Geschichte

Vor 90 Jahren: Reichstagsbrand in Berlin

Passanten schauen vom Brandenburger Tor auf den brennenden Reichstag.

In den Abendstunden des 27. Februar 1933 brennt der Reichstag. Auf einem der berühmtesten Bilder aus jener Nacht sind die Flammen, die aus der Kuppel aufsteigen, allerdings wohl einem Retuscheur zu verdanken. Das Original zeigte lediglich das rauchende, nicht aber brennende Gebäude. (© picture-alliance / akg-images)

Vor 90 Jahren, in den Abendstunden des 27. Februar 1933, steht der Berliner Reichstag in Flammen. Im Plenarsaal bersten die Glasscheiben der Kuppel, durch das glühende Eisengerüst züngeln Feuersäulen in den frostigen Himmel. Die Feuerwehr rückt mit einem Großaufgebot an, auf der Spree kämpfen Löschboote gegen den Brand. Um 21.42 Uhr rufen Einsatzkräfte die höchste Alarmstufe aus. Die Kuppel ist in diesen Stunden wie von Scheinwerfern erleuchtet, wird sich Vizereichskanzler Franz von Papen erinnern. Gemeinsam mit Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte er die Ereignisse jener Nacht aus der Nähe beobachtet. Gegen 23 Uhr ist das Feuer bezwungen. Doch der Reichstag, dieser von Paul Wallot entworfene, von 1884 bis 1894 errichtete Monumentalbau, ist nicht mehr zu retten, der holzgetäfelte Plenarsaal vollständig ausgebrannt. 

Schnell ist von Brandstiftung die Rede – und der Täter gefunden. Der Niederländer Marinus van der Lubbe, bekennender Anarchist und Rätekommunist, war noch im brennenden Parlament festgenommen worden. Er gesteht sofort. Und bereits in der Nacht beginnen die Spekulationen: Hat der 24-Jährige den Brand allein gelegt? Er selbst bestreitet, Mittäter gehabt zu haben. Trotzdem beschuldigt die NS-Führung umgehend die Kommunistische Partei; es soll sich um einen Aufstandsversuch gehandelt haben. Regimegegner wiederum bezichtigen die Nationalsozialisten, das Feuer selbst gelegt zu haben. 

Demokratie in Flammen

Zwei uniformierte Männer (Polizisten?) schauen in den ausgebrannten Plenarsaal des Reichstagsgebäudes.

Nach dem Brand ist der Plenarsaal des Reichstagsgebäudes völlig zerstört. (© picture-alliance / brandstaetter images/Austrian Archives (S) | Anonym)

Fast vier Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler leitet die Zerstörung des Reichstagsgebäudes auch politisch das Ende der parlamentarischen Demokratie ein. Am Tag nach dem Brand unterschreibt Reichspräsident Hindenburg eine Notverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“ und „zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“. Diese sogenannte Reichstagsbrandverordnung setzt Grundrechte der Weimarer Verfassung wie die Freiheit der Person oder die Meinungs- und Versammlungsfreiheit außer Kraft, führt die Todesstrafe für das politische Delikt „Hochverrat“ ein und bietet die Grundlage für die „Schutzhaft“ gegenüber Kommunisten und Sozialdemokraten.

Sofort setzen Massenverhaftungen ein, vor allem kommunistische Funktionäre und Reichstagsabgeordnete werden festgenommen. Marinus van der Lubbe wird im Herbst 1933 zusammen mit dem Vorsitzenden der deutschen KPD-Reichstagsfraktion Ernst Torgler und den bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitroff, Blagoi Popow und Wassil Tanew vor dem Reichsgericht in Leipzig angeklagt. Doch die Anklage bricht zusammen, das Gericht spricht die Beschuldigten wegen Mangels an Beweisen frei. Einzig Marinus van der Lubbe wird wegen „Hochverrats in Tateinheit mit vorsätzlicher Brandstiftung“ verurteilt. Am 10. Januar 1934 wird der junge Niederländer hingerichtet.

Einzeltäter, Aufstand oder Propaganda?

Rund 75 Jahre später hebt die deutsche Justiz das Urteil gegen van der Lubbe auf. Vom Tatvorwurf selbst spricht man ihn jedoch nicht frei. Und bis heute ist die Frage umstritten, ob der 24-Jährige das Feuer im Parlamentsgebäude allein gelegt hat. Nach dem Krieg etabliert sich die Meinung, die Nationalsozialisten hätten van der Lubbe benutzt, um davon abzulenken, den Brand tatsächlich selbst gelegt zu haben. Erst Ende der 1950er Jahre festigt sich die These von der Einzeltäterschaft des Niederländers.

Seitdem stehen sich Vertreter beider Theorien gegenüber. Fest steht, dass der Brand den Nationalsozialisten in die Hände spielte, denn mit der Reichstagsbrandverordnung wurden die politischen Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt, die während der zwölfjährigen Dauer des Dritten Reiches formell weiterexistierte. Der mit der Verordnung geschaffene Ausnahmezustand wurde bis 1945 nicht aufgehoben.

Verfolgt, verhaftet, in den Selbstmord getrieben

Bundestagspräsident Norbert Lammert beschrieb 2008 in einer Gedenkstunde im Bundestag die Auswirkungen der Notverordnung als „ein Mittel zur verschärften staatlichen Verfolgung politischer Gegner, zur brutalen Zerschlagung jeder Opposition, in den Parteien, den Gewerkschaften, den Kirchen und unter den Intellektuellen. Sie wurden politisch kaltgestellt, verfolgt, in Gefängnisse verschleppt, aus dem Land getrieben, ermordet“.

Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Norbert Lammert steht hinter dem Rednerpult im Plenum und hält eine Rede.

Der damalige Parlamentspräsident Norbert Lammert während der Gedenkstunde „Die Zerstörung der Demokratie in Deutschland vor 75 Jahren“ (2008) im Bundestag. (© DBT/Melde)

Von den insgesamt 1.583 amtierenden oder ehemaligen Reichstagsabgeordneten mussten Lammert zufolge nach dem 30. Januar 1933 mehr als 300 massive Behinderungen und soziale Einbußen hinnehmen, wurden aus ihren Berufen verdrängt und um ihr Vermögen gebracht. Mindestens 416 Mandatsträger seien von der Justiz verurteilt und inhaftiert worden, wobei mehr als 70 während der Haft ums Leben gekommen seien. Andere wurden zur Ausreise gezwungen, „von sechs Parlamentariern ist bekannt, dass sie in den Selbstmord getrieben wurden“.

Eine provisorische Tagungsstätte

Der Reichstag kam nach dem Brand nie wieder in dem Parlamentsgebäude am Ufer der Spree zusammen. Stattdessen traf er sich von nun an in der wenige Hundert Meter entfernten, seit 1931 geschlossenen Kroll-Oper. Zweieinhalb Wochen nach den nur noch bedingt als demokratisch zu bezeichnenden Reichstagswahlen vom 5. März kam das Parlament am späten Nachmittag des 21. März 1933 zu seiner ersten Sitzung zusammen – und entmachtete sich nur zwei Tage später mit dem Gesetz zur „Behebung der Not von Volk und Reich“ selbst. Das sogenannte Ermächtigungsgesetz übertrug alle Macht des Parlaments auf die Regierung unter Adolf Hitler und bildete damit die Grundlage der nationalsozialistischen Diktatur.

Die Kuppel des Reichstagsgebäudes wurde zwar nach dem Feuer wieder instand gesetzt – rein äußerlich wirkte der Bau somit wieder unversehrt –, aber der Plenarsaal wurde nicht mehr benötigt und wurde gar nicht erst wiederhergestellt. (eis/irs/16.02.2023)

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