Thomas Florschuetz
geboren 1957 in Zwickau, lebt in Berlin
Riss III, 1994/1995 (vierteilig)
Verschiebung, 1993/1995 (vierteilig)
Vorhang III, 1993/1995 (vierteilig)
Plexus III, 1993/1995 (vierteilig)
alle Cibachrome, Unikat
Fotoinstallation für Fotogalerie A im 1. Obergeschoss UdL 50
Die Kunst von Thomas Florschuetz hat seit den frühen Triptychen in Schwarzweiß fast immer den eigenen Körper betroffen. Auf sich selbst gerichtet, setzte er die Kamera für die bildhafte Zergliederung seines Körpers ein. Die Gliedmaßen wurden durch starke Vergrößerung eigenständig und korrespondierten in den mehrteiligen Werken miteinander als abstrakte Teile eines eingebüßten Ganzen. Erst in den letzten Jahren begann Florschuetz, die Kamera nach außen zu wenden und mit Fenstern als räumlichen Übergängen und mit Blumen zu arbeiten. So steht nicht die Körperlichkeit im Vordergrund seines Werks, sondern die Fragmentierung von Identität und die Spiegelung einer zersetzten Fülle. In der von Thomas Florschuetz 1993 begonnenen Folge von großformatigen Photographien, „Plexus“ genannt, verdichten sich Licht, Auge, Körper und photographische Dispositiv zu Bildern von einer unnahbaren Nähe. „Plexus“ ist die Übersetzung gestischer Verstellung in einen visuellen Vorhang. Eine plexiforme Gestalt bedeutet das eigentümliche, im höchsten Maße auf Effizienz ausgerichtete Geflecht von Nerven und Gefäßen, in dem der komplexe Organismus des Lebens pulsiert. Es nimmt exogene Reize auf, versucht sie zu kontrollieren, zu absorbieren oder auszustoßen. „Plexus“ bedeutet das verhangene Gewebe, die organisch strukturierte Textur der Menschengestalt. Die Kamera fotografiert die Hände vor einer starken Lichtquelle, einer Phalanx gleich verstellen die Finger jede Aussicht – Phalangen heißen in der Anatomie die Fingerglieder. Der über mehrere Jahre angelegte Zyklus „Plexus“ versucht eine Exposition der „Daseinsunmöglichkeit“. Ferne, die uns die Nähe als einen Rhythmus des Raumes begreifen und überwinden ließe, was uns zugegen ist, um der Entfernung nahezutreten. Diese Ferne als Übersetzung unserer Existenz ist in „Plexus“ ausgelöscht. Abgesetzt also ist auch die Nähe, sie erscheint eingehüllt in einen opaken, blutroten Nebel, oder vielleicht ist sie verzogen in ihren eigenen, unvorstellbaren Ursprung. Eine Nähe, die sich selbst überwunden hätte, fremd und doch von geradezu gewaltsamer Intimität. Die Struktur des menschlichen Gewebes wird durch die photographische Vergrößerung, die eindringliche rote Farbe und durch die formal graphische Einteilung der Bildflächen zu einer abstrakten, geradezu malerischen Oberfläche. Die vierteiligen Bilder sind in Eisenrahmen gefasst als wären sie nochmals gerastert und als verlangen sie von unserem Blick eine Zusammenführung des Getrennten. Doch weder lassen die Bilder auf eine zeitliche Entwicklung schließen noch einen Raum vermuten, dem sie zugehörten. Die Loslösung von jeglicher Gegenständlichkeit könnte eine eher formale Komposition vermuten lassen; erst beim näheren Hinsehen lassen sich die feinen Äderungen eines Gewebes erkennen. Bei Walter Benjamin hieß es einmal, die Photographie visualisiere durch starke Vergrößerungen das „optisch Unbewusste“, so könnte man die „Plexus“-Reihe von Thomas Florschuetz als eine Erfahrung des Leibes deuten, der das Fremde in das Eigene, das Eigene in das Fremde übersetzt.
Text: Hubertus v. Amelunxen (aus: DIE BEHAUSUNG DES MENSCHLICHEN. In: Photo- und Konzeptkunst am Baue: Unter den Linden 50. Ein Projekt für den Deutschen Bundestag, Heidelberg 2000)