Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung (SGB-III-Modernisierungsgesetz, 20/12779) stand am Montag, 4. November 2024, im Mittelpunkt einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales. In der Regelung geht es um die Weiterentwicklung des Vermittlungsprozesses, Vereinfachungen und Entlastungen im Versicherungs- und Leistungsrecht, die Anpassung von Förderinstrumenten und den Ausbau der Förderinstrumente der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Ganzheitliche Angebote für junge Menschen
Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband begrüßte den Ansatz, mit dem die Wiedereingliederungsvereinbarung ersetzenden Kooperationsplan „die individuellen Stärken gemeinsam mit den Auszubildenden und Arbeitssuchenden zu besprechen“. Die dazu schon im SGB II vorhandene Regelung sei aber präziser und besser ausformuliert als das, was im Entwurf mit Blick auf den Reha-Bedarf niedergelegt sei, befand sie.
Die Ausrichtung der Schärfung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums auf ganzheitliche Angebote für junge Menschen und die Förderung der Qualifizierung sowie von Gründungswilligen setzt aus Sicht von Evelyn Räder vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) im Hinblick auf die Beschäftigungs-, Standort- und Fachkräftesicherung an den richtigen Stellen an. Die Verstetigung der Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung unter dem Dach der Bundesagentur für Arbeit (BA) sei ebenfalls ein wichtiger Baustein in diesem Kontext, betonte sie.
Zuständigkeit der Arbeitsagenturen
Nach Einschätzung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) enthält der Gesetzentwurf systemwidrige Eingriffe in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung. So sei es systemwidrig, die Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung auf die BA zu übertragen und durch Mittel der Arbeitslosenversicherung zu finanzieren, sagte BDA-Vertreterin Anna Robra. Sie sprach sich dafür aus, die Übermittlung von Kontaktdaten der Kundinnen und Kunden an die BA und potenzielle Arbeitgeber verpflichtend zu machen, um die Vermittlung in Arbeit zu beschleunigen.
Der Deutsche Landkreistag lehnt den Gesetzentwurf ab, wie dessen Vertreter Markus Mempel deutlich machte. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Arbeitsagenturen als neue Aufgabe die Förderung schwer erreichbarer junger Menschen übernehmen sollen, für die die Jugendhilfe, die Sozialhilfe und die Jobcenter Leistungen anböten und Strukturen vorhielten. Tatsächlich problematisch sei hingegen, dass bei der Arbeit der Jugendberufsagenturen der Datenschutz sehr enge Grenzen setze und die finanzielle Ausstattung der Jobcenter im kommenden Jahr prekär zu werden drohe. Hier gebe es Handlungsbedarf, sagte Mempel.
BA warnt vor Mehraufwänden
Bei der Bundesagentur für Arbeit rechnet man mit erheblichen Mehraufwänden. Angesichts der angespannten Haushaltslage bewertete BA-Vertreterin Regine Schmalhorst diese zusätzliche Belastung zum aktuellen Zeitpunkt als kritisch, „auch wenn einzelne Reformvorhaben als inhaltlich sinnvoll bewertet werden“.
Zu begrüßen sei die angestrebte Öffnung der Ausrichtung von Beratung im SGB III für junge Menschen insbesondere am Übergang Schule/Beruf. Gut sei auch, dass Beratungs- und Vermittlungsgespräche „in geeigneten Fällen“ künftig per Videotelefonie durchgeführt werden können.
Videoberatung als Ergänzung
Videotelefonie ist aus Sicht des DBB Beamtenbund und Tarifunion von Bedeutung, da sie nicht nur den Zugang zur Beratung erleichtern, sondern auch für das Personal vor Ort entlastend wirken könne. Die Arbeitsagenturen hätten mit der während der Corona-Pandemie eingeführten Videoberatung grundsätzlich positive Erfahrungen gemacht, sagte dbb-Vertreter Waldemar Dombrowski.
Die Rückmeldungen der Kundinnen und Kunden, die die Videoberatung in Anspruch genommen haben, würden weit überwiegend positiv ausfallen. Gleichwohl sei der Einsatz von Videoberatung lediglich als gute Ergänzung und nicht als Ersatz für persönliche Präsenzberatungen zu betrachten.
Kritik an Bürgergeld-Verschärfungen
Gegen die im Zuge des Omnibusverfahrens zu dem Gesetzentwurf geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld sprach sich Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, aus. Die Annahme, die Verschärfungen könnten zu einem zusätzlichen Wirtschaftswachstum führen, sei verfehlt, sagte er. Ein solcher politischer Kurswechsel sei mit Nachdruck zu kritisieren.
Mit dem begleitenden Diskurs und den geplanten Maßnahmen werde die Verantwortung für eine unzureichende Erwerbsintegration den betroffenen Erwerbslosen zugeschoben. So würden die Opfer des Arbeitsmarktes zu Tätern umgedeutet, sagte Rock.
„Unverbindlichkeit des Kooperationsplans“
Prof. Dr. Gregor Thüsing von der Universität Bonn kritisierte die „Unverbindlichkeit des Kooperationsplans“. Mit dieser Unverbindlichkeit gehe schließlich eine Einschränkung des Maßnahmenkatalogs der Bundesagentur einher, befand er. Stelle die BA Versäumnisse bei der Einhaltung des Kooperationsplans fest, so könne sie keine Sperrzeiten verhängen, sondern müsse zunächst per Verwaltungsakt auf die Konsequenzen der Nichteinhaltung hinweisen und erst hierdurch eine Verpflichtung begründen.
In der Konsequenz könne die Unverbindlichkeit insbesondere das Verhältnis des „Förderns und Forderns“ gefährden, warnte er. Eine Abkehr von diesem Grundsatz habe sich aber bereits bei Einführung des „Bürgergeldes“ nicht bewährt, was nunmehr auch erkannt und zumindest teilweise behoben werde.
Klare Abgrenzung der Zuständigkeiten gefordert
Dominik Schad, Kreisdirektor des Kreises Recklinghausen, sagte, eine grundsätzliche Stärkung des Hilfesystems für junge Menschen im Übergang Schule zu Beruf sei positiv zu unterstützen und zu befürworten. Es müsse jedoch darauf geachtet werden, dass es mit der Neuregelung nicht zu Parallelstrukturen im Kontext der BA und der kommunalen Jugendhilfe kommt, machte er deutlich.
Dies könne zu Desorientierung der ohnehin belasteten jungen Menschen führen, da für sie ihre Ansprechperson nicht eindeutig ist. „Dies gilt es zu vermeiden“, sagte der Kommunalvertreter. Es bedürfe einer klaren Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeiten in den Rechtskreisen, „was den Datenaustausch nicht grundsätzlich ausschließen sollte“.
Jobcenter bemängeln unzureichende Finanzierung
Moritz Duncker vom Personalrat der Jobcenter verwies in seiner Stellungnahme auf die reale Unterdeckung des Globalbudgets der Jobcenter 2025 unter Berücksichtigung der Ist-Ausgaben 2022 und einer „vermutlich unzureichenden“ Annahme der Kostensteigerung durch gestiegene Fallzahlen, Inflation und Tarif- und Besoldungssteigerungen von insgesamt 20 Prozent (rund 1,8 Milliarden Euro).
„Wir wären sehr dankbar, wenn wir endlich ausreichend ausfinanziert würden, bevor uns weitere Aufgaben zugeteilt werden und wir Ratschläge erhalten, wie wir unsere wohlverstandene Arbeit verrichten sollen“, so Duncker.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Weniger Bürokratie, mehr Transparenz und Bürgerfreundlichkeit, mit diesen Zielen will die Bundesregierung die Arbeitsförderung und die Arbeitslosenversicherung modernisieren. Dazu hat sie nun einen umfangreichen Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung (SGB-III-Modernisierungsgesetz, 20/12779) vorgelegt. Darin geht es um die Weiterentwicklung des Vermittlungsprozesses, Vereinfachungen und Entlastungen im Versicherungs- und Leistungsrecht, die Anpassung von Förderinstrumenten und den Ausbau der Förderinstrumente der Bundesagentur für Arbeit,
Konkret sieht der Entwurf unter anderem vor, die Eingliederungsvereinbarung im SGB III (Drittes Buch Sozialgesetzbuch) zu einem Kooperationsplan weiterzuentwickeln, „um den kooperativen Ansatz im Integrationsprozess zu stärken und den derzeit bestehenden praktischen Umsetzungsschwierigkeiten bei der Nutzung der Eingliederungsvereinbarung zu begegnen“. Um Gründerinnen und Gründer zu unterstützen, soll der Zugang zur Arbeitslosenversicherung leichter werden, indem Gründer mehr Zeit für die Entscheidung erhalten sollen, ob sie sich weiter in der Arbeitslosenversicherung absichern wollen.
Die Berechnung des Arbeitslosengeldes soll vereinfacht werden, indem künftig einheitlich die Abzugsbeträge für die Sozialversicherungspauschale, die Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag berücksichtigt werden, die sich zu Beginn des Jahres ergeben, in dem der Anspruch auf Arbeitslosengeld entstanden ist. Aufwändige Nachberechnungen sollen dadurch vermieden werden. Zur Verbreiterung des Förderspektrums sollen Leistungen des SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch/ Bürgergeld), die sich bei der Integration junger Menschen mit einer Vielzahl an Unterstützungsbedarfen bewährt haben, auch im System des SGB III eingeführt und an dieses angepasst werden. Auch die Ausrichtung der Beratung plant die Regierung zu öffnen, sie soll ganzheitlicher und dadurch im Ergebnis nachhaltiger werden.
Der Entwurf sieht ferner vor, den Eingliederungszuschuss bei Übernahme von Menschen mit Behinderungen und schwerbehinderten Menschen in ein Arbeitsverhältnis durch den ausbildenden Arbeitgeber im Anschluss an eine abgeschlossene Aus- oder Weiterbildung auszuweiten. Auch sollen die Kosten der Unterkunft bei Auszubildenden mit Behinderungen in bestimmten Fallkonstellationen besser berücksichtigt werden. Im Recht der Weiterbildungsförderung soll zudem klargestellt werden, dass der isolierte Erwerb von Grundkompetenzen sowie das Nachholen des Hauptschulabschlusses auch für geringqualifizierte Beschäftigte förderfähig sind.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert in einem Antrag (20/12970) die „Neuausrichtung der Jobcenter auf Vermittlung in Arbeit“. Die Abgeordneten kritisieren, dass die Vermittlung eines Bürgergeldempfängers in Unternehmen am ersten Arbeitsmarkt gegenwärtig nur in 13 Prozent der Abgänge aus Arbeitslosigkeit erfolge. Ein großer Teil der Kunden lande hingegen in Nichterwerbstätigkeit, in sonstigen Ausbildung- und Fördermaßnahmen oder bei Firmen des zweiten Arbeitsmarktes und lebe somit weiterhin weitgehend von staatlicher Unterstützung.
Die vermittlungstechnische Betreuung aller erwerbsfähigen Arbeitslosen aus dem SGB III und SGB II (Drittes und Zweites Sozialgesetzbuch) soll künftig aus einer Hand durch die Agenturen für Arbeit erfolgen, fordert die Fraktion. Reibungsverluste durch Parallelstrukturen und Doppelbetreuungen zwischen Arbeitsagentur und Jobcenter sollen damit zukünftig entfallen und Synergieeffekte und Einsparmöglichkeiten entstehen. Außerdem verlangt die Fraktion den Vermittlungsvorrang wieder einzuführen und ein Prämiensystem für erfolgreiche Vermittlung in den Jobcentern einzuführen. (hau/che/04.11.2024)