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Verantwortung der der Europäischen Zentralbank für Inflation umstritten

in symbolischer Holzstempel, gehalten von einer Hand mit der Aufschrift Inflationsausgleich vor dem Plenum des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude.

Die Unionsfraktion fordert einen „Schutzschirm gegen die Inflation“. (© picture alliance / SULUPRESS.DE | Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE)

Zeit: Mittwoch, 21. September 2022, 14.30 bis 16 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 400

Die Verantwortung der Europäischen Zentralbank (EZB) für die hohe Inflation ist in einer Anhörung des Finanzausschusses am Mittwoch, 21. September 2022, von den Sachverständigen unterschiedlich beurteilt worden. „Hauptverantwortlich für die gegenwärtige inflationäre Entwicklung ist die Geldpolitik der EZB“, erklärte Prof. Dr. Fritz Söllner von der Technischen Universität Ilmenau in der vom Vorsitzenden Alois Rainer (CDU/CSU) geleiteten Anhörung, in der es um einen Antrag der Union gegen die Inflation ging (20/1724). Die Zentralbankgeldmenge sei seit Ende 2009 um 392,1 Prozent gewachsen, wohingegen das reale Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone im Zeitraum lediglich um 15,6 Prozent zugenommen habe. Angesichts dessen sei der Ausbruch der Inflation lediglich eine Frage der Zeit gewesen. Die Inflation werde sich höchstwahrscheinlich noch beschleunigen und auch noch länger anhalten.

Schrittweiser Erhöhung der Leitzinsen gefordert

Prof. Dr. Gunther Schnabl vom Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig erklärte, zwar habe der Ukraine-Krieg in der letzten Monaten maßgeblich zu stark steigenden Energiepreisen und damit zu der hohen Konsumentenpreisinflation beigetragen, doch lägen die Wurzeln tiefer, nämlich bei der EZB. Die Zentralbank habe sich vom Mandat der Preisstabilität entfernt.

Die Energie- und Rohstoffpreise würden auch von der Geldpolitik beeinflusst. Dies könnte erklären, warum die Energiepreise schon seit Mitte 2021 gestiegen seien. Laut Schnabl sind die wichtigsten Schritte für die Reduzierung der Inflation die schrittweise Erhöhung der Leitzinsen und ein Ende der Staatsanleihenkäufe der EZB.

Kritik an „Fehldiagnose“ der Union

Dagegen erklärte Prof. Dr. Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Antrag der Unionsfraktion basiere auf einer oberflächlichen und teilweise fehlerhaften Diagnose der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation. Die „Rekordniedrigzinspolitik“ und „Rekordverschuldung“ für die Inflation verantwortlich zu machen, sei grob irreführend, da die Inflation in Deutschland fast ausschließlich auf Angebotsschocks zurückzuführen sei.

Auch Prof. Dr. Achim Truger von der Universität Duisburg-Essen warf der Union eine Fehldiagnose vor, wenn sie die bis vor kurzem noch sehr lockere Geldpolitik der EZB zu einer der Hauptursachen für die aktuell viel zu hohe Inflation erkläre. Abgesehen davon, dass die EZB ihren Kurs mittlerweile mit bislang zwei kräftigen Zinserhöhungen bereits korrigiert habe, bestehe die Hauptursache für die hohe Inflation im dramatischen Anstieg der Energiepreise, den gestörten Lieferketten und dem Anstieg der Nahrungsmittelpreise. Dafür könnte die EZB nicht verantwortlich gemacht werden.

Wirtschaftswissenschaftler Dr. Heiner Flassbeck erläuterte, die Aufblähung der Bilanzen der Zentralbanken sei nicht ursächlich für die Inflation, denn die mit Abstand größten Bilanzsummen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt würden die Schweiz und Japan ausweisen. Das seien ausgerechnet die beiden Länder, die von den aktuellen Preissteigerungen am wenigsten berührt würden.

Direktzahlungen als „wirkungsvolle“ Unterstützung

Auf Fragen von Abgeordneten nach möglichen Entlastungsmaßnahmen sagte Dr. Tobias Peters von der Arbeitnehmerkammer Bremen, eine wirkungsvolle und zeitnahe Unterstützung der Menschen lasse sich am besten mit Direktzahlungen erreichen. Eine zweite Energiepreispauschale könne wirksamer sein als der Abbau der kalten Progression.

Dr. Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft stellte in seiner Stellungnahme fest, die Energiepreiskrise erfordere über den steuerlichen Ausgleich der Inflation hinaus zielgenaue Entlastungen, um Privathaushalte finanziell nicht zu überfordern. Direktzahlungen in Form von Zuschüssen und Pauschalen seien dabei ein wirksamer Ansatz. Isabella Weber von der University of Massachusetts Amherst wies darauf hin, dass pauschale Steuersenkungen bei Energie Sparanreize reduzieren könnten.

Steuersenkungen auf Energie umstritten

Dr. Katja Rietzler vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung betonte, die Forderung nach umfassenden Steuersenkungen auf Energie stehe im Widerspruch zu dem von der CDU/CSU-Fraktion ebenfalls bekräftigten Bekenntnis zur Klimaneutralität bis 2045. Damit würde auch ein falsches Signal für langfristige Investitionsentscheidungen gegeben. Sie empfahl einen Steuertarif mit höherem Grundfreibetrag und nur einer Progressionszone. Das würde Bezieher kleiner Einkommen entlasten und Bezieher höherer Einkommen belasten.

Prof. Dr. Justus Haucap von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sagte, eine passgenaue Möglichkeit zur Entlastung von Bürgern, die von Energiepreissteigerungen besonders betroffen seien, seien umfassende Steuersenkungen auf Energie. Dadurch würden die Bürger in dem Maße entlastet, wie sie Energie konsumierten. Für besonders Bedürftige wären direkte Transfers besser geeignet. Prof. Dr. Veronika Grimm von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sprach sich für ein größeres Angebot an Energie aus. Gespart werden beim Verbrauch müsse aber trotzdem.

Antrag der Union

In ihrem Antrag verlangt die CDU/CSU-Fraktion einen Schutzschirm gegen die Inflation. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt müsse wieder in Kraft und durchgesetzt werden. Die CDU/CSU-Fraktion fordert weiter, dass die Europäische Zentralbank ihren Stabilitätsauftrag ernst nehmen und auch ernsthaft verfolgen soll. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die kalte Progression komplett zu kompensieren. Die grundgesetzliche Schuldenbremse müsse ab dem nächsten Jahr wieder eingehalten werden.

Die letzte Forderung stieß auf Zustimmung bei der Deutschen Bundesbank. Ihr Vertreter erklärte in der Anhörung, die Einhaltung der Schuldenbremse sei machbar; Spielräume für Entlastungsmaßnahmen gebe es. (hle/21.09.2022)