Besuch

Eröffnungsrede Henrike Naumanns zur Ausstellungseröffnung „Innere Sicherheit. Eine Intervention“

am 12. Juni 2024 im Mauer-Mahnmal des Deutschen Bundestages

 

2013 war ich zum ersten Mal in diesem Gebäudeensemble, 

zum ersten NSU-Untersuchungsausschuss, im Paul-Löbe-Haus.

Befragt wurde der spätere Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes zu seiner Rolle als V-Mann-Führer eines Neonazis aus dem Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds. 

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir diese Aussage von ihm:

„Ich war damals ein Frischling und für die moralische Bewertung des Falls fehlten mir die Maßstäbe.

Heute sitzt er im Preisgericht für den Kunstwettbewerb zum Denkmal für die Friedliche Revolution 1989 in Leipzig.

Seit dem Bekanntwerden des Nationalsozialistischen Untergrund 2011 in meiner alten Heimatstadt Zwickau war die Auseinandersetzung damit der Antrieb meiner künstlerischen Praxis. 

An dem Tag im November war ich bei meiner Oma in Zwickau-Weißenborn.

Sie wohnte nur 1 km entfernt von der konspirativen Wohnung in der Frühlingsstraße. 

Gemeinsam hörten wir im Radio von einem explodierten Haus.

Mit meiner Mutter kletterte ich später durch den Zaun, um aus dem von der Polizei bereits nach Asservaten durchkämmten Haus einen Fetzen verkohlte Tapete und ein Teppichstück rauszuholen. 

Die Objekte bildeten die Grundlage für meine Diplomarbeit an der Filmhochschule.

Das Handwerk des Arbeitens mit Möbeln und Objekten, dass ich beim Theater und beim Film gelernt hatte, half mir nun, eine Sprache für Dinge zu finden, die sich nur schwer ausdrücken lassen.

Gewalt, Hass, Radikalisierung, Angst. Aber auch Alltag, Normalität, Familie, Volk.

Seit 13 Jahren habe ich mich an der deutschen Geschichte abgearbeitet. 

Ausgehend vom NSU in die neunziger Jahre, zu DDR und BRD, über den Nationalsozialismus bis zurück in die deutsche Steinzeit.

Ich habe zwei frühe Arbeiten für die Ausstellung gewählt, 

Das Reich von 2017 und Tag X von 2019.

Eine Arbeit über die Reichsbürgerbewegung, und eine über einen rechten Systemumsturz. 

Hinter mir der Reichstag, auf den 2020 ein Sturm versucht wurde.

Die Ausstellung heißt Innere Sicherheit.

So wie alle Besucherinnen heute, musste auch ich jeden Tag durch die Sicherheitskontrollen.

Und jedes Möbelstück, jedes Fell, jede Zitronenpresse hat sich wie ein Sicherheitsrisiko angefühlt.

Ich habe Möbel in den Deutschen Bundestag gebracht.

Und ich habe Waffen in den Deutschen Bundestag gebracht.

Meine Arbeit habe ich schon lange nicht mehr als so brutal empfunden.

Mich selbst noch nie so sehr als Gefahr für die Innere Sicherheit.

Und doch ist meine Arbeit genau da, wo sie hingehört. 

Meine Arbeit ist ein Weg, Worte zu finden für etwas, was uns in dem Moment überfordert.

2011 war das der Nationalsozialistische Untergrund.

2017 die Reichsbürgerbewegung. 

2019 die Instrumentalisierung der Erinnerung an 1989 und Vorbereitungen für Tag X.

Heute steht sie hier im Bundestag, in einem Moment, in dem Gewalt gegen Politikerinnen an der Tagesordnung ist, und der Abbau demokratischer Strukturen durch demokratisch gewählte Parteien droht.

Es ist an uns, die Gesellschaft zu verteidigen, in der wir leben möchten.

Damit wir nicht eines Tages durch die Trümmer des Regierungsviertels laufen,

wie durch ein Stonehenge aus Schrankwänden.