Bürgerschaftliches Engagement

Mehr Unterstützung für ehrenamtliche Arbeit in der sozialen Hilfe gefordert

Zeit: Mittwoch, 17. Januar 2024, 16.30 bis 18.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.800

Sie wollen kein Lückenbüßer für staatliche Versäumnisse bei der Armutsbekämpfung sein, stattdessen bräuchten Ehrenamtliche bessere Rahmenbedingungen und eine höhere Wertschätzung: Über die ehrenamtliche Arbeit sozialer Hilfsorganisationen und ihre Forderungen an die Politik sprachen die Sachverständigen am Mittwoch, 17. Januar 2024, in einem Fachgespräch des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement zum Thema Engagement in der sozialen Hilfe.

„Der Staat ruht sich auf unserer Arbeit aus“

265.000 Tonnen Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können, retten sie jährlich und geben sie an Menschen in Armut weiter: die 60.000 Aktiven, die sich in aktuell 974 Tafeln in Deutschland engagieren, stellte Sirkka Jendis, Geschäftsführerin der Tafel Deutschland, ihre Organisation vor. Vor allem die Lebensmittelspenden und das Engagement der Ehrenamtlichen begründeten den Erfolg der Tafel-Bewegung, dem „größten sozialen Lebensmittelretter in Deutschland“, von dem zwischen 1,6 und zwei Millionen Bedürftige profitierten.

Mittlerweile reiche die Unterstützung der Tafeln weit über die Zuteilung von Essen und Trinken hinaus. Man berate in Ernährungsfragen, ermögliche soziale Teilhabe, sei ein Ort der Begegnung. Armut sei „auch Armut an Möglichkeiten“. Bei der Tafel könnten Ausgegrenzte und Einsame ihre Isolation überwinden. Die Tafeln leisteten einen wichtigen Beitrag zur Krisenbewältigung in der Gesellschaft; arbeiteten aber auch seit Jahren selbst im Krisenmodus. Die Lebensmittelspenden gingen zurück, die Zahl der Hilfesuchenden aber steige. Leider habe man einzelne Standorte schließen oder Aufnahmestopps verhängen müssen.

Betroffene wegschicken zu müssen, belaste die Ehrenamtlichen stark. Diese träten schließlich an, um die Lage der Menschen zu verbessern. Aber: „Die Tafeln können und wollen nicht die Armut bekämpfen. Das ist Aufgabe des Staates.“ Als Dachorganisation stelle man aber fest, „dass der Staat sich auf unserer Arbeit ausruht“. Die Politik dürfe „die Kraft des Ehrenamtes nicht ausnutzen“. Stattdessen fordere man, dass die entstehende Engagementstrategie der Bundesregierung dazu beitrage, die finanzielle Lage der Tafeln zu verbessern, Mitarbeiter zu qualifizieren, mehr hauptamtliche Stellen einzurichten und den administrativen Aufwand zu reduzieren.

Mehr Unterstützung von der Politik gefordert

„Wir erwarten mehr Unterstützung seitens der Politik“, sagte Jendis. Das beginne bei der Erstattung von Fahrtkosten, und gehe über eine Stärkung der Freiwilligendienste und eine Regelung, die Ehrenamt auch vor dem Renteneintrittsalter attraktiv mache, bis hin zu einer größeren Wertschätzung des ehrenamtlichen Engagements.

Vereine wie die Tafel bräuchten zudem die finanziellen Mittel, um in ihre digitale Ertüchtigung zu investieren, etwa für die Routenplanung, und, um den Aktiven bei Bedarf eine professionelle psychologische Begleitung an die Seite zu stellen. „Demokratie lebt vom Ehrenamt, von bürgerschaftlichen Partizipation“, schrieb Jendis den Abgeordneten ins Stammbuch.

Ehrenamtskoordination als „wichtiger Hebel“

Über das „Modellprojekt der Ehrenamtskoordination“ bei der Berliner Stadtmission berichtete Henriette von Wulffen, Abteilungsleiterin Ehrenamt bei der Berliner Stadtmission. Über 2.000 Ehrenamtliche engagierten sich in ihrer Organisation in etwa 80 Einrichtungen, die Hilfe für Arbeitslose oder Geflüchtete anbieten oder in der Jugendarbeit oder Seniorenbetreuung tätig sind.

Das wissenschaftlich begleitete Modellprojekt in vier ausgewählten Einrichtungen solle zeigen, dass Stellen zur Ehrenamtskoordination „ein wichtiger Hebel“ beim Einsatz von Ehrenamtlichen sind. Dabei sollen ehrenamtliche Koordinatoren feststellen, wo konkret Unterstützung etwa bei der Wohnungsnothilfe gebraucht werde. Bei der ebenfalls zum Projekt gehörenden Notübernachtung schaffe man bereits mehr Nachbereitungen der einzelnen Einsätze von Helfern.

Ansprechpersonen für Engagierte

Begonnen habe es bei der Ukraine-Flüchtlingshilfe. Dort verfüge man in Berlin über eine in Deutschland „einzigartige staatliche Förderung“ für die Ehrenamtskoordination. Keinesfalls dürften durch diesen Ansatz hauptamtliche Stellen ersetzt werden, mahnte von Wulffen. Es gehe vielmehr darum, Ansprechpersonen für Engagierte zu haben, die die Engagierten durch ihr Ehrenamt begleiteten, die Bedarfe ermittelten, Aufgaben zuteilten und für Anerkennung des geleisteten Engagements sorgten.

Angesichts ihres geringen Anteils an den Ehrenamtlichen wolle die Stadtmission sich künftig verstärkt auch um junge Menschen bemühen. Dieser Zielgruppe müsse man mit Benefits etwa bei der Mobilität, aber auch durch Fortschritte bei der Digitalisierung entgegenkommen. So programmiere man gerade eine App, die auf die Arbeitsabläufe in der Stadtmission zugeschnitten sei und mit der sich beispielsweise Ehrenamtliche zu Dienstbeginn einchecken könnten. (ll/17.01.2024)