Franka Hörnschemeyer
Augenblicksbilder, L. St. Berlin, 12. Novbr. 1918, 1 (20) und 2 (20), Papier, Stempelfarbe, 2018
Die Bildhauerin Franka Hörnschemeyer (geboren 1958 in Osnabrück) setzt sich in ihren teils begehbaren, großformatigen Skulpturen mit den Bedingungen von Systemen, Informationen und Strukturen von Raum auseinander. Sie bearbeitet Beziehungen zwischen vorgefundenen wie zugefügten Elementen im Raum und den hieraus ableitbaren historischen oder gesellschaftlichen Zusammenhängen. Durch Veränderungen der Raumsituation bis hin zum Umbau ganzer Räume sowie der Neu-Positionierung der Elemente entsteht ein neuer Erfahrungsraum, der die Atmosphäre, Verknüpfungen und Geschichte eines Ortes und den Gehalt seiner Bestandteile neu in den Blick nimmt.
In diesem umfassenden Sinne hat Franka Hörnschemeyer bereits in den Jahren 1998 bis 2001 für den Deutschen Bundestag in einem Außenhof des Paul-Löbe-Hauses das Werk „BFD – bündig fluchtend dicht“ entwickelt. Rot- und gelblackierte Gitterelemente, bis zu drei Meter hoch, sind so ineinandergeschoben, dass ein filigranes, durchscheinendes, geradezu verspieltes Raumlabyrinth entsteht. Wege führen hinein, Räume können durchquert werden, es gibt aber auch Sackgassen oder nicht zugängliche Kammern. Die Gittermodule dienten einst zum Betonieren von Wand- oder Bodenflächen des Paul-Löbe-Hauses. Die Anordnung der Elemente greift sowohl den Grundriss von Räumen des Paul-Löbe-Hauses auf als auch von einst vorhandenen Bauten der Grenztruppen der DDR: Geschichte und Gegenwart sind eine unauflösliche Verklammerung eingegangen, die Raumskulptur überwindet Grenzen und Zeiten.
Kongenial überträgt die Künstlerin dieses Konzept auf ihre ebenfalls die Geschichte thematisierende Auftragsarbeit zur Erinnerung an die Einführung des Frauenwahlrechtes vor 100 Jahren im Zuge der Novemberrevolution. Es ist, für eine Bildhauerin nicht überraschend, eine räumliche Arbeit geworden, zwar aus Papier, aber dieses in Streifen geschnitten, die wie Klapptafeln nebeneinander stehen. Die Innenseiten der Streifen tragen Wort für Wort den ersten Abschnitt eines Textes einer überregionalen Zeitung vom 12.11.1918. Er beschreibt die Atmosphäre in Berlin genau an jenem Tag der Einführung des Frauenwahlrechts, eine Szene, in der das Militär wenig später durch die Arbeiter entwaffnet wird. Durch die Segmentierung der Papierstreifen sind immer nur Fragmente der Sätze zu sehen, die je nach Blickwinkel variieren. Das Werk macht die Individualität der Wirklichkeitswahrnehmung offensichtlich, da sowohl der Zeitgenosse der damaligen Ereignisse als auch und erst recht der spätere Beobachter immer nur Wirklichkeitsausschnitte wahrnimmt. Durch wechselnde Blickwinkel kann er unterschiedliche Perspektiven einnehmen, aber auch die Multi-Perspektivität bleibt letztlich Fragment.
Franka Hörnschemeyer lebt in Berlin und hat eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf. Neben „BFD – bündig fluchtend dicht“ für das Parlamentsgebäude ist die Installation „Trichter“, die in der Innenstadt von Dresden einen Blick und einen Weg in den Untergrund öffnet, ein bekanntes Werk im öffentlichen Raum. Die Arbeit wurde mit dem mfi-Preis für Kunst am Bau ausgezeichnet. In der Hamburger Kunsthalle hatte sie zuvor den Lehmbruck-Saal umgestaltet und paradigmatisch für ihr Konzept, so Hörnschemeyer, „die Vielschichtigkeit der Beziehungen zwischen den skulpturalen Körpern und dem Umfeld“ erforscht, unter gleichermaßen „historischen, politischen und psychologischen“ Aspekten. „Ich denke, dass Information viel entscheidender für die Erscheinungsform der Welt ist als Materie. Information ist das Dazwischen, der relative Raum zwischen der Materie. Aus dieser Anordnung baut sich eine komplexe Struktur auf, und das ist die Information, die in dem System steckt.“ (akae)