6. Sitzung
Zeit:
Donnerstag, 10. Oktober 2024,
13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.200
Der 2. Untersuchungsausschuss, der die Umstände des deutschen Atomausstiegs untersuchen soll, hat am Donnerstag, 10. Oktober 2024, mit der Vernehmung der ersten Zeugen begonnen. Im Mittelpunkt der vom Vorsitzenden Stefan Heck (CDU/CSU) geleiteten Sitzung stand die Vernehmung von drei Mitarbeitern des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Verbraucherschutz, die sich zur Erstellung verschiedener Vermerke zu einer möglichen Laufzeitverlängerung äußerten und zur Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke.
Vermerke zu einer möglichen Laufzeitverlängerung
Ein Mitarbeiter des Ministeriums schilderte, dass er im Februar 2022 einen Vermerk erstellt habe. Der Auftrag dazu sei mündlich erteilt worden. Von dem Auftrag sei er „überrascht“ gewesen. „Verschriftlicht“ habe er ihn nicht. Zum Inhalt sagte er, bei dem Vermerk habe es sich um eine Zusammenstellung bekannter Argumente gehandelt, die gegen den Weiterbetrieb der drei letzten Kernkraftwerke nach dem 31. Dezember 2022 gesprochen hätten.
Am 31. Dezember sollte laut Gesetz die Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke erfolgen. Von Kanzler Olaf Scholz war aber eine Verlängerung der Laufzeit bis Mitte April 2023 durchgesetzt worden. Eine tiefer gehende Prüfung der Argumente habe es nicht mehr gegeben, sagte der Zeuge. Die Argumente seien bereits früher für die Ministerin zusammengestellt worden.
Periodische Sicherheitsüberprüfung
Angesprochen auf die aufgeführten Argumente gegen einen Weiterbetrieb schilderte der Zeuge, es seien von den Kraftwerksbetreibern bereits Verträge mit Firmen geschlossen worden, die mit dem Rückbau beginnen sollten. Auch wäre eine Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) notwendig gewesen. Dabei werde das Kraftwerk ganzheitlich betrachtet und die Sicherheit werde bewertet.
Um die Periodische Sicherheitsüberprüfung ging es auch bei der Vernehmung des zweiten Zeugen aus dem Ministerium. Die PSÜ könne bei laufendem Betrieb erfolgen, schilderte der Zeuge. Eine PSÜ sei laut Atomgesetz alle zehn Jahre vorgeschrieben. Bei den drei letzten deutschen Atomkraftwerken sei die letzte Prüfung 2009 erfolgt. Die Betreiber hätten eine Vorschrift genutzt, dass die PSÜ entfallen könne, wenn die Abschaltung innerhalb der nächsten drei Jahre erfolgen werde.
„Kontinuierliche Aufsicht sehr eng“
Der Zeuge wies auf Fragen darauf hin, dass die kontinuierliche Aufsicht sehr eng sei. Im Vergleich zu den laufenden Sicherheitsüberprüfungen von Kernkraftwerken spiele die PSÜ nur eine ergänzende Rolle. Die PSÜ ziehe sich über mehrere Jahre hin. Auf die Frage, ob auch ohne PSÜ ein Weiterbetrieb möglich gewesen werde, wollte sich der Zeuge nicht äußern. Er sei kein Sachverständiger. Der begrenzte Weiterbetrieb sei jedoch zu vertreten gewesen.
Von Abgeordneten konfrontiert mit Aussagen aus einem TÜV-Gutachten, dass ein Weiterbetrieb plausibel sei, sagte der Zeuge, es wären auch in diesem Fall weitere Prüfungen nötig gewesen. Was der TÜV aufgeschrieben habe, hätte überprüft werden müssen.
Szenarien zum Betrieb der Kraftwerke
Ein weiterer Zeuge nahm zu einem von ihm mitverfassten Vermerk vom 1. März 2022 Stellung, in dem drei Szenarien hinsichtlich des Betriebs der Kraftwerke aufgestellt worden waren. Szenario A sei die geplante Abschaltung zum Jahresende 2022 gewesen. Szenario B sei ein begrenzter Weiterbetrieb gewesen. Szenario C habe einen längeren Weiterbetrieb der Kernkraftwerke beinhaltet. Man habe in dem Vermerk Punkte aufgeschrieben, die man sich anschauen müsse, wenn man zu einer Laufzeitverlängerung hätte kommen wollen. Eine abschließende Bewertung, ob eine Laufzeitverlängerung möglich sei, sei das nicht. Dass der Vermerk später verändert worden sei, habe er nicht gewusst.
Der Zeuge schilderte, dass er an dem gemeinsamen Vermerk von Umwelt- und Wirtschaftsministerium vom 7. März 2022, in dem ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus Gründen der nuklearen Sicherheit abgelehnt worden war, nicht beteiligt gewesen sei. Auch einen Vermerk vom 3. März 2022 aus dem Umweltministerium, in dem die Verlängerung der Laufzeiten als sicherheitstechnisch nicht vertretbar bewertet worden war, habe er erst nach der Veröffentlichung des gemeinsamen Vermerks beider Ministerien zu Gesicht bekommen.
Das Schreiben von Bundeskanzler Scholz Mitte Oktober, in dem dieser den Weiterbetrieb bis Mitte April 2023 angeordnet hatte, habe ihn überrascht, erklärte der Zeuge. Aber ein Weiterbetrieb bis Mitte April sei ihm lieber gewesen als das Vorhalten der Kernkraftwerke als Einsatzreserve. Ein kurzzeitiger Weiterbetrieb sei aus Gründen der Sicherheit die bessere Wahl gewesen.
Periodischen Sicherheitsüberprüfungen von Kraftwerken
Die Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) von Kernkraftwerken waren mehrfach Thema bei den Vernehmungen der ersten Zeugen durch die Mitglieder des 2. Untersuchungsausschusses. So erläuterte eine Zeugin aus dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) vor den Abgeordneten am Donnerstagabend, das BASE habe sich im Frühjahr 2022 mit den Sicherheitsaspekten einer möglichen Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke befasst. Die fachlichen Ergebnisse seien in einem Antwortenkatalog (FAQ - Frequently Asked Questions) zusammengestellt worden.
Nach Ansicht der Zeugin gab es drei Einflussfaktoren bei einer Laufzeitverlängerung:
- Ausstiegsvorbereitungen: Die Ausstiegsvorbereitungen wären angesichts des gesetzlich festgelegten Abschaltungsdatums Ende 2022 bereits angelaufen. Die über mehrere Jahre laufende Sicherheitsnachweise durch die PSÜ seien nicht mehr erbracht worden. Dass diese Periodischen Sicherheitsprüfungen in der Öffentlichkeit teilweise heruntergespielt worden seien, habe sie nicht nachvollziehen können, erklärte die Zeugin. Diese Überprüfungen würden einen Ausblick für die Zukunft enthalten, wie das Sicherheitsniveau einer Anlage erhöht werden könne. Zuvor hatte ein anderer Zeuge aus dem Umweltministerium dargelegt, im Vergleich zu den laufenden Sicherheitsüberprüfungen von Kernkraftwerken spiele die PSÜ nur eine ergänzende Rolle.
- Bedrohung durch den Ukraine-Krieg: Die bisherige Grundannahme, dass Kernkraftwerke nicht vom Krieg betroffen seien, habe mit Beginn des Ukraine-Krieges revidiert werden müssen. Dies habe im Kontext der Diskussion um Laufzeitverlängerungen eine zu geringe Rolle gespielt, so die Zeugin.
- Endlagersuche: Eine Aufhebung des Atomausstiegs hätte auch die Endlagersuche betroffen.
In den vom Umwelt- und Wirtschaftsministerium gemeinsam erstellten Prüfvermerk vom 7. März 2022, in dem ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus Gründen der nuklearen Sicherheit abgelehnt worden war, sei sie nicht involviert gewesen, sagte die Zeugin. Im Übrigen treffe das BASE keine eigene Entscheidung hinsichtlich der Sicherheit von Kernkraftwerken. Es habe eine beratende Funktion.
Untersuchungsauftrag
Der Ausschuss hat den Auftrag, sich ein Gesamtbild von den Entscheidungsprozessen sowie deren Kommunikation an den Bundestag und an die Öffentlichkeit zu verschaffen. Dies gilt vor allem für die Entscheidungen über einen möglichen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke.
Es soll untersucht werden, welche Informationen den Entscheidungen zugrunde gelegt wurden, welche nationalen und internationalen Stellen in die Entscheidungsprozesse einbezogen wurden und ob die Einbeziehung weiterer Informationen oder Stellen sachgerecht gewesen wäre. (hle/14.10.2024)