29.01.2025 | Parlament

132. Sitzung des Rechtsausschusses: Einleitungsstatement der SED-Opferbeauftragten

Das Foto zeigt eine Frau, die an einem runden Tisch sitzt und in ein Mikrofon spricht. neben ihr sitzen Menschen, die ihr zuhören..

Die SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke (r), zu Gast im Rechtsausschuss unter Leitung der Vorsitzenden Elisabeth Winkelmeier-Becker (l), CDU/CSU, MdB, Ausschusssitzung, 2022 (© DBT / Leon Kügeler / photothek)

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Abgeordnete,

vor einer Woche wurde die Entscheidung veröffentlicht, noch vor der Wahl ein Gesetzespaket zur besseren Unterstützung der SED-Opfer zu beschließen. Die Anrufe, Briefe und Mails, die mich seitdem erreicht haben, haben mich tief bewegt. Menschen, denen die Stimme am Telefon stockt, weil ihnen die Worte dafür fehlen, um zu beschreiben, was diese Entscheidung für sie bedeutet. Ja, dabei geht es oft auch um ganz konkrete Leistungen, insbesondere dort, wo Opfer heute gerade im Alter, in Armut leben. Aber ebenso wichtig ist für die Betroffenen das Gefühl, von der Politik gesehen zu werden. Dies bewegt mich besonders, gerade wenn ich sehe, was diese Menschen in ihrem Leben erdulden mussten.

Es sind Menschen, die in der Diktatur für Freiheit und Selbstbestimmung gekämpft haben und für ihren Widerspruch vom SED-Regime hart bestraft wurden. Stigmatisierung und Ausgrenzung, berufliche Benachteiligung, Zersetzung, politische Haft, Eigentumsentzug, politisch motivierter Kindsentzug, um nur eine Reihe der Instrumente des Repressionsapparates zu nennen. Diese Repression, sie hat Folgen. Folgen, die die Betroffenen bis heute begleiten. Repressionserfahrungen, wie politische Haft, sind eben keine Episode im Leben eines Menschen. Kein kurzer Umweg, nach dem dann alles in gewohnten Bahnen weiter verläuft.

Eine Frau, die im Jugendwerkhof Torgau inhaftiert war, berichtete mir vor kurzem:
„Der erste Gedanke, wenn ich morgens aufwache, ist Torgau. Und der letzte, bevor ich abends schlafe, ebenso.“
Die erlebte Repression. Sie ist nicht nur Teil ihrer Lebensgeschichte. Sie ist Teil ihres Alltags bis zum heutigen Tag.

Darüber, wie die Repression wirkt und welche langfristigen Folgen sie hat, darüber habe ich dem Bundestag, Ihnen, in meinen Jahres- und meinen Sonderberichten, berichtet.

Wie geht es den Opfern heute und was müssen wir tun, um ihnen heute ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen?

Hier sehe ich drei zentrale Herausforderungen, die auch die Anhörung zu den Rehabilitierungsgesetzen, geprägt haben. Und bei denen ich Ihnen außerordentlich dankbar bin, dass Sie mit Ihrem Beschluss heute hier im Rechtsausschuss hier ganz konkret ansetzen.

Erstens: Wir müssen die Betroffenen von SED-Unrecht besser vor prekären Lebensverhältnissen und Altersarmut schützen! Und genau das tun Sie:

  • Mit einer so deutlichen Erhöhung der Opferrente und der anschließenden Dynamisierung
  • Mit der geplanten Erhöhung der Ausgleichsleistung für beruflich Verfolgte und dem Verzicht auf Anrechnung von Partnereinkommen und dem Verzicht auf Absenkung der Leistungen bei Renteneintritt 
  • Und Sie tun dies ganz besonders auch mit der Verkürzung der Verfolgungszeiten

Gerade mit diesen Punkten tragen Sie ganz wesentlich dazu bei, dass die politisch Verfolgten, gerade im Alter, ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Zweitens: Wir brauchen ein neues System zur Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden! Das staatliche Unrecht, dass die SED-Opfer erlitten haben, ist nicht vergleichbar mit den Erfahrungen der sonstigen Gruppen im sozialen Entschädigungsrecht. Wir müssen Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Und genau das tun Sie mit der Einführung der kriterienbasierten Vermutungsregelung. Ich bin überzeugt davon, dass es uns gelingen wird, gerade mit dieser Regelung endlich für mehr Gerechtigkeit für die Opfer der SED-Diktatur zu sorgen.

Ein dritter Punkt, der meine Berichte geprägt hat, sind Lücken in unseren Gesetzen: Ja, unsere Reha-Gesetze sind gut, aber es gibt Gerechtigkeitslücken. Lücken, die Sie mit den vorliegenden Vorschlägen schließen werden:

  • Mit einer Anerkennung für das Leid der Zwangsausgesiedelten
  • Mit der Einführung eines generellen Rechts zur erneuten Antragsstellung 
  • und damit, dass Menschen, die außerhalb der DDR von der Staatssicherheit verfolgt wurden, nun als Opfer anerkannt werden und Zugang zu Leistungen erhalten

Hinzu kommt der bundesweite Härtefallfonds. Ein ganz wichtiges Instrument, um schnell und unbürokratisch helfen zu können. Mit dem Beschluss des Gesetzes kann auch das Geld, die 6 Mio €, die IKEA zur Verfügung stellt, nun den Betroffenen zugutekommen.

Mit dem, was Sie heute hier als Antrag vorliegen haben, verbessern Sie nicht nur die Lebenslage vieler Betroffener. Der geplante Beschluss ist insbesondere auch eine besondere Wertschätzung der Lebensleistung dieser Menschen.

Ganz sinnbildlich steht für mich, dass die bisher an die Bedürftigkeit gekoppelte Opferrente, nun zu einer Ehrenpension wird.

Eine Journalistin hat mich gefragt, was für mich „Deutsche Einheit“ bedeutet. „Frau Zupke, nehmen wir uns denn überhaupt gegenseitig wahr?“ Dass Abgeordnete aus vier unterschiedlichen Fraktionen, Abgeordnete aus Ost- und Westdeutschland, Ostdeutsche Abgeordnete, wie Katrin Budde, die die Diktatur bis ins Jugendalter selbst erlebt hat, Ostdeutsche Abgeordnete, wie Christiane Schenderlein und Paula Piechotta, die die DDR noch als Kinder erlebt haben oder wie Philipp Hartewig, der nachgeboren ist. Gemeinsam mit Abgeordneten aus Westdeutschland, wie Jan Plobner aus Bayern, Carsten Müller und Helge Limburg sowie Staatssekretär Saathoff aus Niedersachsen gemeinsam mit dem Bundesministerium für Justiz, einen solchen Beschluss für die Opfer der SED-Diktatur auf den Weg bringen. Diese besondere Verantwortung im Umgang mit unserer Geschichte. Das ist für mich gelebte deutsche Einheit. Und dafür bin ich Ihnen ganz persönlich als Opferbeauftragte, aber auch im Namen der tausenden Betroffenen, unendlich dankbar.