Wilhelm Pieck
Pieck, Wilhelm
- geboren: in Guben, 3. Jan. 1876
- gestorben: in Berlin, 7. Sept. 1960
deutscher Politiker;
seit 1895 Mitglied der SPD;
im 1. Weltkrieg Mitglied der Spartakusgruppe u. Mitbegründer der KPD, deren Zentralkomitee er bis 1946 angehörte;
1930-1933 MdR (Mitglied des Reichsparlaments);
Vertreter der KPD bei der Komintern;
lebte ab 1933 im Exil, zuerst in Paris dann in der UdSSR;
ab 1935 Vorsitzender der KPD;
1943 Mitbegründer des „Nationalkomitees Freies Deutschland“;
1946-1954 mit Otto Grotewohl Vorsitzender der SED;
hatte als Präsident der DDR seit 1949 nur geringen politischen Einfluss.
Tor, Torstraße:
Allgemein: größere Eingangsöffnung, die im Unterschied zur Tür auch Fahrzeugen Durchlass gewährt. Als selbständiges Bauwerk vor allem als Stadttor und Burgtor, oft als Doppelturmanlagen.
`Die Umbenennung habe ich schon mitgekriegt. Wilhelm Pieck hat dort gearbeitet und war mir noch der angenehmste von den sozialistischen Politikern. Ich bin hin- und hergerissen, was die Umbenennung betrifft. Jedenfalls finde ich es besser, dass auf einen historischen Namen zurückgegriffen wird, als sich einen neuen wie ,,Toleranzstraße„ auszudenken. Torstraße hieß sie ja schon einmal.'
`Torstraße ist der passende Name. Weil sie zu den Stadttoren führte. Ich erinnere mich sogar noch daran, als sie das erste Mal von Elsäßerstraße in Wilhelm-Pieck-Straße umbenannt wurde. Daran würde ich mich gar nicht erinnern, wenn meine Mutter nicht so eine Abneigung dagegen gehabt hätte. In Berlin haben sich ja sehr viele sozialistische Politiker auf Straßennamen verewigt, ich finde das nicht berechtigt.'
`Die hieß wahrscheinlich vorher Adolf-Hitler-Straße, sonst hätten sie das nicht geändert. Der Scheißhaufen ist derselbe, nur die Fliegen sind andere. Wer soll sich da noch zurechtfinden?'
`Sie ist vor einem halben Jahr umbenannt worden. Ich habe dort gewohnt und mich eigentlich ganz wohl gefühlt. Das war ja nicht gerade Herr Stalin, der dort deutsche Geschichte geschrieben hat. Von der Sache her finde ich diese Umbenennung kompletten Blödsinn, eine Identitätsverwischung. Ich sage immer noch Wilhelm-Pieck-Straße, ich weigere mich, Torstraße zu sagen. Sie sollten ihn zurückkommen lassen.'
`Wenn es meine Kindertage, meine persönliche Geschichte betrifft, dann sage ich immer Wilhelm-Pieck-Straße. Wenn ich aber nach dem Weg gefragt werde, sage ich Torstraße. Ich finde die alten Namen wichtig, als Mahnmale. Armer Junge, da wird weder jemals wieder eine Straße nach ihm benannt werden, noch ein Denkmal zu seinem Gedächtnis aufgestellt werden. Er war nur ein kleiner Fisch, kein sehr rühmliches Ziel. Viele Leute fragen sich, ob sie nun im Westen oder im Osten sind, weil sich die Grenzen nun doch ziemlich aufheben. Eine Standortbestimmung über diese spezifischen Namen der Ostpolitiker wäre also völlig in Ordnung.'
Wilhelm-Pieck-Straße war gar nicht so schlecht. Sie war mit der Geschichte der DDR verbunden... Mich wundern allgemein die Namensänderungen in allen Regimen, in allen Ländern... Wahrscheinlich gibt es für den neuen Namen eine logische Erklärung. Aber mir gefällt die Vorstellung, dass Torstraße auf das Tor zur Hölle verweist, um uns an die Sünden der Vergangenheit zu erinnern.'
Aus: Calle, Sophie: Die Entfernung, Dresden 1996 (vergriffen).