Jenny Holzer
„Installation für das Reichstagsgebäude“ im Nordeingang des Reichstagsgebäudes
Die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer läßt in der Nordeingangshalle auf einer Stele digitale Leuchtschriftbänder mit Reden von Reichstags- und Bundestagsabgeordneten ablaufen. Parlamentarische Zwischenrufe werden durch wiederholtes Aufblinken kenntlich gemacht. Die Reden wurden von der Künstlerin ausgewählt und zu Themenblöcken zusammengestellt. Die ausgewählten Reden stammen aus einem Zeitraum, der vom Jahre 1871, dem Jahre der Reichsgründung, bis zum April 1999 reicht, als das Reichstagsgebäude nach dem Umbau durch den britischen Architekten Norman Foster neu eröffnet wurde. Die Künstlerin hat 447 Reden und Rednerbeiträge aneinandergereiht, so daß die Reden etwa 20 Tage lang ununterbrochen ohne Wiederholung ablaufen. Es sind jeweils vier unterschiedliche Reden, die auf den vier Seiten des Pfeilers ablaufen, aber alle vier setzen sich mit dem jeweils gleichen Themenbereich auseinander: So findet in der nördlichen Eingangshalle des Parlamentes eine nicht endende Diskussion statt, die in der Gestaltung durch Jenny Holzer unmittelbar anschaulich macht, daß es in einer parlamentarischen Demokratie eben nicht nur die eine Seite, nicht nur einen Standpunkt gibt.
Die auf der Stele zur Deckenmitte hin aufsteigenden Parlamentsreden bilden symbolisch einen tragenden Pfeiler des Parlamentes als des Hauses der politischen Rede (von franz.„parler“= reden).Besonders beeindruckend wirkt die Leuchtstele abends, wenn ihre Außenbegrenzung durch die Dunkelheit nicht mehr sichtbar ist und daher nur noch die aufleuchtenden Worte der Reden das Gewölbe zu tragen scheinen. Gleichzeitig spiegeln sie sich vielfach gebrochen in den Glaswänden der Nordeingangshalle. So reflektiert Jenny Holzer im wörtlichen und im übertragenen Sinne bildkräftigt mit den ihr eigenen künstlerischen Ausdrucksmitteln Wesen und Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland.
Die amerikanische Installationskünstlerin begann ihre künstlerische Laufbahn mit Texten und Essays. Ab 1977 zeigte sie auf Plakaten, Häuserwänden oder mit Neonreklamen sog.„Truisms“(Binsenwahrheiten wie z.B.:„Any surplus is immoral“,„Politik dient Privatinteressen“). Deren lapidare Mitteilungen bewirken in einer von Werbetexten und anderen optischen Signalen dominierten Umwelt ein Innehalten und Nachdenken. Diese Botschaften steigerte sie, beispielsweise im amerikanischen Pavillon der Biennale Venedig 1990 oder in der Neuen Nationalgalerie Berlin seit dem Jahre 2001 zu einer komplexen Sprachinstallation, die architekturbezogene Gestaltung und gesellschaftspolitische Botschaften miteinander verknüpft. Bei weiteren Projekten wiederum wirft sie mit starken Xenonlampen-Projektoren ihre Botschaften auf historische Gebäude wie das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig oder die Kaiserpfalz in Goslar. Die historischen Monumente werden von ihr wortwörtlich in ein neues Licht gestellt, werden zu Trägern ihrer aktuellen Botschaften und gewinnen dadurch, daß sie angestrahlt werden paradoxerweise jene Ausstrahlung zurück, über die sie einst als symbolisch-repräsentative Bauten ihrer Zeit verfügten. Bei all diesen Projekten reagiert die Künstlerin mit ihren Texten auf die besondere historische und politische Situation des jeweiligen Ortes ihrer Installationen. In vergleichbarer Weise setzt sie sich im Reichstagsgebäude mit der Geschichte dieses Monumentes auseinander und verleiht ihm zugleich durch das zeitgenössische Medium der Lauf- und Leuchtschrift eine neue Aktualität. Mit diesem modernen Medium greift Jenny Holzer bewußt auf ein Kommunikationsmittel zurück, das den Menschen von heute aus ihrer täglichen Umgebung, von Bahnhöfen, von den Börsennachrichten, aus Zügen und Bussen oder von der Werbung her vertraut ist. Jenny Holzers Arbeit ist daher auf der einen Seite durchaus medienkritisch, indem sie auffordert, die täglichen Werbebotschaften nicht unreflektiert auf sich einwirken zu lassen. Auf der anderen Seite wirbt sie gleichzeitig für die Anerkennung neuer Kommunikationsformen, die sie als Künstlerin nutzt, um ihre eigenen Botschaften möglichst effektiv zu übermitteln.
Im Rahmen der„Kunst-und-Bau“-Projekte für die Regierungsbauten erhielt Jenny Holzer den Auftrag, für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine Installation zu gestalten. Für den Vorplatz dieses Amtes entwarf sie einen fast 20 Meter hohen dreiseitigen Stahlobelisken, auf dem Tag und Nacht Nachrichtentexte in Form von Schriftbändern von unten nach oben aufsteigen werden. Der Vorplatz des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung öffnet sich zur Spree hin und bietet eine direkte Sicht auf das Reichstagsgebäude. Ihr Leuchtobelisk, erste Außenrauminstallation Jenny Holzers in Berlin, wird an dieser markanten Stelle zu einem weithin sichtbaren Stadtzeichen, das auch auf ihre beiden anderen Installationen in Berlin, die im Reichstagsgebäude und die in der Neuen Nationalgalerie, verweist. (akae)