Experten: Innovative Ansätze in der Datenpolitik nötig
Zeit:
Mittwoch, 26. Juni 2024,
14.30
bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.600
Mit den Rahmenbedingungen für eine innovative Datenpolitik, also Datenaustausch und -nutzung sowie Datenschutz, hat sich der Digitalausschuss am Mittwoch, 26. Juni 2024, in einer öffentlichen Anhörung befasst. Die Sachverständigen bewerteten auch die nationalen Spielräume bei der Umsetzung des europäischen Data Acts, des Data Governance Acts aber auch der KI-Verordnung.
„Konsequentere Umsetzung bewährter Konzepte“
Aline Blankertz von Wikimedia (auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingeladen) kritisierte, dass es einen übersteigerten Glauben an Innovation gebe. Der Nutzen von Daten und Innovation müsse an ihrem Beitrag zum Gemeinwohl gemessen werden, plädierte Blankertz. An vielen Stellen sei kein Mehr an Daten erforderlich, sondern eine „konsequentere Umsetzung bewährter Konzepte und Prozesse.“ Eine öffentliche Verwaltung brauche etwa eine solide Datenarchitektur und -infrastruktur statt Künstlicher Intelligenz.
Als wesentliches Hindernis für mehr Datenzugang für Innovation, Wettbewerb und Gemeinwohl nannte sie Geschäftsgeheimnisse und den Schutz dieser. Die Politik müsse ihren Spielraum bei der Festschreibung von Datenzugang nutzen, um deutlich zu machen, dass das Interesse an Geheimhaltung gegen das Gemeinwohl abzuwägen sei. Bei Produktgruppen, für die es digitale Produktpässe geben soll, müssten Daten möglichst umfassend für viele zur Verfügung stehen.
Dezentrale Dateninfrastrukturen
Dr. Christoph Lange-Bever vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (auf Vorschlag der SPD-Fraktion eingeladen) erläuterte Voraussetzungen für dezentrale Dateninfrastrukturen, in denen Daten sicher und vertrauenswürdig und „auf Augenhöhe“ ausgetauscht werden können.
Die Hemmschwelle für den Einstieg kleiner Unternehmen in Datenräume müsse gesenkt werden, auch die Wissensvermittlung an kleine und mittlere Unternehmen findet bisher eher punktuell und kleinteilig statt, so der Sachverständige. Die ersten GAIA-X-Projekte seien zwar abgeschlossen, die Umsetzung in die Verwertung stehe aber erst am Anfang und die derzeitige Umbruchphase müsse abgewartet werden. Im Hinblick auf die Aufsicht könne eine verringerte Anzahl von Behörden für Daten austauschende Organisationen die rechtliche Vorhersehbarkeit der Folgen des Datenaustauschs verbessern, sagte Lange-Bever.
Datenschutz als Grundrecht
Elisa Lindinger von Superrr Lab (auf Vorschlag der Fraktion der SPD eingeladen) betonte, dass der Datenschutz ein Grundrecht sei und der Gesetzgeber bei der nationalen Umsetzung auf eine Grundrechtsstärkung im Digitalen setzen müsse. Dieser sei ein wirksames Mittel gegen datenbasierte Diskriminierung und Profiling und dürfe nicht gegen wirtschaftliche Interessen abgewogen werden.
Sie verwies auch auf das Entstehen von gesellschaftlichen, volkswirtschaftlichen, aber auch individuellen Schäden bei Datenschutzverstößen, was kaum zu bemessen sei. Bei der Erforschung gesellschaftlicher Auswirkungen von Datenschutzverletzungen seien mehr Ressourcen notwendig. Ein Transparenzgesetz, das den Zugang und die Nutzung öffentlicher Daten regelt, müsse aus Sicht ihrer Organisation so schnell wie möglich auf den Weg gebracht werden.
Einheitliche Rechtsanwendung gefordert
Für eine möglichst einheitliche Gestaltung nationaler Aufsichtsstrukturen sprach sich David Schönwerth vom Branchenverband Bitkom (auf Vorschlag der FDP-Fraktion eingeladen) aus. Hier sei die Bundesnetzagentur derzeit „hoch im Kurs.“ Mitgedacht werden müsse beim Data Act und Data Governance Act auch die Aufsicht beim AI Act, sagte der Sachverständige.
Hinsichtlich des Datenschutzes plädierte Schönwerth, dass die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) nicht neu verhandelt werden solle. Gleichzeitig sei die einheitliche Rechtsanwendung weiter mangelhaft. Eine datenschutzrechtliche Angleichung von Fachgesetzen auf Länder- und Bundesebene sei aus Sicht von Bitkom wünschenswert.
Zersplitterung der Zuständigkeiten kritisiert
Max Schrems (Europäisches Zentrum für digitale Rechte), eingeladen auf Vorschlag der Gruppe Die Linke) gab einen Überblick darüber, wie Datenschutz in Europa derzeit funktioniert „oder nicht funktioniert“. Im Bereich der Aufsicht gebe es in vielen Mitgliedstaaten, so auch in Deutschland, eine Zersplitterung der Zuständigkeiten, was zu Parallelverfahren und Verzögerungen führe, sagte Schrems. Neben mangelnder Schlagkraft und Schnelligkeit der Datenschutzbehörden zeige sich auch bei der deutschen Gerichtsbarkeit eine zersplitterte Rechtsprechung.
Auch verwies Schrems auf bestehende europäische Schlupflöcher in der Aufsicht, etwa in Irland oder Luxemburg. Die Spielräume des nationalen Gesetzgebers seien überschaubar, im Datenschutz gehe es aber um banale Dinge, wie das Bündeln von Verantwortlichkeiten, das Eindämmen des „Wildwuchses an Zuständigkeiten“ oder dass die Datenschutzaufsicht ihre Entscheidungen veröffentliche, so Schrems.
Vom Datenschutz- zum Datenwirtschaftsrecht
Prof. Dr. Rolf Schwartmann von der Technischen Hochschule Köln (eingeladen auf Vorschlag der Unionsfraktion) betonte, die Anhörung finde in Zeiten eines Paradigmenwechsels statt, bei dem sich das Datenrecht von einem primären Datenschutzrecht zum Datenwirtschaftsrecht entwickele. Hierbei komme es auf die Wechselwirkung und Ausgewogenheit an. Ermöglicht werden müsse eine rechtssichere Abgrenzung zwischen personenbezogenen und anonymisierten Daten, sagte Schwartmann.
Er verwies weiter darauf, dass von der Freisetzung von Datenbeständen nicht nur Unternehmen, sondern auch die Bevölkerung profitieren sollte und nannte hier die Hilfe durch unverbindliche Mustervertragsklauseln für den Datenzugang und die Datennutzung.
Digitale Selbstbestimmung vorantreiben
Dr. Stefaan G. Verhulst von The Data Tank Brussels and The GovLab New York (eingeladen auf Vorschlag der Vorsitzenden) sagte, dass die Gesellschaft nicht verstanden habe, wie Daten dem Gemeinwohl dienen können. Im Datenökosystem sei oft eine Machtasymmetrie sichtbar, aufgrund derer die Wirkmacht von Daten nicht genutzt werden könne. Wichtig sei es daher, die digitale Selbstbestimmung voranzutreiben, damit Menschen selbst entscheiden können, wie ihre Daten verwendet werden, sagte Verhulst. Bestehende Ungleichgewichte und Asymmetrien müssten korrigiert werden, um ein gerechtes Datenökosystem zu schaffen.
Debatte über Datenpolitik öffnen
Rebekka Weiß von Microsoft Deutschland (auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU eingeladen) wies darauf hin, dass datenpolitische Debatten Bereiche der Datenökonomie bisher wenig berücksichtigt hätten. Die nun stattfindende Öffnung der Diskussion sei ein „wesentlicher Baustein für Innovation“, sagte Weiß.
Innovationsfreundlichkeit entstehe auch durch die Art und Weise, wie über Datenpolitik debattiert werde. Diese basiere auf der Möglichkeit zu dezentralem Arbeiten, Skalierungsfähigkeit, Vernetzung und Datenauswertung mittels Künstlicher Intelligenz. Weiß nannte auch das Entwickeln von Datenkompetenz und Schaffen von Aus-, Fort- und Weiterbildung; dies seien Aufgaben, die alle gemeinsam voranbringen müssten. (lbr/26.06.2024)