Verkehr

Anhörung zum Regionalisierungsgesetz

Zeit: Montag, 12. Dezember 2022, 11.30 bis 13.15 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.600

Das Vorhaben der Koalitionsfraktionen, den Ländern in diesem Jahr eine Milliarde Euro mehr für den Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) zuzuweisen, und ab 2023 die jährliche Dynamisierungsrate der sogenannten Regionalisierungsmittel von 1,8 Prozent auf drei Prozent zu erhöhen, trifft bei Sachverständigen grundsätzlich auf Zustimmung, wird aber überwiegend als nicht ausreichend bewertet. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses zur Novelle des Regionalisierungsgesetzes (20/4684) am Montag, 12. Dezember 2022, deutlich.

„Zusätzliche Gelder müssen in Personal fließen“

Ralf Damde, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates von DB Regio, einem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG (DB AG), betonte, die zusätzlichen Gelder müssten „in das so dringend benötigte Personal fließen“. Ziel müsse es sein, das ÖPNV-Angebot „insbesondere im ländlichen Raum“ deutlich auszuweiten. Auf stark frequentierten Strecken komme es zu Problemen mit Personal und Material, „weil die Fahrzeuge zu klein für Spitzenzeiten sind und die Personaldecke nur für die Normallast ausgelegt ist“, so Damde.

Die Verkehrsunternehmen, so seine Forderung, müssten schon bei der Ausschreibung dazu verpflichtet werden, genug Ersatzteile und ausreichend Personal vorzuhalten. „Die ,Geiz ist geil-Mentalität' bei Ausschreibungen muss der Vergangenheit angehören“, sagte Damde.

Forderung nach Sozialticket für 19 Euro

Das geplante Deutschlandticket dürfe nicht zu einer Mogelpackung werden, betonte Marion Jungbluth, Leiterin Team Mobilität und Reisen bei der Verbraucherzentrale Bundesverband. Für einkommensschwache Haushalte seien 49 Euro pro Monat „nach wie vor zu hoch“, sagte sie und forderte ein Sozialticket für 19 Euro, welches parallel zum Deutschlandticket eingeführt werden müsse, „um den ÖPNV dauerhaft für alle Einkommensgruppen nutzbar zu machen“.

Gleichzeitig sprach sie sich dafür aus, das Deutschlandticket ohne Verpflichtung für ein Abonnement monatlich an Schaltern und Ticketautomaten uneingeschränkt erwerbbar zu machen. Neben der Erhöhung der Regionalisierungsmittel zur Sicherstellung des laufenden Angebotes, so die Vertreterin der Verbraucherzentrale Bundesverband, müsse eine langfristig gesicherte Finanzierungsstrategie für den ÖPNV mit dem Ziel des Angebotsausbaus geschaffen werden.

„Mit jedem Buskilometer tiefer ins Minus“

Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen aus Sicht von Christiane Leonard, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer (BDO), nicht aus, um die finanziellen Herausforderungen für die Verkehrsunternehmen durch Kostensteigerungen auszuräumen und den Ansprüchen an den öffentlichen Verkehr gerecht zu werden.

Die Busunternehmen belaste der aktuelle Dieselpreisschock durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit hohen Energiekosten. „Die Busunternehmen fahren wortwörtlich mit jedem Buskilometer tiefer ins Minus“, sagte Leonard. Ihr Verband setze sich daher dafür ein, „dass die Busunternehmen unbedingt durch die Härtefallregelung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds abgesichert werden müssen, um kurzfristig entlastet zu werden“, heißt es in der BDO-Stellungnahme.

Kritik an Arbeitsbedingungen in der Branche

Andreas Schackert, Bundesfachgruppenleiter Busse und Bahnen bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, bemängelte, dass bei dem Ziel der „Abfederungen der Preissteigerungen“ die Personalkosten nicht berücksichtigt seien. Für die Zukunftsfähigkeit des ÖPNV sei es unerlässlich, die Arbeitsbedingungen in der Branche attraktiver zu machen, um im Umfeld des grassierenden Fachkräftemangels mindestens die hohen demographisch bedingten Abgänge von Mitarbeitern ausgleichen zu können.

Die fehlende Berücksichtigung der daraus wie der aus den notwendigen Lohnerhöhungen entstehenden Kosten setze die ÖPNV-Unternehmen weiter unter Druck, befand Schackert. Ergebnis seien schon heute regelmäßige Ausfälle von Fahrten und planmäßiges Ausdünnen der Fahrpläne – „also ein Rückzug des ÖPNV“.

Sachverständiger sieht Länder in der Pflicht

Dr. Jan Schilling vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sieht in der Erhöhung der Regionalisierungsmittel einen richtigen Schritt. Nun müssten auch die Länder ihren Beitrag zu einem modernen ÖPNV leisten, „um eine Vollfinanzierung der Kosten sicherzustellen“, verlangte er. Schließlich handle es sich beim ÖPNV „um eine Länderaufgabe, zu deren Finanzierung der Bund bereits heute einen unverzichtbaren Beitrag leistet“.

Aus Sicht des VDV braucht es mit Blick auf die Klimaschutzziele 2030 eine planbare und auskömmliche Perspektive für den Ausbau des ÖPNV. Vor diesem Hintergrund sei die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, über die weitere Entwicklung der Regionalisierungsmittel für die Zeit ab 2025 erst Ende 2024 zu sprechen, „nicht sachgerecht“, so Schilling. Es fehle eine langfristige Planungssicherheit, die für die Branche und deren Entwicklung einen besonderen Wert darstellt.

Nachhaltige Finanzierungsregelung gefordert

Nach Einschätzung von Dr. Matthias Stoffregen, Geschäftsführer von mofair, einem Bündnis für fairen Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr, wird durch die vorgesehene Anpassung der Regionalisierungsmittel den Aufgabenträgern im SPNV nur eine Atempause von maximal zwei Jahren gewährt, ehe erneut über Leistungskürzungen zu reden wäre. „Ab 2025, vielleicht auch früher, sehen wir wieder große Fragezeichen“, sagte er. Stoffregen sprach sich außerdem dafür aus, die Dynamisierungsraten von Regionalisierungsmitteln und Trassen- und Stationsgebühren nicht nur für 2023 einmalig, sondern dauerhaft zu entkoppeln.

Eine umfassende und nachhaltige Finanzierungsregelung für den ÖPNV forderte auch José Luis Castrillo, Vorstand beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr. Benötigt werde dafür ein Dreiklang aus der qualitativen Bestandssicherung des Angebots, dem Ausbau des Nahverkehrs und einer Antriebswende sowie der Umsetzung des Deutschlandtickets mit gleichzeitigem Ausbau der Kundenservices. Würden aber keine Finanzierungsregelungen gefunden, so Castrillo, seien Diskussionen über eine Reduktion des Leistungsangebots unausweichlich. Dies wiederum würde die Verkehrswende und damit den Klimaschutz negativ beeinflussen.

Aufstockung auf 1,65 Milliarden Euro gefordert

Die Länder sorgten derzeit dafür, dass ÖPNV und SPNV nicht zusammenbrechen, betonte Thomas Kiel d'Aragon vom Deutschen Städtetag. Die dafür entstandenen Kosten würden mit der zusätzlichen einen Milliarde Euro an Regionalisierungsmitteln nicht gedeckt. Eine Aufstockung auf 1,65 Milliarden Euro bleibe „zur Aufrechterhaltung der bisherigen ÖPNV-Angebote unabdingbar“.

Zudem müsse die gesetzliche Dynamisierung an die tatsächliche Kostenentwicklung angepasst werden, verlangte der Kommunalvertreter. Die Dynamisierungsrate von drei Prozent bleibe deutlich hinter der tatsächlichen Inflationsrate und den zu erwartenden Preisentwicklungen zurück. Die Länder gingen bei ihren Planungen für den Zeitraum von 2022 bis 2031 von durchschnittlichen jährlichen Kostensteigerungen von 4,8 Prozent aus.

Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen

Dem Entwurf zufolge sollen die Bundesländer in diesem Jahr eine Milliarde Euro mehr für den Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs vom Bund erhalten. Zudem soll ab 2023 die jährliche Dynamisierungsrate der sogenannten Regionalisierungsmittel von 1,8 Prozent auf drei Prozent erhöht werden. Nach Angaben der Fraktionen erhöhen sich dadurch die Regionalisierungsmittel in den Jahren 2022 bis 2031 auf 17,3 Milliarden Euro.

Die Erhöhung der Regionalisierungsmittel geht auf eine Vereinbarung zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und den Regierungschefs der Bundesländer vom 2. November zurück. Sie soll der Abfederung von Preissteigerungen infolge des Ukrainekrieges dienen. Zudem soll durch die Verbesserung der Finanzierung der Öffentliche Personennahverkehr als umweltfreundlicher Verkehrsträger gestärkt und wettbewerbsfähiger werden. (hau/vom/aw/12.12.2022)