16. Sitzung – Fachgespräche zu den Themen „Was bedeutet Dekolonisierung für den Kunst- und Kulturbereich?“ und „Folgen der Energiekrise für den Kultursektor“
Zeit:
Mittwoch, 12. Oktober 2022,
14 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.400
Vertreter verschiedener Kultureinrichtungen aus Deutschland und Kamerun haben sich im Rahmen eines öffentlichen Fachgesprächs im Kulturausschuss am Mittwoch, 12. Oktober 2022, für eine Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ zwischen Europa und den Ländern des globalen Südens bei der Dekolonisierung von Museen und anderen Kultureinrichtungen ausgesprochen. Die Restitution von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten an die Herkunftsgesellschaften bilde in diesem Zusammenhang zwar einen wichtigen Aspekt, ebenso müssten aber neue Formen der Zusammenarbeit gefunden werden. Unterstützung für diese Sichtweise äußerten Abgeordnete aller Fraktionen. Lediglich aus der AfD hieß es, das Konzept der Dekolonisierung sei „holzschnittartig“ und Restitutionen dürften nur in Einzelfällen vorgenommen werden.
„Eine Haltung, der Taten folgen müssen“
Dr. Ibou Diop von der Stiftung Stadtmuseum Berlin wies darauf hin, dass die deutsche Kolonialgeschichte von vielen Deutschen noch immer als „nicht relevant“ eingestuft werde. Die Kontinuitäten zwischen dem Kolonialismus und rassistischen Einstellungsmustern in der heutigen Zeit würden oftmals nicht erkannt und benannt. Diop forderte eine „neue Ethik“ in den Beziehungen zwischen Europa und den ehemals kolonisierten Ländern des globalen Südens.
„Dekolonisierung ist keine Debatte, sondern eine Haltung, der Taten folgen müssen“, sagte Diop. Im Westen herrsche noch immer die Einstellung vor, man müssen „den anderen erklären, wie sie sich zu benehmen haben“, führte er mit Blick auf das Argument aus, in den Ländern Afrikas oder Asiens bestünde nicht die museale Infrastruktur für einen angemessenen Umgang mit restituierten Kulturgütern.
Selbstreflexion über Rolle in der Geschichte
In diesem Sinne argumentierte auch der Direktor des Städtischen Museums Braunschweig, Dr. Peter Joch. Die selbsternannten „Kulturschützer“, die sich gegen die Restitution aussprechen, erinnerten ihn an die deutschen „Schutztruppen“ des Kaiserreichs in den Kolonien. Er schloss sich der Forderung nach einer neuen Ethik im Umgang mit dem kolonialen Erbe an.
Für die deutschen Museen biete dies eine Chance zur Selbstreflexion über ihre eigene Rolle in der Geschichte. Es dürfe aber nicht bei einer kritischen Sichtung der Sammlungen bleiben, sondern es müsse im Dialog geprüft werden, welche Bedeutung die Sammlungsstücke in den Herkunftsgesellschaften haben. Dies könne praktisch in der Museumsarbeit in Deutschland geschehen, indem das Kuratieren von Sammlungsstücken an Vertreter der Herkunftsgesellschaften übertragen werde.
Museen als Orte der Begegnung
Der Germanist und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Albert Gouaffo von der Universität Dschang in Kamerun erinnerte daran, dass die Gründung der ethnologischen Sammlungen und Museen in Europa eine direkte Folge des Kolonialismus gewesen sei. Es müsse Transparenz über deren Sammlungen hergestellt werden, die von Offizieren, Kolonialbeamten, Händlern und Missionaren durch Raub, Kauf oder Tausch beliefert worden seien.
Vor allem aber bräuchten diese Museen, in denen früher lediglich die europäische Sicht auf die unterworfenen Kolonialvölker präsentiert worden sei, eine neue Identität. Sie müssten zu Orten der Begegnung zwischen den Kulturen und zu Orten der Freude umgewandelt werden.
Beseitigung rassistisch begründeter Diskriminierung
Die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Bénédicte Savoy von der Technischen Universität Berlin äußerte Zweifel, ob die Umwandlung von Museen in Orte der Freude gelingen kann. So würden im Kamerun-Saal im Humboldt Forum in Berlin die grausamen Verbrechen der Kolonialzeit so drastisch gezeigt, dass die Exponate in den Hintergrund gedrängt würden. Sie frage sich deshalb, ob solche ethnologischen Sammlungen überhaupt kompatibel mit den historischen Wahrheiten seien.
Savoy erinnerte daran, dass es sehr lange gedauert habe, das Thema Dekolonisierung der Museen gegen viele Widerstände in Europa auf die Agenda zu setzen. Dabei bedeute Dekolonisierung eben nicht Zerstörung der Museen. Dekolonisierung bedeute Beseitigung aller rassistisch begründeten Diskriminierungen. Dazu gehöre aber auch die Frage, warum das Reinigungspersonal in Museen oftmals „so bunt“, die Besucher aber so „unbunt“ seien.
Forderung nach mehr Dialog
Auch Prof. Dr. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), warb für einen verstärkten Dialog zwischen deutschen Museen und den Ländern des globalen Südens. Deren Wissen müsse genutzt werden, um neue Geschichten über die Sammlungen zu erzählen. Zudem plädierte er für mehr Wanderausstellungen. Wenn ethnologische Museen noch eine Zukunft haben sollten, dann liege sie in der Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften.
Als Beispiel nannte er die Rückgabe von 23 Sammlungsstücken an Namibia obwohl kein Verdacht eines unrechtmäßigen Erwerbes vorgelegen habe. Die Sammlungsstücke seien von der namibischen Seite ausgesucht worden, weil es in Namibia keine vergleichbaren Kulturgüter mehr gebe. Auf diesem Weg sei man aber auch zu ganz neuen Erkenntnissen über die Sammlungsstücke gekommen.
AfD-Antrag zur Einrichtung einer Kommission
Auf der Tagesordnung des Ausschusses stand außerdem ein Antrag der AfD-Fraktion, in dem sich diese für die Einrichtung einer unabhängigen beratenden Kommission zum Umgang mit Rückgabeforderungen zu Kulturgütern aus kolonialen Kontexten ausspricht (20/3696). Das Gremium soll jedoch lediglich Empfehlungen aussprechen können – ohne rechtlich bindende Wirkung. Es soll sich an der beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, orientieren und aus zehn Personen des öffentlichen Lebens mit juristischer, museologischer, kultureller und historischer Expertise zusammensetzen.
Ein wechselndes Kommissionsmitglied soll über eine spezielle Expertise über die politische, gesellschaftliche und menschenrechtliche Situation in dem Herkunftsland, von dem Rückgabeansprüche ausgehen, verfügen. Als Namensgeber für die beratende Kommission schlägt die AfD Gustav Nachtigal vor, der von Reichskanzler Otto von Bismarck 1884 zum Reichskommissar für die deutschen Kolonien in Westafrika berufen worden war.
Folgen der Energiekrise und Caravaning-Tourismus
Darüber hinaus befasste sich der Ausschuss mit den Folgen der Energiekrise für den Kultursektor. Als Sachverständige zu dem Fachgespräch geladen waren: Christine Berg vom Verband HDF Kino, Prof. Jens Michow vom Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft und Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat.
Ein Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „Caravaning-Tourismus fördern“ (20/2561) war ebenfalls Thema der Sitzung. Darin fordert die Unionsfraktion einen verstärkten Ausbau der Stellplatzinfrastruktur für Camping-Reisemobile. Eine bessere Infrastruktur bei den Übernachtungsmöglichkeiten könne „die regionalwirtschaftlichen Effekte der Caravaning- und Campingwirtschaft in Deutschland“ stärker fördern, so die Fraktion. Der Bundestag solle deshalb gemeinsam mit Ländern und Kommunen darauf hinwirken, bürokratische Hürden bei der Genehmigung von Reisemobil-Stellplätzen abzubauen. Die Abgeordneten fordern unter anderem auch, die Errichtung von E-Ladesäulen und Tankstellen für alternative Kraftstoffe zu fördern. (aw/emu/hau/irs/12.10.2022)