Bürgerschaftliches Engagement

Wie Ehrenamtliche in den Kommunen besser geschützt werden können

Zeit: Mittwoch, 25. September 2024, 16.30 bis 18.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.800

Wie Ehrenamtliche in kommunalen Verwaltungen und Parlamenten besser vor Anfeindungen und Übergriffen geschützt werden können, darum ging es im öffentlichen Fachgespräch des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement zum Thema „Kommunales Engagement und Schöffendienst“ am Mitwoch, 25. September 2024.

Kommunale Selbstverwaltung unter Druck

Die kommunale Selbstverwaltung gehört zu den „Wurzeln unserer Demokratie“, stellte Ralf Göbel klar, Unterabteilungsleiter (H II – Gleichwertige Lebensverhältnisse; Demografie; Kommunen) im Bundesministerium des Innern und für Heimat. Die Idee sei, dass Bürgerinnen und Bürger für ihr Gemeinwesen selbst Verantwortung übernehmen und den Raum, in dem sie leben, eigenständig gestalten.

Die kommunale Selbstverwaltung gerate aber aus verschiedenen Richtungen mehr und mehr unter Druck. So nähmen die Pflichtaufgaben der Städte und Gemeinden zu, während die Möglichkeiten zur Selbstverwaltung aufgrund „nahezu erschöpfter finanzieller Ressourcen in den Kommunen eher abnehmen“ würden, erklärte Göbel.

Mit dem dem abnehmenden Gestaltungsspielraum schwinde aber auch die Motivation für alle, die in der Kommune Verantwortung übernehmen wollten. Seitens des Bundesministeriums versuche man, die Interessen der kommunalen Gebietskörperschaften in den Gesetzgebungsprozess einzubeziehen.

Veränderter Umgang mit ehrenamtlich Engagierten

Unter Druck gerate die kommunale Selbstverwaltung aber auch dadurch, dass sich der Umgang mit kommunalen Amt- und Mandatsträgern sowie mit Ehrenamtlichen „deutlich verändert“ habe. So berichteten 40 Prozent der in den Kommunen ehrenamtlich Engagierten laut einer aktuellen Umfrage von Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Angriffen.

60 Prozent der Bürgermeister in Deutschland bekleideten diese Position ehrenamtlich. 50 Prozent von ihnen seien unzufrieden mit den Rahmenbedingungen, 62 Prozent beklagten, die Unvereinbarkeit von Ehrenamt, Familie und Beruf. Und 61 Prozent verwiesen darauf, dass auch die Bürger zunehmend unzufrieden seien. Das hänge damit zusammen, dass sich der Unmut über den Staat insgesamt vorrangig auf der kommunalen Ebene äußere.

Zugang zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten

Über das Angebot der vom Bundesinnenministerium eingerichteten „starken Stelle“ berichtete Marcus Kober von der Ansprechstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger („starke Stelle“). Die Einrichtung biete Amts- und Mandatsträgern, die in Ausübung ihrer kommunalpolitischem Aufgabe Hass, Hetze und Bedrohung ausgesetzt sind, niedrigschwellig Zugang zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten. 38 Prozent der kommunalen Amts- und Mandatsträger hätten im letzten Halbjahr angegeben, angefeindet oder bedroht worden zu sein.

Zu den besonders vulnerablen Gruppen zählten Frauen, die infolge von Angriffen häufig mit dem Gedanken spielten, sich aus ihrer Tätigkeit zurückzuziehen. Aber auch die freiwilligen Engagierten würden sehr viel häufiger als Hauptamtliche „von Angesicht zu Angesicht attackiert“ und überlegten sich dann, ob sie dieses Amt fortführen wollen, berichtet Kober. Und schließlich hätten auch innerhalb der Parlamente die Anfeindungen zugenommen. Vor allem diesen gefährdeten Zielgruppen wolle die Beratungsstelle helfen.

Psychologische Betreuung für Schöffinnen und Schöffen

Ausgehend von der Tatsache, dass Gerichtsverfahren in der Öffentlichkeit zu führen sind, bestehe auch für Schöffinnen und Schöffen eine „latente Gefahr“, angefeindet, verfolgt und bedroht zu werden, sagte Andreas Höhne, Präsident des Bundesverbandes der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter. Die Zahl der Fälle sei in dem Einsatzgebiet der Schöffinnen und Schöffen, in der Strafjustiz, allerdings „überschaubar“.

Derartige Angriffe hinterließen jedoch Spuren bei den ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern. Kolleginnen und Kollegen berichteten zudem über die Belastung, die es bedeute, an einem Verfahren mitzuwirken. „Ich falle in ein Loch“, sei das Gefühl vieler, wenn sie aus einem Konflikt herauskämen und nicht über das Verfahren reden dürften. Sein Verband wünsche sich die Möglichkeit einer psychologischen Betreuung auch für die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

Belastungen junger Frauen in der Kommunalpolitik

Auf die besonderen Belastungen von jungen Frauen in der Kommunalpolitik ging Prof. Dr. Zohal Hessami vom Lehrstuhl für Sozialpolitik und öffentliche Wirtschaft der Ruhr-Universität Bochum ein. Etwa 25 bis 28 Prozent der Kandidatinnen für Stadt- und Gemeinderäte seien heutzutage weiblich, 20 bis 23 Prozent davon würden schließlich in den Rat gewählt. Dieser in den beiden Dekaden seit der Jahrtausendwende langsam, um drei bis vier Prozent, gewachsene Frauenanteil sei ein Fortschritt, auch wenn man in den letzten Jahren eine Stagnation beobachte.

Vielleicht lasse sich das auch zu einem guten Teil mit der Gewalt gegen Frauen in der Politik erklären, bei jungen Frauen komme aber sicher auch die Mehrfachbelastung von Familie und Beruf hinzu, dass weibliche Kandidatinnen um ein Gemeinderatsmandat mit einer um vier bis fünf Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit wieder antreten würden als ihre männlichen Kollegen. Das habe eine eigene Untersuchung der Stadt- und Gemeinderatswahlen in Hessen ergeben. Diese Genderlücke liege bei der Gruppe der 18- bis 34-jährigen Frauen sogar bei 16 Prozent.

„Einmal erreichten Frauenanteil halten“

Wichtig sei, den einmal erreichten Frauenanteil zu halten, auch wenn man noch weit von dem Ziel der Parität entfernt sei, und dass Frauen, die einmal kandidiert hätten, die Motivation entfalten könnten, dabei zu bleiben.

Jungen Frauen würden strukturelle Anpassungen, wie etwa Zahl und Zeitpunkt von Sitzungen, helfen, ihren ehrenamtlichen Einsatz besser mit beruflichen und familiären Verpflichtungen zu vereinen.

„Wir sind das Gesicht des Staates“

„Konflikte sind integraler Bestandteil von Gesellschaft“ und „eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine“, zitierte Dr. Ulrike Gatzemeier, Leiterin des Kompetenzzentrums Kommunale Konfliktberatung aus Salzwedel, den Sozialwissenschaftler Ralf Dahrendorf und Altbundeskanzler Helmut Schmidt.

Es gebe aber heutzutage wohl mehr Konfliktlagen, und die Bürgerinnen und Bürger träten selbstbewusster auf. Ein Bürgermeister habe ihrem Verein gegenüber gesagt: „Wir sind jenseits unserer tatsächlichen Zuständigkeit das Gesicht des Staates. Wir werden beleidigt, beschimpft, bedroht. Wir wollen Bürgerbeteiligung, aber wir sind auch mit Bürgerinnen und Bürgern konfrontiert, die zerstören wollen. Wir brauchen einen Blick auf die Dynamiken in unseren Städten, wir brauchen dafür aber nicht nur einen Anschub, sondern ständige Begleitung.“

Kommunale Konfliktberatung

Dieser Begleitung, der kommunalen Konfliktberatung, habe sich ihr Verein verschrieben, erläuterte Gatzemeier und betrachtete das Thema der Sitzung aus einer zivilgesellschaftlichen Perspektive. Man unterstütze lokale Akteure aus Politik und Verwaltung dabei, die komplexe Gemengelage lokaler Herausforderungen und Konflikte zu entwirren, die Bedürfnisse verschiedener Interessengruppen herauszuarbeiten und Lösungsansätze entwickeln. Damit alleingelassen, stießen Kommunen allzu oft an ihre Grenzen.

Zu den häufigsten Konfliktthemen in Städten und Gemeinden gehören laut Gatzemeier die Bürgerbeteiligung bei Gemeindegebietsreformen, der Umgang mit kultureller, ethnischer, religiöser Vielfalt vor Ort, die Errichtung von Wind- und Solarparks, aber auch Lärmbelästigung, Müllentsorgung oder Sicherheitsfragen.

Konstruktiver Umgang mit Konflikten

Wenn an einem Ort multiple Problemlagen und unzufriedene Bürger auf kommunales Engagement und Verwaltungshandeln träfen, setze das Energien frei im Negativen wie im Positiven. Die Menschen seien gefrustet. Der Umgangston drohe sich zu verschärfen. Man schreibe sich nur noch wütende Briefe. Oft fehle der Blick von außen, um diese Gemengelage zu überschauen. Oder schlicht ein Raum, in dem die vermeintlichen Kontrahenten ihre Konflikte über ihre widerstreitenden Interessen und den richtigen Weg austragen könnten.

Grundsätzlich seien Kommunen in der Lage, mit Konflikten umgehen. Aber Konfliktparteien müssten wissen, wo sie zusätzlich externe, kompetente Unterstützung erhalten können. Bei Transformationsprozessen müsse das Entstehen von Konflikten von vornherein mitgedacht werden, riet die Wissenschaftlerin.

Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten könne Engagement und Ehrenamt langfristig stärken, sagte Gatzemeier und appellierte an die Abgeordneten, das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ als wichtiges Förderprogramm „langfristig abzusichern“. (ll/26.09.2024)

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