Selbstbestimmungsgesetz stößt auf Zustimmung und Skepsis
Zeit:
Dienstag, 28. November 2023,
8
bis 10 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal Saal E 200
Sachverständige haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften (20/9049) teils begrüßt und zugleich Verbesserungen gefordert, teils aber auch kritisiert. In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bezeichnete Nele Allenberg vom Deutschen Institut für Menschenrechte den Gesetzentwurf am Dienstag, 28. November 2023, als „verfassungsrechtlich elementares Vorhaben“.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Entwurf sieht vor, dass Geschlechtseinträge und Vornamen künftig per Erklärung gegenüber dem Standesamt geändert werden können. Die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung soll entfallen. Die Neuregelung soll auch für nichtbinäre Personen gelten, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Das bisher einschlägige Transsexuellengesetz soll aufgehoben werden.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass eine Änderung drei Monate vorher beim zuständigen Standesamt angemeldet werden muss. Für unter 14-Jährige soll nur der gesetzliche Vertreter die Erklärung abgeben können, über 14-Jährige sollen sie mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters selbst abgeben können. Stimmt dieser nicht zu, soll das Familiengericht die Zustimmung ersetzen können, „wenn die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht“.
„Altersgrenze und Eltern-Zustimmung überdenken“
Allenberg wertete es positiv, dass Minderjährige ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können, was der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen entspreche. Allerdings empfahl sie, die Altersgrenze und die Zustimmung der Sorgeberechtigten zu überdenken, weil dies die subjektiven Kinderrechte einschränke.
Die Regelung, dass im Konfliktfall das Familiengericht die Zustimmung der Eltern ersetzt, birgt aus ihrer Sicht die Gefahr, dass auf ein Gutachten zurückgegriffen wird. Eine Fremdbegutachtung sei jedoch zu vermeiden. Darüber hinaus kritisierte Allenberg die Weiterleitung von Daten an andere Behörden, was der Datenschutzgrundverordnung widerspreche. Dies könne Betroffene davon abhalten, die Erklärung vor dem Standesamt abzugeben.
„Auf Anmelde- und Sperrfristen verzichten“
Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans begrüßte den Gesetzentwurf, auch wenn dieser hinter den Erwartungen zurückbleibe. Hümpfner regte an, auf Anmelde- und Sperrfristen für die Erklärung zu verzichten und die Änderung des Geschlechtseintrags für alle über 14-Jährigen zu ermöglichen, auch für solche, für die ein gesetzlicher Betreuer bestellt wurde.
Hümpfner forderte ein klares Bekenntnis zum Schutz vor Diskriminierung und die Streichung von Regelungen zum „Hausrecht“ (Paragraf 6 Absatz 2), die Schließung von Schutzlücken im Offenbarungsverbot (Paragraf 13), vor allem die automatisierte Datenübermittlung an Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden, sowie die Bestimmungen zum Abstammungsrecht (Paragraf 11). Letztere verschlechterten die Möglichkeiten für die rechtliche Anerkennung von trans, intergeschlechtlichen und nichtbinären Eltern, die ein Kind gezeugt haben und keinen männlichen Personenstand mehr haben, was nicht hinnehmbar sei.
„Wichtiger Schritt zu Mündigkeit und Selbstbestimmung“
Richard Köhler von Transgender Europe nannte den Entwurf einen wichtigen Schritt zu Mündigkeit und Selbstbestimmung und richtete den Blick auf die Gesetzeslage in anderen europäischen Ländern, in denen die in öffentlichen Debatten geäußerten Befürchtungen nicht eingetreten seien.
Frauenrechte, Frauenschutzräume und das Kindeswohl würden nicht gefährdet. Das Gesetz helfe einigen Menschen sehr, für die große Mehrheit sei es irrelevant. Der Gesetzentwurf sei Teil der Modernisierungsaufgabe der Gesellschaft, Debatten über möglichen Missbrauch seien Nebelkerzen, sagte Köhler.
Prof. Dr. Bettina Heiderhoff, Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Familienrecht der Universität Münster, begrüßte die Möglichkeit, den eigenen Geschlechtseintrag privatautonom bestimmen zu können. Sie kritisierte, dass Transfrauen derzeit nicht die zweite Elternstelle eines Kindes einnehmen könnten, das sie noch als heterosexueller Mann selbst gezeugt hätten.
„Regelungsanliegen stark verwässert“
Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, Europarechtlerin an der Universität Flensburg, kritisierte, dass das Regelungsanliegen stark „verwässert“ worden sei. So fehle die Einsicht, dass das Recht auf Geschlechtsbestimmung ein Menschenrecht sei. Sie empfahl, die Regelung zu streichen, wonach nur solche Ausländer den Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern lassen können, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder eine vergleichbare Aufenthaltserlaubnis haben, sich rechtmäßig im Inland aufhalten oder eine Blaue Karte EU besitzen.
Auch die Regelung eines „Aufgebots“ beim Standesamt mit einem zweiten Termin sei zu streichen. Verbesserungen verlangte Mangold auch bei der Ausgestaltung des Offenbarungsverbots. „Deadnaming“ und „Misgendering“ müssten als verbreitete Formen verbaler Angriffe auf trans Personen aufgenommen werden, um effektiven Schutz sicherzustellen.
„Gesetz darf nicht zu mehr Diskriminierung führen“
Henrike Ostwald vom Deutschen Frauenrat sah in dem Entwurf einen Schritt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Sie wandte sich dagegen, dass „vermeintliche Frauenrechte“ gegen den Entwurf vorgebracht würden. Frauen-Schutzräume seien durch das Selbstbestimmungsgesetz nicht in Gefahr. Das Gesetz dürfe nicht zu mehr Diskriminierung führen.
Prof. Dr. Sibylle Winter von der Charité-Universitätsmedizin in Berlin begrüßte den Entwurf ebenfalls und nannte es positiv, dass keine Gutachten mehr verlangt würden. Bei Erklärungen durch Minderjährige sprach sie sich für ein „persönliches Erscheinen“ beim Standesamt aus. Bei Nichtzustimmung der Eltern könne ein vom Familiengericht angeregter Beratungsprozess dazu beitragen, den weiteren Weg als Familie zu gehen und das Kindeswohl nicht zu gefährden.
„Ungelöste Folgeprobleme“
Prof. Dr. Judith Froese, Rechtswissenschaftlerin von der Universität Konstanz, stellte fest, dass zwingender Reformbedarf nicht bestehe. Sie sprach ungelöste Folgeprobleme an, etwa unter welchen Voraussetzungen ein privater Saunabetreiber oder ein Frauenhaus einer Person den Zugang verwehren darf. Für trans- und intergeschlechtliche Personen verschlechtere sich die rechtliche Situation gegenüber der jetzigen Rechtslage teilweise. Nachbesserungsbedarf sah Froese auch beim Schutz Minderjähriger, für die stärkere Schutzvorkehrungen getroffen werden sollten als für volljährige Personen.
Fehlende Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch monierte auch der Autor und Publizist Till Randolf Amelung. Wenn Geschlechtseintrag und Vornamen ohne Exploration der Handlungsgründe geändert werden könnten, könne Missbrauch nicht ausgeschlossen werden, vulnerable Gruppen hätten unter Umständen keinen Schutz. Er empfahl eine verpflichtende Beratung, die eine Schutzfunktion hätte und für vulnerable Personen eine Hilfe sein könnte.
„Risikopotenzial höher als der Gewinn“
Prof. Dr. Aglaja Stirn, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, bewertete das Risikopotenzial des Gesetzes höher als den Gewinn. Das Kindeswohl könne auf der Strecke bleiben. Minderjährige seien meist nicht in der Lage, Bedeutung, Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können. Der Gruppendruck mache auch den Rückweg schwierig. Wenn der Weg einmal beschritten worden sei, werde man lebenslang zum Patienten.
Prof. Dr. Bernd Ahrbeck von der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin nannte 14-Jährige hoffnungslos überfordert, eine solche Entscheidung zu treffen. Kinder versöhnten sich wieder mit dem ursprünglichen Geschlecht, der Ausgang der Entwicklung sei ungewiss. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass Persönlichkeitsrechte einer fachlichen Begutachtung nicht entgegenstünden. Es müsse geklärt werden, so Ahrbeck, welche Bedeutung psychische Auffälligkeiten haben. (vom/28.11.2023)