, das zweitgrößte Land, die Ukraine, angegriffen hat. Und deshalb wird es die Agenda der künftigen Kommission und der gesamten Europäischen Union auch maßgeblich mit beeinflussen, dass wir die Unterstützung der Ukraine fortsetzen und Friedensmöglichkeiten ausloten. 

Gleichzeitig geht es natürlich um Wettbewerbsfähigkeit, um den europäischen Kapitalmarkt: Wie können wir die Wachstumspotenziale in Europa fördern und das miteinander gleichzeitig?

(Johannes Schraps (SPD): Vielen Dank!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der FDP-Fraktion Reinhard Houben.

Reinhard Houben (FDP): 

Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung hat ein Dynamisierungspaket zur Belebung der Wirtschaft angekündigt. Am Tag der Industrie haben Sie gesagt:

„Ich könnte mir vorstellen, dass wir in Sachen Abschreibung und Forschungsförderung noch eine Schippe drauflegen auf das, was uns mit dem Wachstumschancengesetz gelungen ist.“ 

Gibt es darüber hinaus weitere Überlegungen für das Dynamisierungspaket?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Oh ja, es gibt sehr viele Überlegungen, die ich jetzt hier im Einzelnen gar nicht alle vorab vorstellen will, weil wir ja noch nicht ganz durch sind. Aber ich kann Ihnen versichern, dass da schon sehr viele konkrete Vorschläge zusammengekommen sind, über die bereits komplette Einigkeit existiert, sodass ich davon ausgehe, dass der Rest auch noch geschafft wird; jedenfalls ist es mein sicherer Eindruck. 

Und in der Tat unterstreiche ich, was Sie in Ihrer Frage angesprochen haben: Es ist notwendig, dass wir da noch mal eine Schippe drauflegen, was diese Möglichkeiten betrifft. Ich habe es sehr bedauert, dass im Gespräch mit dem Bundesrat und im Gesetzgebungsverfahren unsere ursprünglich mutigeren Vorschläge nichts geworden sind. Aber wir wollen daran - vielleicht sogar noch ein bisschen stärker - anknüpfen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Reinhard Houben (FDP): 

Vielen Dank, Herr Bundeskanzler. - Das Bundesverfassungsgericht könnte uns kurzfristig vor die Herausforderung stellen, den Solidaritätszuschlag komplett abzuschaffen. 

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Ja!)

Wäre es aus Ihrer Sicht nicht sinnvoll, in einen Prozess einzusteigen, ihn peu à peu zu reduzieren? 

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Sie kennen die Position, die ich als sozialdemokratischer Politiker in mehreren Koalitionsverhandlungen, auch mit anderen Parteien, zu diesem Thema eingenommen habe. 

(Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Ich kann mich erinnern!)

Einige ändern sich, die hat sich nicht geändert.

Im Übrigen bin ich einigermaßen zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht die Ergänzungsabgabe als Instrument der Handlungsfähigkeit des Bundestages erhalten will. Es geht ja im Kern darum, dass man was tun kann, wenn man Geld für Aufgaben des Bundes braucht, die in einer besonderen Situation erforderlich erscheinen, und meint, dass es sich dabei ausschließlich um Bundeseinnahmen handeln sollte.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Das wird dieselbe Überraschung wie im November letzten Jahres!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der Fraktion CDU/CSU Nadine Schön.

Nadine Schön (CDU/CSU): 

Herr Bundeskanzler, Ihr Digitalminister Volker Wissing ist letzte Woche nach China gereist und hat dort eine Absichtserklärung zum Datenaustausch unterschrieben. Das hat empörten Widerstand hervorgerufen, und zwar aus allen Teilen Ihrer Koalition. Der digitalpolitische Sprecher Ihrer eigenen Fraktion hat gesagt, das sei ein Alleingang des Ministers, und hat ihn als „loose cannon“ bezeichnet. Und auch Sie haben das kritisiert. Sie haben gesagt - ich zitiere -, es sei wichtig, „dass man Sachen gemeinsam miteinander vereinbart und sich darauf einigt, dass die Dinge auch tatsächlich passieren“, und es sei bedauerlich, dass das hier nicht geschehen sei.

Herr Bundeskanzler, ein solches Thema wie der Datenaustausch mit China, das ist ja wirklich ein Thema, das im großen nationalen Interesse liegt. Da geht es um Persönlichkeitsrechte, da geht es um Sicherheitsinteressen. Und da muss man damit rechnen können und davon ausgehen können, dass hier die Bundesregierung mit einer Stimme spricht, dass das abgestimmt ist. Das war offensichtlich hier nicht der Fall. Und deshalb frage ich Sie: Welche Konsequenzen hat das Handeln von Minister Wissing?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Zunächst mal: Zum Prozedere habe ich alles gesagt; Sie haben das zitiert. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. - In der Sache will ich Ihnen gerne sagen, dass ich glaube, dass wir in der Tat Verständigung und Vereinbarungen brauchen, was den Datenaustausch angeht, und zwar solche, die zum Beispiel auch funktionieren für unsere Unternehmen. Wer sich mit denen zusammen in China aufhält, weiß, dass die große Probleme haben, mit denen sie sich rumschlagen, nämlich wie sie es bewerkstelligen können, dass die riesigen Datenmengen, die sie haben, ungefährdet genutzt werden können für die Zwecke, die sie dann in ihren Konzernzentralen in Deutschland verwirklichen wollen. Kein einfaches Thema. Deshalb ist es auch notwendig, dazu Vereinbarungen zu treffen. 

Sie haben den Minister angesprochen: Ich schätze ihn außerordentlich. Das ist ein großartiger Minister.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz (CDU/CSU): Ah ja!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Nadine Schön (CDU/CSU): 

Dennoch muss man konstatieren, dass es schon sehr überraschend ist, dass aus allen Teilen der Koalition Widerspruch kommt. Der Minister hat jetzt in einem Interview erklärt, das sei alles abgestimmt gewesen. Da verwundert mich, dass Sie sagen, das sei nicht abgestimmt gewesen. Deshalb würde mich interessieren: War Ihr Haus vorabinformiert, und hat Ihr Haus - oder Sie persönlich - sich denn zu dieser Vereinbarung auch positioniert?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Es hat dazu Abstimmungsprozesse gegeben, in der Tat. Und wie Sie ja meiner von Ihnen zitierten Bemerkung entnehmen können, ist der Abstimmungsprozess aus meiner Sicht noch nicht zu Ende gewesen.

(Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Aha! Das heißt, er hat das einfach so gemacht? - Friedrich Merz (CDU/CSU): Also tanzt Ihnen ein Minister auf der Nase herum!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die zweite Nachfrage stellt Dr. Reinhard Brandl.

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): 

Also, Herr Bundeskanzler, was ja jetzt im Raum steht, ist: Kann in Ihrer Regierung jeder Minister, wie er gerade lustig ist, in der Welt rumreisen und im Namen Deutschlands Abkommen unterzeichnen, oder haben Sie als Bundeskanzler noch einen Mindest- und einen Restanspruch auf Ihre Richtlinienkompetenz? 

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf der Abg. Emmi Zeulner (CDU/CSU))

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Drei kurze Antworten. Erstens: Nein. Zweitens. Selbstverständlich bestehe ich auf meiner Richtlinienkompetenz. Und drittens. Mit dem Minister habe ich auch freundlich gesprochen.

(Thomas Rachel (CDU/CSU): Wo sind denn Ihre Minister? Es ist ja keiner anwesend! Unmöglich!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der SPD-Fraktion Daniel Rinkert.

Daniel Rinkert (SPD): 

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Bundeskanzler, für Sie und die von Ihnen geführte Bundesregierung ist ja wichtig, die Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland erheblich zu beschleunigen; das teilen ja auch SPD, Grüne und FDP. Wir haben da schon viele Maßnahmen umgesetzt. Sie selbst haben am 6. November den Deutschlandpakt „Tempo“ mit den Bundesländern beschlossen; denn auch hier ist ja wichtig ist, dass die Länder mitmachen. 

Wir haben hier im Haus daraufhin zum Beispiel eine sehr große Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes beschlossen - das zentrale Genehmigungswerk für die Planungs- und Genehmigungsverfahren, als Booster für Wirtschaft und Klimaschutz. Jetzt hatten Sie in der vergangenen Woche eine erneute Konferenz mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder und haben das Monitoring besprochen. Wie fällt da Ihr Fazit aus beim Monitoring des Deutschlandpakts „Tempo“?

(Dr. Alice Weidel (AfD): Regierung fragt Regierung!)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Schönen Dank. - Ich will gerne sagen, dass das für mich ein ganz erfreuliches Gespräch war, das wir mit den Ländern geführt hatten, um den Deutschlandpakt abzuschließen. Das hat intensive Arbeit mit sich gebracht und unglaublich viele konkrete Aufträge für Bund und Länder für das, was sie jeweils zu bewerkstelligen haben. Und wir haben gleichzeitig - damit das nicht nur ein Papier ist, sondern Realität wird - ein Monitoring vereinbart, über das wir uns dann bei der letzten Zusammenkunft unterhalten konnten.

Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, sind über 30 Prozent der Maßnahmen bereits abgeschlossen, sind etwa 45 Prozent weitere angefangen; das gilt für Bund und Länder. Alle haben gesagt, dass sie das Monitoring so zu Ende führen werden, dass wir, wenn wir im nächsten Jahr zusammenkommen, in einem neuen Bericht dann hoffentlich 100 Prozent Umsetzung feststellen können. Das ist jetzt schnell gegangen, so schwierige Dinge zu lösen. Eine gute Sache!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Dr. Alice Weidel (AfD): O Gott!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Daniel Rinkert (SPD): 

Schönen Dank, Herr Bundeskanzler, für die Beantwortung der Frage. - Wo sehen Sie denn ganz konkret in den kommenden Monaten noch Handlungsbedarf, damit wir die selbstgesteckten Ziele eben auch gemeinsam erreichen können? Sie haben ja davon gesprochen, dass es wichtig ist, dass wir in einem föderalen Staat gemeinsam, mit Bund und Ländern, aber auch mit den Kommunen, dieses wichtige Thema umsetzen. 

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Den wichtigsten Handlungsbedarf sehe ich erst mal in einem großen Mentalitätswechsel im föderalen Gefüge Deutschlands. Viele Vorhaben, von denen alle in ihren Reden immer wieder angemahnt haben, dass sie schneller werden müssen, sind dann gar nicht angepackt worden, weil niemand sich getraut hat, das in dieser komplizierten Situation oft noch mit den Gemeinden und Landkreisen, mit den Ländern und dem Bund und vielen Institutionen hinzukriegen.

Mit dieser Verabredung haben wir im föderalen System Deutschlands einen Weg gefunden, trotzdem Tempo zu machen und Dinge gesetzgeberisch schnell zu ändern, mit der Folge, dass es ein entsprechend gesteigertes Tempo bei Planungen und Genehmigungen in Deutschland gibt. Das wird sich jetzt sehr schnell auch zeigen. Man merkt es schon jetzt an den Ausbauzahlen der erneuerbaren Energien. Aber es geht auch um ganz klassische Industrieanlagen, um Eisenbahnstrecken, Brücken und Straßen. Überall brauchen wir Tempo. Deshalb ist es gut, dass wir diesen Weg jetzt eingeschlagen haben.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Dürr (FDP))

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der AfD-Fraktion Leif-Erik Holm.

Leif-Erik Holm (AfD): 

Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung vor einer Woche gesagt: Wir müssen dafür sorgen, dass wieder Zuversicht in Deutschland wächst. - „Nur, woher soll die kommen?“, fragen wir uns. Energiekosten: viel zu hoch. Steuern und Abgaben: viel zu hoch. Bürokratie: erdrückend. Wachstum: null.

Im IMD-Standort-Ranking liegen wir nur noch auf Platz 24; vor zehn Jahren waren wir auf Platz 6. Es geht weiter abwärts. Sie kriegen nichts gebacken; das ganze Land liegt unter Scholz’schem Mehltau.

(Zuruf von der SPD: Ey!)

Das Wirtschaftspaket lässt weiter auf sich warten; das Bürokratieentlastungsgesetz wird weiter verschoben. Kein Wunder, dass nur noch 5 Prozent der befragten Unternehmer glauben, dass eine kompetente Regierung zu den Stärken Deutschlands gehört. Das können wir nur bestätigen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Sogar Ihrem grünen Koalitionspartner rennen die Abgeordneten weg - wegen der fatalen Wirtschaftspolitik der Ampel.

(Zuruf von der SPD: Frage!)

Und die FDP, namentlich der Kollege Kubicki, bringt im Haushaltsstreit jetzt auch die Vertrauensfrage ins Spiel.

Warum, Herr Bundeskanzler, schafft es die Ampel bei fast rekordverdächtigen Steuereinnahmen nicht, die Bürger und Unternehmen endlich substanziell zu entlasten, und das ohne Aussetzen der Schuldenbremse?

(Beifall bei der AfD)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Sie haben in Ihren Fragen eine ganze Reihe von falschen Behauptungen untergebracht, auf die ich jetzt nicht im Einzelnen eingehen will.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Dr. Alice Weidel (AfD): Es waren die falschen!)

Aber diese Befragung hat ja ein bisschen gezeigt, wie falsch Sie liegen. Gerade haben wir uns über mehr Tempo in Deutschland unterhalten, über die größte Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen in den letzten zwei Jahrzehnten, die mit den Gesetzen dieser Legislaturperiode zustande gekommen ist. Und da machen wir weiter. 

Das Gleiche gilt für die Energiepreise. Wir haben den großen Schock durch die Folgen des russischen Angriffskriegs und den Stopp der Gaslieferungen überstanden. Und jetzt sinken diese Preise wieder: zum einen, weil wir mit den erneuerbaren Energien eine billige Produktionsquelle für die Zukunft haben,

(Dr. Alice Weidel (AfD): Nee, das ist nämlich teuer!)

und zum anderen, weil wir mit dem Ausbau des Stromnetzes ebenfalls dafür sorgen, dass die riesigen Redispatch-Kosten, die wir heute haben, fallen, aber auch deshalb, weil wir sicherstellen, dass sich dann niedrigere Preise durchsetzen können. Sie können in jeder Statistik sehen, dass die zum Beispiel bei neuen Verträgen für Strom abbildbar ist.

Und zuletzt: Die Bundesregierung hat - um nur auf diesen einen Teil Ihrer Frage einzugehen - mit der Senkung der Stromsteuer für produzierende Unternehmen und der Verlängerung der Entlastungsmaßnahmen für große energieintensive Unternehmen einen substanziellen Beitrag dazu geleistet, dass das auch wirksam ankommen kann. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen. 

Leif-Erik Holm (AfD): 

Sie wissen genau, Herr Bundeskanzler: Das trifft ja nur einige wenige Unternehmen, nicht die kleineren Unternehmen, nicht die Bürger dieses Landes. 

Die Frage, die ich gestellt hatte, war eigentlich die nach den Entlastungen. Wo bleiben die Entlastungen? Und wenn Sie das Geld dafür im Haushalt im Moment nicht finden, wie wäre es denn damit, mal zu sparen, wie es jeder normale Haushalt macht, wenn das Geld nicht ausreicht? Es gibt genug Posten, die wir uns sparen könnten; jeder kennt die berühmt-berüchtigten Radwege in Peru.

(Zurufe von der SPD: Oah!)

Warum müssen wir klimaneutrales Kochen im Senegal finanzieren oder gendertransformative Ansätze zur Stärkung der Zivilgesellschaft in Kamerun

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

bzw. gendersensible Männerarbeit in der Karibik? Was soll das alles? Wie erklären Sie den Deutschen, dass wir solche Programme finanzieren, statt vielen Bürgern endlich mehr Netto vom Brutto zu geben? 

(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Johannes Huber (fraktionslos))

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ich hatte darauf gehofft, dass Sie in Ihrer Nachfrage noch mal auf einen Teil Ihrer falschen Behauptungen zurückkommen.

(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel (AfD))

Deshalb erinnere ich jetzt an dieser Stelle noch mal an einen anderen Teil unserer Diskussion, und zwar an meine Antwort auf die Frage eines FDP-Abgeordneten: Ja, wir haben ganz konkret Steuerentlastungen vor, zum Beispiel, was Forschungsförderung und die Dinge, die damit zusammenhängen, oder Abschreibungsmöglichkeiten betrifft. Deshalb können Sie sicher sein: Sie müssen nur noch ein bisschen warten, dann sehen Sie all diese Dinge. Das kriegen wir hin. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Hanna Steinmüller.

Hanna Steinmüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, die Suche nach bezahlbarem Wohnraum ist ja für viele Menschen in Deutschland eine große Herausforderung. Deutschland ist ein Mieterinnen- und Mieterland; mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung lebt zur Miete in den Städten und in den Kommunen.

Wir sehen aber: Die Angebotsmieten explodieren. In Berlin liegen sie im Durchschnitt bei 18 Euro, in München sogar bei über 20 Euro; auch bei Ihnen in Potsdam sieht es nicht anders aus. Deswegen brauchen gerade Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen ein starkes soziales Mietrecht, damit sie noch eine bezahlbare Wohnung finden können. 

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Mietpreisbremse verlängern und die Kappungsgrenzen absenken wollen. Wir wollen qualifizierte Mietspiegel einführen.

(Martin Reichardt (AfD): Wenn die Wohnungen nicht da sind, nützt auch kein Mietspiegel!)

Und wir wollen die Schonfristzahlung aufbessern.

Meine konkrete Frage an Sie: Wann kommen diese bereits vereinbarten Verbesserungen für die Mieterinnen und Mieter in Deutschland? 

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Es ist in der Tat so, dass wir alles dafür tun müssen, dass es genügend und auch bezahlbare Wohnungen in Deutschland gibt. Ein zentrales Thema, das wir nie übersehen dürfen, ist, dass genügend Wohnungen gebaut werden, die in diese Kategorien fallen. Deshalb will ich noch mal darauf hinweisen, dass wir 18 Milliarden Euro für den geförderten Wohnungsbau und damit für bezahlbare Wohnungen auf den Weg gebracht haben. Man sieht jetzt überall in Deutschland, dass manche Projekte umgeplant werden: von sehr teuren Wohnungen für wenige Leute, die sich nicht verkaufen oder vermieten lassen, zu Wohnungen für breite Gruppen der Bevölkerung, auch unter Nutzung dieser Mittel. Wir unterstützen das auch mit unglaublichen Entbürokratisierungsmaßnahmen im Rahmen des Baurechts und mit einem geplanten Baugesetzbuch, in dem sich diese Dinge auch wiederfinden. Wir haben die Entfristung der Mietpreisbremse auf den Weg gebracht, auch ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Politik. Und selbstverständlich haben wir die übrigen Punkte unseres Regierungsprogramms nicht vergessen. 

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen. 

Hanna Steinmüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Das freut mich sehr zu hören, Herr Bundeskanzler. Das stimmt: Neubau ist wichtig. Aber für die Bestandsmieten brauchen wir auch das Mietrecht. Sie haben es gerade schon angesprochen: Die Entfristung der Mietpreisbremse sollte als Erstes kommen. Wir haben da einen enormen Zeitdruck, weil sie nächstes Jahr ausläuft und in den Kommunen noch Gutachten in Auftrag gegeben und entsprechende Anpassungen durchgeführt werden müssen, damit es einen nahtlosen Übergang gibt und Mieterinnen und Mieter vor Preisexplosionen geschützt sind. 

Wann kommt eine bürokratiearme und einfache Lösung für die Kommunen bzw. erst mal für die Länder, damit die Mietpreisbremse weiter gelten kann? 

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Wir haben ja das entsprechende Gesetzgebungsvorhaben auf den Weg gebracht. Wir hoffen, dass es am Ende auch hier im Deutschen Bundestag mit einer guten Gesetzgebung endet. Das ist der Beitrag, den die Bundesregierung leisten kann. Zu den übrigen mietrechtlichen Vorhaben habe ich mich ja geäußert. 

Ich will ausdrücklich sagen: Wir brauchen immer beides, ein starkes Mietrecht, wie wir es in Deutschland haben, also Mieterschutz, und wir brauchen gleichzeitig Rahmenbedingungen, die dazu führen, dass die Menge an Wohnungen, die notwendig ist, gebaut wird.

Dann will ich diese Gelegenheit noch nutzen, um zu sagen, dass all diejenigen, die glauben, dass man mit dem Bestand an Wohnungen bezahlbare Mieten garantieren kann, sich irren: Angesichts der Attraktivität bestimmter Wohngegenden, bestimmter Städte und Orte, angesichts der Arbeitsplätze, die dort existieren, -

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die Zeit, bitte.

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

- angesichts des Wunsches, anders zu leben, ist es notwendig, dass wir auch im großen Stil Neubau voranbringen. 

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der FDP-Fraktion Markus Herbrand.

Markus Herbrand (FDP): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Bundeskanzler, ich würde gerne über die Geldwäschebekämpfung in Deutschland sprechen. Diese Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Geldwäschebekämpfung neu zu strukturieren, und hat dazu das Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz auf den Weg gebracht.

(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel (AfD))

Für wie wichtig halten Sie dieses Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz auch im Hinblick darauf, wie wir im europäischen Ausland und mit internationalen Partnern in dieser Frage umgehen und unser Ansehen dort möglicherweise gefährden? Und wann sollte es dazu eine Entscheidung geben? 

(Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Das ist ja eine knallharte Frage!)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ich halte das Gesetz für sehr wichtig. Ich bin auch sehr froh, dass die Bundesregierung dieses Gesetz auf den Weg gebracht hat. Und ich bin sicher, dass der Deutsche Bundestag es auch bald beschließen wird, weil ich von der Qualität unseres Gesetzes sehr überzeugt bin. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Nyke Slawik (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen. 

Markus Herbrand (FDP): 

Vielen Dank, Herr Bundeskanzler. - Von der Qualität dieses Gesetzes bin auch ich sehr überzeugt.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Ich würde meine Frage aber dahin gehend noch etwas erweitern: Auf europäischer Ebene hat man sich ja darauf verständigt, den Sitz der europäischen Antigeldwäschebehörde, der AMLA, nach Frankfurt zu vergeben. Auch diesbezüglich stelle ich mir die Frage, ob es gut ist für Deutschland, dass wir diesbezüglich dann doch etwas ins Stottern geraten sind. 

(Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Noch so eine Hammerfrage!)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ich bin ganz sicher, dass es ein großer Erfolg für den Finanzstandort Deutschland ist, dass sich die AMLA in Frankfurt ansiedeln wird. Das ist eine Gemeinschaftsleistung des Standortes Frankfurt, des Landes Hessen und der Bundesregierung, die sich sehr bemüht hat, gewesen, aber selbstverständlich auch etwas, das durch die Eigenwirkung des existierenden Finanzplatzes möglich geworden ist. Und wir werden jetzt alles dafür tun, dass das ein großer Erfolg mit entsprechenden Wirkungen für die europäische Finanzarchitektur wird. Gleichzeitig hilft es dann natürlich, wenn wir selber immer versuchen, spitze zu sein. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP - Markus Herbrand (FDP): Danke!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt für die Gruppe Die Linke Dr. Gesine Lötzsch. 

Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Bundeskanzler, Sie haben sich im vergangenen Wahlkampf - der ist ja noch gar nicht so lange her - als Friedenskanzler auf den Plakaten präsentiert. Gleichzeitig haben Sie in dieser Zeit die Genehmigung erteilt, dass mit aus Deutschland gelieferten Waffen auf russisches Territorium geschossen werden darf. Das halte ich nicht nur für einen Widerspruch, sondern für hochgefährlich. Geben Sie den Menschen in unserem Land die Garantie, dass Deutschland nicht zur Kriegspartei wird? 

(Beifall bei der Linken sowie des Abg. Andrej Hunko (BSW))

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ja. Ja, ich gebe diese Garantie. Dafür stehe ich als Kanzler. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke): 

Danke für die Antwort. Ich bitte, das auch in Ihrem Kabinett weiterzusagen; denn Ihr Bundesminister der Verteidigung hat diese Frage etwas anders beantwortet.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Nun meine Nachfrage: Kriege können ja mit einem Waffenstillstand als erstem Schritt beendet werden oder die Beendigung kann so eingeleitet werden. Welchen Plan haben Sie mit Partnern besprochen, um Schritte zur Beendigung dieses Krieges einzuleiten? Erster Punkt: Waffenstillstand. Wann kann aus Ihrer Sicht ein Waffenstillstand auf welchem Wege erreicht werden? 

(Beifall bei der Linken sowie des Abg. Andrej Hunko (BSW) - Zuruf des Abg. Dr. Marcus Faber (FDP))

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Eine klare Antwort auf Ihre Frage: Aus meiner Sicht ist ein Waffenstillstand, der eine Kapitulation der Ukraine zum Gegenstand hat, einer, den wir niemals von Deutschland aus unterstützen dürfen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Dass das keine abstrakte Frage ist, sieht man an diesem merkwürdigen Friedensangebot von Herrn Putin. Er hat ja gesagt, er sei zu einem Waffenstillstand bereit, wenn die Ukraine außerdem noch weitere Annexionen gewissermaßen umsonst obendrauf gibt. Das zeigt, wie zynisch dort gedacht wird und dass der russische Präsident keineswegs vorhat, seinen aggressiven Krieg zu beenden, sondern nur das Wort in den Mund nimmt, um den Krieg fortzusetzen. Das werden wir nicht dulden. 

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Letzte Bemerkung.

Präsidentin Bärbel Bas: 

Das ist jetzt schwierig.

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Wir sind ja diplomatisch unterwegs, um Friedensmöglichkeiten zu schaffen.

(Zurufe von der CDU/CSU und der AfD)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die Zeit ist abgelaufen, Herr Kanzler.

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ich erinnere deshalb an die Konferenz, die gerade in der Schweiz stattgefunden hat und die sich in eine Reihe solcher Bemühungen einreiht.

Präsidentin Bärbel Bas: 

Jetzt stellt die nächste Frage aus der CDU/CSU-Fraktion Florian Hahn.

Florian Hahn (CDU/CSU): 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben vor zwei Jahren die Zeitenwende ausgerufen. Wir haben gemeinsam ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht.

(Dr. Alice Weidel (AfD): Schulden! Das ist kein Sondervermögen! Das sind Schulden!)

Dieses Sondervermögen ist inzwischen komplett verplant. Die aktuelle mittelfristige Finanzplanung sieht aber einen stagnierenden Einzelplan 14 mit Ausgaben in Höhe von etwa 50 Milliarden Euro vor. Gleichzeitig ist Ihr Minister gerade dabei, viele Aufträge rauszugeben, viele Bestellungen zu tätigen. Auch Sie selber haben anlässlich der ILA noch mal 20 Eurofighter draufgepackt. Das alles ist bisher noch nicht abgebildet.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke (FDP))

Mit Blick auf Ihr Versprechen, noch im Juli einen Haushalt auf den Weg zu bringen, würde mich interessieren: Werden Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun, damit dieser Haushalt tatsächlich einen aufwachsenden Einzelplan 14 für die nächsten Jahre von mindestens 10 Milliarden Euro pro Jahr vorsieht, so wie es Ihr Minister gefordert hat? 

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Zunächst möchte ich mich für die Unterstützung auch der größten Oppositionsfraktion bei der Schaffung des Sondervermögens für die Bundeswehr bedanken. Wir haben dazu eine Grundgesetzänderung benötigt, die im Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit finden musste; und das ist gelungen. Deshalb ist es auch für mich eine richtige Entscheidung in einer Zeit ernsthafter Bedrohung gewesen. Danke noch mal dafür!

Im Übrigen ist es so, dass natürlich die Finanzplanung, die Sie angesprochen haben, genau das reflektieren muss; denn das Sondervermögen trägt noch eine Weile, aber nicht den ganzen Finanzplan. Deshalb muss mit dem Haushaltsentwurf für das kommende Jahr, aber auch mit der Finanzplanung, die bis einschließlich des Jahres 2028 gilt, genau diese Klarheit, die Sie sich wünschen, geschaffen werden. Und das bedeutet, dass für das Jahr 2028 ein Verteidigungshaushalt vorzusehen ist, der diesen Voraussetzungen und Anforderungen entspricht. 

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen. 

Florian Hahn (CDU/CSU): 

Herr Bundeskanzler, Sie haben ja nicht nur die Zeitenwende ausgerufen, sondern Sie haben in derselben Rede - das war ja bemerkenswert - auch angekündigt, dass das 2-Prozent-Ziel der NATO sofort und vor allem dauerhaft erreicht werden soll. Dieses Jahr ist das gelungen.

Noch mal mit Blick auf die aktuelle mittelfristige Finanzplanung und mit der Aussicht auf die nächste mittelfristige Finanzplanung die Frage, ob diese 2 Prozent jetzt ein singuläres Ereignis für dieses Jahr sind oder ob Sie tatsächlich garantieren können, dass das 2-Prozent-Ziel, so wie von Ihnen versprochen, jetzt tatsächlich Jahr für Jahr eingehalten wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ja.

Florian Hahn (CDU/CSU): 

Wenn das nicht der Fall ist:

(Dr. Marcus Faber (FDP): Das steht doch im Grundgesetz!)

Würden Sie mir zustimmen, dass Sie dann Ihr Versprechen gebrochen haben? 

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Die Nachfrage muss ich gar nicht beantworten. Die Antwort lautet: Ja, das 2-Prozent-Ziel wird eingehalten werden. 

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die zweite Nachfrage stellt Jürgen Hardt. 

Jürgen Hardt (CDU/CSU): 

Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Bundeskanzler, ich möchte an dem Punkt nachhaken: 2 Prozent bedeuten über den Daumen gerechnet 80 Milliarden Euro; und wenn wir dieses Wirtschaftswachstum bekommen, von dem Sie gesprochen haben, auch noch mehr. Sie reisen nächste Woche zum NATO-Gipfel nach Washington. Die einzigen Zahlen, die Sie vorlegen können, sind die aus der Finanzplanung zum Haushalt 2024, den wir im Januar verabschiedet haben.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke (FDP))

Und die sieht 46 Milliarden Euro - mit abnehmender Tendenz - vor.

Wie wollen Sie die Kolleginnen und Kollegen am Gipfeltisch in Washington davon überzeugen, dass Sie nicht nur in Worten, sondern auch mit Taten zu diesen 2 Prozent stehen? Welche Zahlen stehen in Ihrem Sprechzettel für den Washingtoner Gipfel? Die würden wir als Deutscher Bundestag bitte schön auch gerne erfahren. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ich glaube, der Sprechzettel ist noch nicht fertig. Ich habe ihn jedenfalls noch nicht gesehen. Was die konkrete Frage betrifft: Ich werde dort darstellen können, dass wir die 2 Prozent in den nächsten Jahren erreichen und dass wir sie auch dann erreichen, wenn das Sondervermögen aufgebraucht oder belegt ist. Insofern können Sie beruhigt sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das beunruhigt uns eher!)

Die Bundesregierung ist aktiv dabei, meinen Sprechzettel so vorzubereiten, dass ich die Fragen zu Ihrer Freude beantworten kann. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der SPD-Fraktion Gabriele Katzmarek. 

Gabriele Katzmarek (SPD): 

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Bundeskanzler, in jüngster Zeit haben mehrere pharmazeutische Unternehmen Investitionen zur Schaffung Tausender neuer Arbeitsplätze hier in Deutschland angekündigt oder bereits begonnen, diese Investitionen umzusetzen. Meine Frage geht dahin: Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Sehen Sie darin einen längerfristigen Trend dieser Leitindustrie, oder glauben Sie, dass es nur ein kurzfristiger Trend ist und einen kurzfristigen Effekt hat? 

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

In der Tat ist es so, dass viele milliardenschwere Investitionen von der Pharmaindustrie in Deutschland und auch von Unternehmen aus anderen Ländern getätigt werden, die sich teilweise auch neu hier ansiedeln und große Produktionsstätten errichten. Das machen sie, wie sie mir alle versichert haben, auch wegen der Dinge, die die Bundesregierung und entsprechende Bundestagsbeschlüsse hier möglich gemacht haben: indem wir zum Beispiel mit unserem Gesundheitsdatennutzungsgesetz und den ganzen Digitalisierungen im Gesundheitswesen die Voraussetzungen für eine bessere Forschungslandschaft geschaffen haben, indem wir die Pharmastrategie entwickelt haben, die eine große Bedeutung in den Erwägungen dieser Unternehmen für ihre Investitionsstrategien und Investitionsentscheidungen hat. 

Wir haben uns fest vorgenommen, alle bürokratischen Hindernisse, die den Pharmaforschungsstandort Deutschland beeinträchtigen, zu beseitigen. Das ist auf dem Weg und wird sehr ernst genommen. Natürlich gehört auch das Medizinforschungsgesetz, das in dieser Woche abschließend beschlossen werden soll, in diese Reihe von Maßnahmen hinein. Die Unternehmen kennen sie auch, sie wissen von diesen Gesetzen, und auf Grundlage dieser Gesetzentwürfe haben sie ihre Investitionsentscheidungen getroffen. Man kann hier sagen: Gelungene Angebotspolitik!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Gabriele Katzmarek (SPD): 

Recht herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler, dass Sie uns aufgezeigt haben, wie die Bundesregierung diese Entwicklung verstärken will. Daran anschließend folgende Frage: Ist es aus Ihrer Sicht eine grundlegende Entscheidung, zu sagen: „Für den Industriestandort Deutschland ist es eine besondere Entwicklung, die unseren Standort stärkt, die Forschung stärkt, die Entwicklung stärkt“? Wie sehen Sie das in Anbetracht dessen, was wir hier auch immer wieder diskutieren, nämlich dass die wirtschaftliche Entwicklung hinkt, und dass das vor diesem Hintergrund ein guter Beitrag sein kann?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Es wird viele zusätzliche Arbeitsplätze geben in allen Kategorien: einfache Arbeitsplätze für angelernte und ungelernte Arbeitskräfte genauso wie Forschungsstätten mit hochqualifizierten, international erfahrenen Expertinnen und Experten. Und diese Mischung machtʼs, um es ganz klar zu sagen; mal ganz abgesehen von dem Handwerk, das davon profitiert, wenn solche Standorte gebaut und errichtet werden. 

Mit den Gesetzen, die mit großer Konsequenz auf den Weg gebracht worden sind, ist der Punkt erreicht worden, dass solche Investitionen tatsächlich stattfinden. Die jüngste Investition, angekündigt von Sanofi, ist ein weiteres Beispiel dafür. Deutschland wird seinen Ruf als Apotheke der Welt, als ein substanzieller Forschungs- und Produktionsstandort der pharmazeutischen Industrie und als ein besonderer Medizin- und Forschungsstandort weiter ausbauen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der AfD-Fraktion Nicole Höchst.

Nicole Höchst (AfD): 

Vielen Dank. - Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung verspricht Fachkräfte, doch ein Großteil der Zuwanderer im jungen, wehrfähigen Alter verfügt über keine Berufsqualifikation - laut exklusiven Zahlen des Statistischen Bundesamtes. In einer Antwort auf die Anfrage meines Kollegen René Springer liest man, dass 81,5 Prozent der in Deutschland lebenden Syrer 2023 keine berufliche Qualifikation haben; bei den Afghanen sind es 78,3 und bei den Irakern 82,3 Prozent. Sprachkurse werden allzu oft abgebrochen. Aber ohne deutsche Sprache geht in Deutschland gar nichts: keine Arbeit, keine Teilhabe, keine Integration. Welche Konsequenzen leiten Sie aus diesen verheerenden Zahlen bezüglich Ihrer Migrationspolitik ab?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Zunächst mal haben Sie die Fachkräftestrategie und auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz angesprochen, das sehr klare Aussagen beinhaltet. Es können diejenigen hierherkommen, die konkret einen Arbeitsplatz in Deutschland in Aussicht haben, die also keineswegs nicht erwerbstätig sein werden, und diejenigen, die besonders hohe Qualifikationen mitbringen, und in bestimmten Fällen auch eine Kombination aus beidem. Die mit unserem Fachkräfteeinwanderungsgesetz verbundene Zuwanderung erfolgt somit immer direkt in den Arbeitsmarkt und entsprechend in die Mangelbereiche unserer Wirtschaft hinein. 

Sie haben dann Gruppen von Flüchtlingen angeführt, die nach Deutschland gekommen sind. Diese sind aber nicht im Rahmen von irgendwelchen bisherigen oder künftigen Fachkräfteeinwanderungsgesetzen gekommen, sondern sie halten sich hier in Deutschland als Schutzpersonen auf. Und da gibt es klare Aussagen von unserer Seite aus und auch von meiner: 

Zunächst werden wir alles dafür tun, dass wir das Management von irregulärer Migration, aber auch von Flucht und Schutz, der damit verbunden ist, vielfach gegenüber der Vergangenheit verbessern. Wie ich es vorhin schon in Bezug auf die Planungsbeschleunigung gesagt habe, haben wir auch hier den Stillstand, den Attentismus überwunden - die föderalen Strukturen haben ja lange immer nur mit dem Finger aufeinander gezeigt - und dafür gesorgt, dass jetzt zusammengearbeitet wird bei der Digitalisierung der Ausländerbehörden, bei der Beschleunigung der verwaltungsrechtlichen Verfahren und bei vielem, vielem mehr. 

Dazu gehört natürlich auch, dass wir diejenigen, die einen Schutzstatus erhalten, möglichst schnell in den Arbeitsmarkt integrieren, -

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die Zeit!

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

- mit Integrationskursen und mit entsprechenden Angeboten. Deshalb will ich Ihnen gern diese Zahl nennen: Von den syrischen Männern, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, sind nach den aktuellen Erfassungen 75 Prozent erwerbstätig. Eine ziemlich hohe Quote.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen. 

Nicole Höchst (AfD):

Vielen Dank. - Sehr viele der genannten „nicht formal Qualifizierten“ sind Analphabeten. In der Kriminalitätsstatistik kommen die genannten Nationalitäten überproportional häufig vor, ebenso in der Bürgergeldempfängerstatistik. Was antworten Sie den Bürgern, die diese Zusammenhänge mit Sorge beobachten und kritisieren, dass mit all Ihrer schönen Weichenstellung kein Fachkräftemangel bekämpft wird - das sagen auch die Bildungsberichte, die jedes Jahr wieder wirklich hervorragend ausfallen: Berufsbildungsberichte, Anerkennungsquoten etc. -, sondern innere Sicherheit und Sozialsysteme ruiniert werden, Herr Scholz?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ich verstehe Ihre Absicht, Dinge zusammenzupacken, die nicht zusammengehören; deshalb weise ich noch einmal daraufhin: Die Arbeitskräfteeinwanderungsstrategie, die Fachkräftestrategie, richtet sich an Leute, die in den Arbeitsmarkt kommen, und nicht an diejenigen, die hier als Flüchtlinge Schutz begehren. Das sind zwei unterschiedliche Gruppen. 

Selbstverständlich ist es so, dass diejenigen, die als Flüchtlinge hier Schutzstatus erhalten, dann auch erwerbstätig sein und die deutsche Sprache sprechen sollen. Für alle gilt aber auch: Sie müssen sich an Recht und Gesetz halten. Deshalb habe ich hier im Deutschen Bundestag wiederholt klar und deutlich gemacht: Wer das nicht tut, gefährdet seinen Aufenthaltsstatus und muss auch damit rechnen, dass er zurückkehren muss. Und das werden wir mit aller Konsequenz durchsetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Tina Winklmann.

Tina Winklmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, reden wir noch mal über Fach- und Arbeitskräfte. Wir wissen alle: Wir haben einen großen Bedarf, einen Mangel. Wir brauchen Fach- und Arbeitskräfte bei uns im Land, und die müssen wir natürlich sichern, damit wir hier auf einem guten Weg sind. Vieles haben wir schon gemacht; einiges müssen wir noch anschieben. Und da würde mich jetzt interessieren: Wie planen Sie die Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften weiter zu fördern, zum Beispiel im Hinblick auf Entbürokratisierung oder hinsichtlich der Anerkennung formeller und informeller Qualifikationen?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

In der Tat ist es so, dass wir alles rausholen müssen, was der deutsche Arbeitsmarkt hergibt, indem wir dafür sorgen, dass die jungen Leute Ausbildungsplätze haben oder dass sie, wenn sie einen anderen Weg verfolgen, sich auf andere Weise qualifizieren, indem wir diejenigen, die schon eine gewisse Zeit in ihrer Firma tätig sind, aber mehr können, anregen, auch noch mit 25, 35 oder 45 Jahren eine berufliche Qualifikation zu erwerben, und das auch fördern, indem wir dafür sorgen, dass die Erwerbstätigkeit Älterer besser funktioniert - Arbeitnehmer mit Ende 50, Anfang 60 können wir vielleicht ermuntern, freiwillig weiterzuarbeiten, indem wir die Bedingungen dafür erleichtern -, indem wir durch gute Bedingungen für junge Eltern die Teilzeitquote in Deutschland senken und dafür sorgen, dass mehr gearbeitet wird.

Was diejenigen betrifft, die hierherkommen: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass das gut funktioniert, indem wir die Verfahren modernisieren. Das Auswärtige Amt wird sie bis zum Ende dieses Jahres digitalisieren - das ist ein großer Fortschritt -, einschließlich der gesamten Kette dahinter. Das ist ein Beitrag, den wir dazu leisten. Wir haben schon einen ganz konkreten Prozess mit den Ländern begonnen über die Frage: Wie gehen wir damit um, dass wir 800 unterschiedliche Institutionen haben, -

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die Zeit!

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

- die für die Anerkennung von Abschlüssen zuständig sind? Diese Zahl werden wir jetzt dramatisch reduzieren. Da müssen die Länder mithelfen - und das wollen sie auch -

Präsidentin Bärbel Bas: 

Herr Bundeskanzler!

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

- und beschleunigen und digitalisieren.

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Tina Winklmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Danke. - Herr Bundeskanzler, wie planen Sie in diesem Zusammenhang, den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern und zu stärken und an unserer Willkommenskultur zu arbeiten?

(Lachen des Abg. Dr. Bernd Baumann (AfD))

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Für mich heißt das zunächst mal, dass wir ganz selbstverständlich alle gemeinsam davon ausgehen, dass diejenigen, die hierherkommen, begeistert mit dabei sein wollen; dass sie die Angebote, die Sprache zu erlernen oder zu verbessern, auch nutzen; dass sie berufstätig sind und Teil unseres Gemeinwesens werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Die nächste Frage stellt aus der Fraktion der FDP Max Mordhorst.

Maximilian Mordhorst (FDP): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Ich bin jetzt Ende 20, und in meinem privaten Umfeld gibt es viele Menschen, die jetzt zum Beispiel nach ihrem Studium in den Beruf gestartet sind; andere, die eine Ausbildung gemacht haben, arbeiten schon eine Weile länger. Wenn ich mit denen spreche, beschweren sie sich zwar auch über Steuern, ja, aber mittlerweile vor allem über steigende Sozialversicherungsbeiträge. Wir lesen überall - das hat sicherlich auch mit dem demografischen Wandel zu tun -, dass viele junge Menschen mit steigenden Beiträgen rechnen müssen, wie generell die arbeitende Bevölkerung. Meine Frage an Sie ist: Was sagen wir diesen Menschen? Was ist das Rezept? Wie können wir angesichts steigender Sozialversicherungsbeiträge gegensteuern?

(Zuruf von der AfD: Das geht fröhlich weiter!)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Es gibt klare Antworten, die wir geben können. Das Erste ist: Wir brauchen unverändert und auch für die Zukunft eine sehr hohe Erwerbsbeteiligung und Erwerbsquote in Deutschland, also viele, die erwerbstätig sind. 

Die Tatsache, dass Millionen zusätzliche Arbeitskräfte Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen leisten, hat dazu geführt, dass die Beiträge nicht so gestiegen sind, wie es vor 20 Jahren angekündigt war. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag und zeigt uns auch, was wir für die Zukunft schaffen müssen, dass wir nämlich die hohe Zahl von Erwerbstätigen weiter hoch halten, vielleicht sogar noch weiter steigen lassen. Das stabilisiert die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme und auch die Beiträge.

Das Zweite ist, dass wir überall da, wo es Effizienzreserven gibt, wo Bürokratie Dinge teurer macht, wo wir dafür sorgen können, dass Dinge klüger gemacht werden, das dann auch tun und uns davor nicht drücken. Die Reformen, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, etwa was das Krankenhauswesen betrifft, sind ein ganz substanzieller Beitrag dazu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Christian Dürr (FDP))

Vizepräsidentin Petra Pau:

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Sie haben noch eine Nachfrage, bitte.

Maximilian Mordhorst (FDP): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wir erwarten ja nun trotzdem laut Presseberichterstattung steigende Beiträge in verschiedenen Sozialversicherungen. Gehen Sie davon aus, dass die Reformen, die jetzt schon vorgeschlagen sind, wirklich zu einer Stabilisierung beitragen werden? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, dieser Entwicklung in irgendeiner Weise zu begegnen?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Wir müssen uns immer mit dieser Frage beschäftigen. Aus meiner Sicht gibt es einen Vorschlag, den ich nicht so gut finde, nämlich dass man denjenigen, die auf die Leistungen dieser sozialen Sicherungssysteme angewiesen sind oder einen Anspruch und ein Recht darauf haben, diese Dinge verweigert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gerade was die Rente betrifft, will ich sagen: Da ist jahrzehntelang Beitrag gezahlt worden. Das sind Vermögensansprüche, die auch vom Grundgesetz geschützt sind, und die dürfen nicht immer als karitative Sozialleistung begriffen werden. Das sind Vermögensansprüche.

(Beifall bei der SPD)

Aber was die Frage betrifft, geht es, glaube ich, immer darum, dass wir diesen Weg verfolgen, genau gucken: Wo können Sachen besser gemacht werden, effizienter gemacht werden? Wie können wir eine hohe Erwerbstätigkeit haben? Und dann muss man auch in konkretere - - 

Vizepräsidentin Petra Pau:

Auch wenn das Präsidium gewechselt hat: Die Antwortzeit ist beendet.

(Beifall bei der CDU/CSU - Julia Klöckner (CDU/CSU): So geht das!)

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Ich war auch fertig.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Die nächste Frage stellt der Kollege Seidler.

Stefan Seidler (fraktionslos): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Bundeskanzler, vor genau einem Monat hatten wir die schweren Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg. Sie waren vor Ort und haben richtigerweise den Menschen Ihre Unterstützung zugesichert. Im Bayerischen Rundfunk - selbst ein Norddeutscher hört das - wurden Sie sogar mit den Worten zitiert: „Das gehört sich so.“

Auch nach der schweren Sturmflut bei uns an der Ostseeküste im vergangenen Oktober haben Sie den Menschen Hilfe zugesichert, aber bis auf die GAK-Restmittel für die Wiederherstellung unserer Deiche ist bislang vom Bund in Schleswig-Holstein noch nichts angekommen.

Herr Bundeskanzler, was ist der aktuelle Sachstand der versprochenen Bundeshilfen für die Hochwassergeschädigten im Süden? Wird der Bund zahlen, und, falls ja, verstehen Sie, warum sich die Menschen im Norden etwas übergangen fühlen?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Zunächst mal ist es aus meiner Sicht so, dass wir eine geübte Praxis der Solidarität angesichts solcher Unwetterereignisse haben, an die wir uns auch weiter zu halten beabsichtigen. Das habe ich bei all den Ereignissen, die Sie hier genannt haben - vom Norden bis zum Süden, vom Westen bis zum Osten -, so gesagt, und das ist auch die Haltung der gesamten Bundesregierung. 

Wir sind mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, mit dem Bundesrat im intensiven Gespräch. Jetzt wird überall erst mal eine Schadensaufnahme stattfinden. Dabei muss auch ermessen werden: Wie groß ist der Schaden? Ist es ein Schaden von nationaler Bedeutung? Ein solcher ist die grundgesetzliche Voraussetzung dafür, dass wir etwas tun dürfen. Wir gucken natürlich auch, welche Instrumente wir haben. Sie haben in Bezug auf die Ostseeküste sehr konkret über die Maßnahmen berichtet, die bereits ergriffen wurden. Aber wir sind am Thema dran.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.

Stefan Seidler (fraktionslos): 

Es ist gut, dass Sie die solidarischen Hilfen ansprechen. Sie sind auch für die Leute nötig. Aber solange wir keine flächendeckende Lösung beispielsweise über eine Elementarschadenversicherung haben, brauchen die Kommunen und die Länder auch Hilfen. Anders als Private versichern sie sich nicht gegen Schäden an ihrer Infrastruktur, und sie tragen Schäden oder Reparaturen bei Naturkatastrophen aus ihrem eigenen Haushalt. Das belastet die betroffenen Kommunen und Länder in erheblichem Maße und behindert sie bei der Umsetzung wichtiger Projekte. 

Die Frage ist: Werden Sie den Kommunen und den Ländern gegebenenfalls auch helfen und nicht nur den Privaten?

Olaf Scholz, Bundeskanzler:

Es ist so, dass wir genau in dieser Frage unsere Prinzipien beschrieben haben. Ich habe gesagt: Es gibt eine geübte Praxis der Solidarität. - Jetzt wird der Schaden aufgenommen; dann wird gemeinsam bewertet, was zu tun ist und wer was macht. Das ist das, was wir uns vorgenommen haben. 

Konkrete Maßnahmen sind hier auch im Rahmen dessen, was unsere Finanzverfassung zulässt, bereits auf den Weg gebracht worden. Und noch mal: Wir werden das Thema nicht vergessen und nicht wegschauen, nur weil das jetzt hinter uns liegt. Das ist ein Problem, und wir fühlen uns zuständig, hilfreich zu sein.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Ich danke allen beteiligten Abgeordneten und natürlich Ihnen, Herr Bundeskanzler. - Die Befragung ist damit beendet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

 

Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 
180. Sitzung – wird am

Donnerstag, den 04.07.2024

auf der Website des Bundestages unter „Dokumente“, „Protokolle“, „Endgültige Plenarprotokolle“ veröffentlicht.

 

Marginalspalte