Besuch

Azade Köker

Marie Juchacz und ihre Schwester Elisabeth Kirschmann, Papierschnitt und Fotocollage, 2018

Azade Köker (geb.1949 in Istanbul) ist eine in Berlin lebende türkische Bildhauerin und Malerin, die sich mit Fragen der Identität und Zugehörigkeit auseinandersetzt. Als zentraler Werkstoff, auch in oft kolossalen Skulpturen, dient ihr dabei Papier, dessen Wandelbarkeit von einem leichten, durchsichtigen, biegsamen Stoff zu festen und stabilen Formen ihr die  Möglichkeit gibt, die ihr wichtigen Dimensionen von Durchlässigkeit und Transparenz und dem Wechselspiel zwischen Verletzlichkeit und Gewalt zu thematisieren. Azade Köker schafft bildnerische Gleichnisse von Stadt- und Naturräumen, an denen die unvermeidlichen Spuren menschlicher Intervention und gesellschaftlichen wie politischen Gestaltungswillens abzulesen sind. Ein anderer Teil ihres Werks sucht nach körperlichen Metaphern: Händen, Armen, Torsi, die aus leicht verformbaren Materialien wie Papier oder Kunststoffen zeichenhaft in Räume gesetzt werden, um dem Potenzial von Schöpfungs- und Zerstörungswillen Gestalt zu geben. Oft verwendet sie in ihren Arbeiten repetitive Muster: wiederholte Formen, die auf der Oberfläche eines Werks jede Illusion eines scheinbar natürlichen Abbilds stören.

Dieses Gestaltungsprinzip wendet sie auch bei der Auftragsarbeit für die Ausstellung zum 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts in Deutschland an. Im Mittelpunkt ihres Werks stehen zwei Protagonistinnen der Frauenbewegung von 1918: Marie Juchacz (1879 – 1956), die erste Frau, die nach Einführung des Frauenwahlrechts eine Rede im Parlament hielt, eine sozialdemokratische Politikerin der ersten Stunde, die die Gründung der Arbeiterwohlfahrt durchgesetzt hatte und ihre zu Unrecht weit unbekanntere Schwester Elisabeth Kirschmann-Roehl, die wie Marie Juchacz intensiv am Aufbau der Arbeiterwohlfahrt gearbeitet und sich politisch – in diesem Fall als Abgeordnete des preußischen Landtags – für deren Durchsetzung engagiert hatte. Die Schwestern stützten sich in ihren politischen Auseinandersetzungen gegenseitig und hielten den Anfeindungen, denen sie in der Öffentlichkeit für ihr Engagement ausgesetzt waren, stand. Elisabeth Hirschmann verstarb allerdings bereits 1930.

Azade Köker zeigt beide Frauen im Mittelpunkt einer Bildcollage, die an die Kämpfe der Frauen um 1918 erinnern. Über allem liegt das Motiv einer wiederholten, über die ganze Fläche verteilten Einzelfigur, die in der Reihung zu einer namenlosen Masse und damit zum Sinnbild für die vielen Frauen und Männer wird, die sich am Kampf um Frauen(Wahl)rechte beteiligten.

Azade Köker war Professorin und Leiterin des Instituts für Bildende Kunst an der Technischen Universität Braunschweig. Ihre Werke sind in zahlreichen öffentlichen und Unternehmenssammlungen vertreten, etwa der Akbank Istanbul; des British Museums in London; der Berlinischen Galerie, dem Elgiz Museum of Contemporary Art in Istanbul und dem John Michael Kohler Arts Center in Wisconsin. Sie hat zahlreiche Werke im öffentlichen Raum realisiert und erhielt mehrere Preise, darunter den Kunstpreis der Stadt Darmstadt (1985) und den Kritikerpreis für bildende Kunst vom Verband der Deutschen Kritiker (1986). Sie lebt und arbeitet in Berlin und Istanbul. (kvo)