Über den Unterschied der Gesichtszüge im Menschen
Johann Gottfried Schadow - Guillaume Bruère (GIOM)
19. Oktober 2016 bis 23. April 2017
Neben den großen Skulpturen und Werkzyklen, die Johann Gottfried Schadow als Hofbildhauer für die öffentlichen Plätze und privaten Sammlungen in Preußen schuf, arbeitete er Zeit seines Lebens an Lehrwerken zu Anatomie und Physiognomie des Menschen. In Abgrenzung zu den antiken Idealmaßen, die lange Zeit die Kunst bestimmten, interessierte Schadow die Vielfalt der Gesichter und Körper. Ersuchte sie in Gemälden, naturhistorischen Sammlungen und auf den Straßen Berlins – und bannte die gefundene Mannigfaltigkeit neben Plastiken und Gemälden vor allem in Zeichnungen, die später im Tafelband „National-Physiognomien oder Beobachtungen über den Unterschied der Gesichtszüge und die äussere Gestaltung des menschlichen Kopfes“ zusammengefasst wurden. Anders als viele seiner Vorgänger und Zeitgenossen war Schadow nicht von Exotik, sondern von einem zutiefst humanistischen Ansatz getrieben, das Fremde als Bereicherung und Ausweis von Vielfalt und Fülle zu begreifen und zu vermitteln. Guillaume Bruère – GIOM – (geboren 1976) ist Zeichner, Maler, Bildhauer und Performance-Künstler. In Frankreich an den Kunsthochschulen von Nantes und Poitiers ausgebildet, entstanden seine ersten großen Werkzyklen in den großen Museen Europas: Er zeichnete in verschiedenen Sammlungen Wiens, in der Berliner Gemäldegalerie, an der Vincent-van-Gogh-Foundation in Arles, später im Paula Modersohn-Becker Museum Bremen und an vielen anderen Institutionen vor den Porträts alter Meister. Er transformierte sie in völlig unabhängige Momentaufnahmen von Menschen,die längst nicht mehr als Individuen von uns erinnert werden, sondern ikonenhaft Teil unseres Bildgedächtnisses und Kulturverständnisses geworden sind.
Ende 2015 begann GIOM damit, in der Nähe seines Wohnorts in Berlin Flüchtlinge zu porträtieren: Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran: Alte und Junge, Frauen, Männer und Kinder, Familien, Paare, Einzelne, die in einer der vielen Notunterkünfte Berlins auf die Entscheidung über ihren Asylantrag warteten. Dabei sucht er genau wie in den Porträts der alten Meister nach der Würde des Augenblicks, der Essenz der Erscheinung. Er verzichtet auf Attribute und alle erzählerischen Zugaben und vertraut auf das Gesicht als Träger der individuellen Persönlichkeit gemäß der Philosophin Judith Butler: „Auf das Gesicht zu reagieren, seine Bedeutung zu verstehen, heißt, wach zu sein für das, was an einem anderen Leben gefährdet ist, oder vielmehr wach zu sein für die Gefährdetheit des Lebens an sich.“
Kunstworkshops im Schadow-Haus
Die aktuelle Ausstellung im Schadow-Haus zeigt viele Gesichter: GIOMs Porträts von Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Nordafrika, die nach Deutschland geflohen sind und hier ein neues Zuhause suchen und die Zeichnungen Johann Gottfried Schadows zu den „unterschiedlichen Gesichtszügen im Menschen“, für die er die realen und die in der Kunst gefundenen „Fremden“ seiner Zeit porträtierte.
Das Porträt, die möglichst detailgenaue Darstellung des Menschen also, ist eines der ältesten Themen der Kunst. Erst waren es Könige und Kaiser, später Adelige und Bürgerliche, noch später „ganz normale Menschen“, die die Künstler aller Zeiten bewogen, Gesichter zum Gegenstand ihrer Gemälde und Skulpturen zu machen. Aus ihnen lassen sich jedoch weit mehr Dinge erfahren als das Aussehen eines Menschen: Porträts geben Hinweise auf den Charakter und das Leben des Porträtierten, auf seinen Beruf, seine Herkunft, seine gesellschaftliche Stellung.
Sie sind damit Fenster in unbekannte Welten, die zu erforschen wir mit zwei Workshops einladen:
vis-á-vis: Gesicht zeigen!
Ein Graphic-Novel-Workshop
Der Workshop nähert sich dem Thema Gesicht und sucht nach dem Sinn hinter den vielen Redensarten: Gesichter werden „verzogen“ oder „verloren“, „gewahrt“ oder „gerettet“. Zuweilen ist es gut, andere „Gesichtspunkte“ in den Blick zu nehmen. Und manchmal müssen wir „Gesicht zeigen“ und für das, was uns wichtig ist, einstehen. Was davon finden wir in den Gesichtern der Ausstellung, was erfahren wir über die abgebildeten Menschen – und welche Dialoge könnten sich zwischen ihren Bildnissen abspielen? Was will der König von Persien dem kleinen Jungen Mustafa aus Syrien zurufen? Und was möchte der schöne Krieger Selim uns „ins Gesicht“ sagen? In einer raumfüllenden Graphic Novel zeichnen wir die Beziehungen und Zwischenräume zwischen den Porträts auf und füllen sie mit Leben.
[d]ich ans Licht
Ein Porträt-Workshop
Warum lassen sich Menschen porträtieren? Und warum hat ein Künstler das Bedürfnis, das Gesicht eines Menschen auf der Flucht festzuhalten? Wie schaut es mit dem eigenen Porträt aus – wie sehe ich mich, wie sehen mich die anderen?
Der Workshop nähert sich der Kunst des Bildnisses an und ermutigt die Teilnehmenden zu eigenen Erfahrungen mit der Kunstform. Künstlerisch-praktische Übungen sollen Konzepte wie Gesichtssymmetrie und -proportionen spielerisch thematisieren und mit dem Thema Identität in Verbindung bringen. Im praktischen Teil entstehen Zeichnungen und dreidimensionale Selbstbildnisse als Profilbüsten aus Pappe.
Gut zu wissen
Die Workshops sind für etwa 2,5 Stunden konzipiert und können von den Museumspädagoginnen an die Kenntnisse und Fähigkeiten verschiedener Altersgruppen angepasst werden.
Termine suchen wir mit Ihnen gemeinsam. Bitte richten Sie Ihre Anfrage unter Angabe der Teilnehmerzahl und des Alters an kunst@bundestag.de
Aus Platzgründen sollten die Gruppen eine Teilnehmeranzahl von 20 Schülerinnen und Schülern nicht übersteigen.
Die Kunstvermittlungsangebote zu den Ausstellungen im Deutschen Bundestag sind kostenfrei. Anfahrts- und andere Kosten können nicht übernommen werden. Die Workshops können auch in Englisch, Französisch und Italienisch angeboten werden.
Ausstellungsort und Öffnungszeiten
19. Oktober 2016 bis 23. April 2017
Dienstag bis Sonntag: 11 bis 17 Uhr
Schadow-Haus (Seitenflügel)
Schadowstraße 12 - 13
10117 Berlin
Lageplan: www.bundestag.de/schadowhaus
Der Eintritt ist frei.
Telefon: 030-227-32027
kunst@bundestag.de
www.kunst-im-bundestag.de