BfS-Präsidentin: Mit Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nicht befasst
Zeit:
Donnerstag, 17. Oktober 2024,
13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.800
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) war mit Fragen der Laufzeitverlängerung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke nicht befasst. Dies erklärte BfS-Präsidentin Inge Paulini am Donnerstag, 17. Oktober 2024, bei ihrer Vernehmung im 2. Untersuchungsausschuss, der die Umstände des deutschen Atomausstiegs untersucht. Man habe im BfS allenfalls mittelbare Verbindungen zum Untersuchungsgegenstand des Ausschusses. Das BfS sei für Schutz der Menschen vor Strahlung zuständig.
Zuständigkeiten des Bundesamtes für Strahlenschutz
Als Beispiele nannte sie unter anderem Anwendungen in der Medizin und den Schutz vor Strahlung zum Beispiel durch Mobilfunk. Auch habe das BfS die Aufgabe der Gefahrenabwehr, wenn radioaktive Stoffe unerlaubt gehandelt oder verwendet wurden. Der radiologische Notfallschutz müsse so aufgestellt werden, dass der Schutz in Deutschland gewährleistet sei. Für energiepolitische Abwägungen habe das Bfs keine Zuständigkeiten.
Für die nuklearspezifizsiche Gefahrenabwehr sei das BfS zwar zuständig, schilderte Paulini. Das habe aber nichts mit dem Untersuchungsauftrag des Ausschusses zu tun. „Wir haben keine Zuständigkeit im Bereich des Untersuchungsgegenstandes.“ Das BfS sei zuständig, um die Strahlenexposition der Bevölkerung zu erfassen, auch im nicht ionisierenden Bereich. Dabei gehe es auch um den medizinischen Bereich. Man beobachte die Werte über ein eigenes Messsystem in Deutschland.
„Mit Habeck-Vorschlägen dienstlich nichts zu tun gehabt“
Auf Fragen von Abgeordneten nach Abteilungsleiterbesprechungen im Umweltministerium, an denen Paulini teilgenommen hatte, sagte sie, es habe sich um einen Informationsaustausch gehandelt, bei dem es um allgemeine Themen gegangen sei. Die in den Akten enthaltenen Papiere des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) zu den Auswirkungen einer möglichen Laufzeitverlängerung habe sie nicht gesehen und erinnere sich nicht, ob überhaupt und in welcher Runde über das Thema Laufzeiten gesprochen worden sei.
Auf die Frage, ob sie sich in diese Debatte eingebracht habe, sagte die Zeugin: „Nein.“ Mit den Vorschlägen von Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) zu einem Streckbetrieb der Kernkraftwerke habe sie dienstlich nichts zu tun gehabt. Sie habe die Aufgabe des radiologischen Notfallschutzes und nicht für Sicherheitsfragen von Atomkraftwerken.
„Beobachtungssysteme müssen gehärtet werden“
Die Lage in der Ukraine werde intensiv beobachtet, erklärte Paulini. Das BfS informiere und berate das Umweltministerium und andere Stellen in der Regierung ständig über die Entwicklung in der Ukraine. Es habe in der Ukraine mehrfach Zwischenfälle an Kernkraftwerken gegeben. Die Messwerte hätten aber seit Kriegsbeginn keine Hinweise auf Freisetzung radioaktiver Stoffe geliefert.
Der Ukraine-Krieg habe die Lage verändert. Dass Kernkraftwerke angegriffen werden würden, sei zuvor nicht vorstellbar gewesen. Das habe auch Auswirkungen auf den Notfallschutz. Kriegsszenarien seien jetzt einzubeziehen. Auch wegen der wachsenden Cyberbedrohungen habe sich die Lage verändert. Die Beobachtungssysteme müssten gehärtet werden.
„Ungelöstes Problem der Endlagerung“
Konfrontiert mit Aussagen auf der Homepage des Bundesamtes für Strahlenschutz, wonach das Risiko der Kernkraft nicht beherrschbar sei, sagte Paulini, sie habe diese Aussage auf Unfälle wie in Tschernobyl und Fukushima bezogen. „Die Geschichte hat gezeigt, dass diese Technologie nicht komplett beherrschbar ist“, erklärte Paulini.
Ihre Aussage, die Nutzung der Kernernergie könne nicht wirtschaftlich betrieben werden, begründete sie mit dem ungelösten Problem der Endlagerung. Dass andere Länder vermehrt auf Kernkraft setzen würden, wollte sie nicht beurteilen. Angesprochen auf ein Interview, in dem sie gesagt hatte, es wäre besser, wenn in Europa keine Kernkraftwerke mehr liefen, erklärte Paulini, wenn es keine Kernkraftwerke gebe, könne es auch keine Strahlung geben. Radioaktivität mache vor Grenzen nicht halt.
UBA-Chef schildert Sorgen vor „fossilem Backlash“
Das Umweltbundesamt war in die Entscheidungsprozesse der Bundesregierung zum Atomausstieg nicht eingebunden. Dies erklärte Prof. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, als Zeuge vor dem 2. Untersuchungsausschuss. Auf Fragen von Abgeordneten erklärte Messner: „Nein, wir sind nicht verwundert gewesen, dass wir nicht in die Diskussion einbezogen wurden.“ Die Fragen der Sicherheit, um die es bei der Debatte um die mögliche Laufzeitverlängerung gegangen sei, würden in der Arbeit des Umweltbundesamtes keine Rolle spielen. Man habe sich zwar mit Atomkraft beschäftigt, etwa in einer Studie, die Ende des Jahres abgeschlossen sein werde. Dabei gehe es um die Klimawirkung der Atomkraft. Das Thema habe keine Beziehung zur Laufzeitdiskussion. Es gebe beim Umweltbundesamt zwar eine Energieabteilung. Aber diese sei mehr auf erneuerbare Energien ausgerichtet.
Messner bestätigte, dass er an Abteilungsleiterrunden im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) teilgenommen habe. Die Abteilungsleiterrunden hatten bereits mehrfach in Zeugenbefragungen eine Rolle gespielt. An den Diskussionen zu einer möglichen Laufzeitverlängerung habe er sich nicht beteiligt, weil er keine Hausexpertise zu diesem Thema habe. In den Runden sei offen über die jeweiligen Informationsstände gesprochen worden. Über den von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) ins Gespräch gebrachten Streckbetrieb der letzten Kernkraftwerke sei er nicht überrascht gewesen, weil darüber schon vorher gesprochen worden sei. Die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die letzten drei Kernkraftwerke länger laufen zu lassen und zwar bis Mitte April 2023, habe ihn auch nicht überrascht.
Messner berichtete, dass er bei den Diskussionen über die Sicherstellung der Energieversorgung besorgt gewesen sei, dass es wieder einen „Log-in“ im Kohlebereich geben könne. Die Diskussionen in den Abteilungsleiterrunden seien nach dem Beginn des Ukraine-Krieges von einer möglichen Energieknappheit geprägt gewesen. Er habe eine „Renaissance der fossilen Energieträger“ befürchtet: „Einen fossilen Backlash.“ Aber der Ausbau der erneuerbaren Energien sei der richtige Weg. Die aktuelle internationale Diskussion, ob die Atomenergie einen Beitrag zur Herstellung von Klimaneutralität leisten könne, sehe das Umweltbundesamt kritisch, sagte Messner. In dieser Diskussion werde die CO2-Einsparung durch die Kernenergie zu stark bewertet, während über Sicherheitsbelange zu wenig gesprochen werde.
Verlängerung der Laufzeit
Der Ausschuss vernahm außerdem Referenten aus dem Umweltministerium. Ein Zeuge berichtete, dass bereits kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges im Ministerium eine Diskussion über einen möglichen Weiterbetrieb der letzten drei deutschen Atomkraftwerke begonnen hätte. Er habe nicht die Wahrnehmung, dass es Denkverbote gegeben habe oder dass fachliche Argumente nicht gehört worden wären. Die Kraftwerksbetreiber selbst hätten eine Verlängerung der Laufzeit skeptisch beurteilt, schilderte er.
Wie der Zeuge weiter berichtete, habe es nach der Entscheidung des Kanzlers für eine Laufzeitverlängerung wegen der fehlenden Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) der deutschen Kernkraftwerke Kontakte mit der EU gegeben. Für die Verlängerung des Reaktorbetriebs um viereinhalb Monate habe es in Brüssel Zustimmung gegeben, gegen eine darüber hinaus gehende weitere Verlängerung Bedenken. Eine PSÜ sei kein Selbstzweck, sondern diene dazu, technische Verbesserungen zu identifizieren, erläuterte der Zeuge. Die fehlenden Sicherheitsüberprüfungen hatten schon bei früheren Vernehmungen eine große Rolle gespielt.
Untersuchungsauftrag
Das Gremium wurde am 4. Juli 2024 vom Bundestag eingesetzt und befasst sich mit den staatlichen Entscheidungsprozessen zur Anpassung der nationalen Energieversorgung an die durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine veränderte Versorgungslage. Der Ausschuss hat den Auftrag, sich ein Gesamtbild von den Entscheidungsprozessen sowie deren Kommunikation an den Bundestag und an die Öffentlichkeit zu verschaffen. Dies gilt vor allem für die Entscheidungen über einen möglichen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke.
Es soll untersucht werden, welche Informationen den Entscheidungen zugrunde gelegt wurden, welche nationalen und internationalen Stellen in die Entscheidungsprozesse einbezogen wurden und ob die Einbeziehung weiterer Informationen oder Stellen sachgerecht gewesen wäre. (hle/18.10.2024)