Geschichte

Mahnmal für die ermordeten Reichstagsabgeordneten

Abbildung von vor dem Reichstagsgebäude aufgestellten schwarzen Platten, die Namen, Daten und Informationen zum Tod von Abgeordneten angeben

Das Mahnmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik von dem Künstler Dieter Appelt steht vor dem Reichstagsgebäude in Berlin (© DBT/ Simone M. Neumann)

Am 30. Januar 1933 begann der Terror der Nationalsozialisten. Gegner wurden beseitigt, Parteien jenseits der NSDAP verboten. Andersdenkende mussten aus ihrer Heimat fliehen und wurden dennoch verhaftet, gefoltert, ins Gefängnis geworfen oder ins KZ deportiert. Viele jedoch ließen sich in ihrem Kampf für die Demokratie dennoch nicht beirren. Auch Reichstagsabgeordnete der Weimarer Republik kämpften weiter für ihre demokratischen Überzeugungen.

Ihnen ist vor dem Berliner Reichstagsgebäude ein Denkmal gewidmet, das an 96 von den Nationalsozialisten ermordete Reichstagsabgeordnete erinnert. Zugleich befindet sich im Reichstagsgebäude eine Gedenkstätte für die vom NS-Regime verfolgten Abgeordneten. Wer waren diese Menschen, was war ihr Schicksal? Fünf ausgewählte Biografien zeigen exemplarisch das Leid der damals Verfolgten. Sie dienen vor allem einem Zweck – dem Kampf gegen das Vergessen.

Gegen das „Ermächtigungsgesetz“ – Adolf Biedermann 

Der Umstand, dass oftmals die Rekonstruktion der einzelnen Schicksale in diesen bewegten Zeiten schwer fällt, vermag die beeindruckenden Lebensleistungen dieser Menschen jedoch in keiner Weise zu schmälern. So wie etwa im Fall von Adolf Biedermann. Der SPD-Abgeordnete wurde am 11. Mai 1933 tot neben einer Bahnstrecke bei Recklinghausen aufgefunden. In der Nacht stürzte er aus dem Schlafwagen des Nachtzuges 91 von Köln nach Hamburg. Doch was wirklich geschah, wurde nie geklärt.

Mit Biedermann verloren Deutschland und die Sozialdemokraten einen profilierten Redner, der sich vor allem der gewerkschaftlichen Arbeit im „Deutschen Metallarbeiterverband“ (DMV) verschrieben hatte. Als Nachrücker kam er 1926 in den Reichstag, dem er bis 1933 angehörte. Mit seiner Rede am 23. März 1933 ging er in die Geschichte ein. Damals wandte er sich in einem von der SA „geschützten“ Parlament als Abgeordneter einer schon lange nicht mehr vollzähligen SPD-Fraktion mit einem mutigen „Nein“ gegen das „Ermächtigungsgesetz“.

Kämpfer für christliche und soziale Werte – Georg Streiter

Auch die Umstände, die zu Georg Streiters Tod geführt haben, bleiben bis heute im Nebel. Offenbar wurde ihm im Jahr 1945 das KZ Ravensbrück zum Verhängnis. Gleichzeitig fand eine beeindruckende Vita ihr jähes Ende. Streiter, 1884 in Berlin geboren, bleibt vor allem als Kämpfer für christliche und soziale Werte in Erinnerung. Mit gerade einmal 19 Jahren übernahm er den Vorsitz des frisch konstituierten „Gewerkvereins der Krankenpfleger, -pflegerinnen und verwandter Berufe Deutschlands“.

Streiter, 1918 an der Gründung der Deutschen Volkspartei(DVP)beteiligt, gehörte er von 1921 bis 1924 dem Reichstag als Abgeordneter an. Seine viel versprechende politische Laufbahn wurde am November 1944 brutal beendet, als er in seiner Dienststelle im Führungsstab des Roten Kreuzes verhaftet wurde. Aus einem Brief seines Sohnes aus den 1960er Jahren geht hervor, dass Streiter wegen der Vermittlung von Botschaften an polnische und französische Kriegsgefangene festgenommen worden sei.

Für die Gewerkschaftsbewegung – Hans Adlhoch

Ebenfalls christlich und gewerkschaftlich engagiert war der im Gegensatz zu Georg Streiter katholisch geprägte Hans Adlhoch, Mitglied der christlichen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Nach dem ersten Weltkrieg war er in der Sozialversicherung und im katholischen Vereinswesen tätig und Abgeordneter der Bayerischen Volkspartei (BVP).

Nachdem der 1884 in Straubing geborene Hans Adlhoch wiederholt durch Positionen gegen die Nationalsozialisten aufgefallen war, verhaftete ihn die Gestapo erstmals im Juni 1933. Zuvor hatte er als Nachrücker von Januar bis zur Märzwahl 1933 dem Reichstag angehört.

Zum Verhängnis wurde ihm schließlich die „Aktion Gitter“, bei der Angehörige der demokratischen Parteien sowie der KPD durch die Gestapo inhaftiert wurden. Nachdem Adlhoch über ein halbes Jahr bis April 1945 in der Gefangenschaft des KZ Dachau verbrachte, war der schwer erkrankte Adlhoch den Belastungen des Todesmarsches Dachauer Häftlinge Ende April 1945 nicht mehr gewachsen. Er starb am 21. Mai 1945 in einem Lazarett.

Politisch unangepasst – Otto Gerig

Auch Otto Geriggehörte zu den Verhafteten der „Aktion Gitter“. Zehn Jahre hatte er als Abgeordneter der Zentrumspartei von 1923 bis 1933 im Reichstag gesessen, bevor Gerig beim Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (DHV) als hauptamtliches Vorstandsmitglied entlassen wurde. Hintergrund: Der 1885 im badischen Rosenberg geborene Gerig galt als „politisch unzuverlässig“. Seine geplante Auswanderung nach Brasilien schlug fehl, und Gerig versuchte sich vergeblich an dem Aufbau eines Lebensmittelgeschäfts, wodurch seine Familie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet.

Dennoch blieb Gerig weiter politisch unangepasst und „verdächtig“, weil er kirchlich verbunden blieb, insgeheim Verbindungen zu Oppositionellen hielt und sich weigerte, eine Erklärung über einen politischen Sinneswandel abzugeben. Nach seiner Verhaftung während der Aktion „Gitter“ wurde er am 23. August 1944 inhaftiert und am 16. September 1944 ins KZ Buchenwald überführt. Dort verstarb er kurze Zeit später.

Verhaftet und ins KZ gesperrt – Elise Augustat

Die Verhaftung von Elise Augustat führte dagegen zunächst zu einem Freispruch. Der KPD-Politikerin war im April 1933 „Vorbereitung zum Hochverrat“ vorgeworfen worden. Kämpfen musste die 1889 geborene Frau aus Ostpreußen allerdings schon vorher. Um sich und ihre beiden Töchter durch die schwierige Zeit des Ersten Weltkriegs zu bringen, arbeitete die junge geschiedene Mutter in einer Zementfabrik. 1920 schloss sie sich der KPD an und wurde 1929 in den Reichstag gewählt.

Nach ihrem Freispruch von der „Vorbereitung zum Hochverrat“ 1933 wurde sie vom örtlichen Gruppenleiter der NSDAP überwacht und gezwungen, an Parteiveranstaltungen teilzunehmen und den Hitlergruß zu zeigen. Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Elise Augustat als „politisch Verdächtige“ verhaftet und ins KZ Ravensbrück eingeliefert. Im Dezember 1939 durfte sie vermutlich wegen ihrer schweren Erkrankung in ihren Wohnort zurückkehren. Nachdem sich ihr durch die Haftbedingungen im Konzentrationslager zerrütteter Gesundheitszustand offenbar auch dort nicht besserte, starb sie am 13. März 1940. (jmb/20.02.2023)