Pressemitteilung: SED-Opferbeauftragte übergibt Jahresbericht 2024
Zupke: „Im Jubiläumsjahr des Mauerfalls die Opfer nicht nur würdigen, sondern die Betroffenen von SED-Unrecht wirksamer unterstützen!“
Die SED-Opferbeauftragte hat ihren Jahresbericht 2024 „Die SED-Diktatur und ihre Folgen für die Opfer verstehen“ an Bundestagspräsidentin Bas übergeben.
In ihrem Jahresbericht zeigt die SED-Opferbeauftragte auf, wie weitreichend und andauernd die Folgen der erlebten Repression für viele Betroffene sind – bis heute. Sie verweist dabei auf aktuelle Forschungsergebnisse. So lebt rund die Hälfte der Betroffenen von SED-Unrecht heute an der Grenze zur Armutsgefährdung. Gleichzeitig ist die gesundheitliche Lage vieler ehemals politisch Verfolgter dramatisch. So zeigen beispielhaft veröffentlichte Ergebnisse einer aktuellen und vom BMBF geförderten Studie der Charité, dass bei rund 60 Prozent befragter teilnehmender weiblicher ehemaliger politischer Gefangener bereits einmal eine Angststörung und bei über 40 Prozent eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert wurde. Der zuletzt genannte Wert ist damit mehr als fünfzehn Mal höher als Daten zur Prävalenz der Allgemeinbevölkerung.
SED-Opferbeauftragte Zupke: „Die Erfahrung von Unrecht und politischer Gewalt in der DDR ist keine Episode im Leben eines Menschen, nach der er auf seinen normalen Lebensweg zurückkehrt. Das SED-Unrecht wirkt nach, teils bis heute. Dies betrifft die soziale Lage der Opfer und die bei vielen Betroffenen häufig weitreichend geschädigte Gesundheit.“
In ihrem Jahresbericht kritisiert die Opferbeauftragte den vom Bundesjustizministerium vorgelegten Entwurf für die Überarbeitung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze. Dieser Entwurf, der in den nächsten Monaten im Bundeskabinett und anschließend im Bundestag beraten werden wird, sieht im Wesentlichen eine Dynamisierung der Opferrente und der Ausgleichsleistungen für beruflich Verfolgte sowie eine Einmalzahlung für die Opfer der Zwangsaussiedlungen vor.
Zupke: „Der Entwurf des Justizministeriums enthält mehrere gute Punkte, für die ich dankbar bin. Wesentliche Fragen bleiben aber unbeantwortet. Mit diesen Plänen schützen wir weder die Opfer effektiv vor Altersarmut noch ermöglichen wir ihnen Zugang zu Hilfen bei gesundheitlichen Schäden. Damit fällt der Entwurf hinter den Koalitionsvertrag zurück. Hier muss der Bundestag dringend nachbessern.“
Als Kritikpunkt benennt die Bundesbeauftragte konkret die SED-Opferrente. Diese soll nach den Plänen des Bundesjustizministeriums erstmals Mitte 2025 um den Wert der jeweiligen Rentensteigerung angepasst werden.
Zupke: „Die Dynamisierung der Opferrente ist der richtige Weg. Die Opferrente aber erst fünfeinhalb Jahre nach der letzten Anpassung mit Blick auf die aktuelle Rentenprognose nur um rund 9 € zu erhöhen, schützt weder die Opfer vor Altersarmut noch trägt ein solches Vorgehen zur Würdigung der politisch Verfolgten bei. Die Renten der Stasi-Offiziere sind im gleichen Zeitraum über 25% gestiegen, die Opferrente nur um 3 bis 4 %. Ich wünsche mir, dass der Bundestag hier dringend nachbessert und sich auf die Seite der Opfer stellt. Vor die Dynamisierung gehört eine Erhöhung!“
Besonderen Handlungsbedarf sieht die SED-Opferbeauftragte bei der Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden. Aktuell scheitert die breite Mehrheit der Opfer bei der Anerkennung ihrer verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden, da die Ämter meist keinen Zusammenhang zwischen der erlebten Repression und der heutigen Schädigung sehen. Hier hatte der Koalitionsvertrag Erleichterungen bei der Beantragung und Bewilligung von Hilfen und Leistungen angekündigt. Im Entwurf des Bundesjustizministeriums jedoch sind dazu keine Regelungen enthalten, sondern nur ein Verweis auf das 2019, zwei Jahre vor dem Koalitionsvertrag, vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Sozialen Entschädigung. Dieses Gesetz enthält jedoch, so die Gesetzesbegründung, bezogen auf die Anerkennung von Gesundheitsschäden lediglich Regelungen, die seit 2006 auf Weisung des Bundessozialministeriums längst Grundlage für die Entscheidungen der ausführenden Behörden sind.
Zupke: „Mit dem Koalitionsvertrag wurden den SED-Opfern Erleichterungen bei der Anerkennung ihrer Gesundheitsschäden versprochen. Dass das Bundesjustizministerium nun erklärt, dass die bestehenden Regelungen, die 2019 vom Bundstag beschlossen wurden, etwaigen Schwierigkeiten bereits angemessen Rechnung tragen, geht an der Realität vorbei und wird von den Opfern als Wortbruch verstanden. Gerade mit Blick darauf, dass die Fraktion des heutigen Justizministers bisher die Beweislastumkehr forderte und auch der Koalitionsvertrag Erleichterungen vorsieht, haben viele Opfer hier auf die Politik gebaut. Wir sollten diese Hoffnungen nicht enttäuschen.“
Ausgehend von den Ergebnissen der Forschung wirbt die SED-Opferbeauftragte für die Einführung einer Regelung, wie es sie für die Anerkennung der Gesundheitsschäden von Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten seit mehr als einem Jahrzehnt gibt.
Zupke: „Bei den einsatzgeschädigten Bundeswehrsoldaten wird anhand von klar definierten Kriterien der Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und dem heutigen Gesundheitsschaden als gegeben vorausgesetzt. Eine solche Regelung brauchen wir auch für die SED-Opfer.“
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für die Opferbeauftragte die Definition der Opfergruppen anhand der Forschung, so wie es der Koalitionsvertrag angekündigt hatte. Hier sieht sie u. a. die Gruppe der ehemaligen Dopingopfer, die im Entwurf des Justizministeriums unberücksichtigt bleibt.
Zupke: „Menschen, die meist als Jugendliche für die Ziele der medaillenhungrigen SED-Führung missbraucht wurden und heute schwer erkrankt sind, brauchen unsere Unterstützung. Hier stehe ich nicht allein. Auch die Justizministerkonferenz der Länder hat den Bund gebeten, die Rehabilitierungsmöglichkeit für die Dopingopfer in den Blick zu nehmen, um ihnen so einen Zugang zu Hilfen zu ermöglichen.“
Ebenso ist die geplante Einmalzahlung von 1.500 € für die Opfer der Zwangsaussiedlung vorgesehen.
Zupke: „Eine Einmalzahlung ist der richtige Weg. Die Höhe aber sollte angemessen sein und nicht, wie jetzt geplant, nur ein Siebtel der Summe betragen, wie sie der Bund für viele andere Opfergruppen in den letzten Jahren ermöglicht hat.“
Besonders kritisiert die Opferbeauftragte, dass die Pläne des Bundesjustizministeriums Opfer ausschließen will, die in der DDR Entschädigungen erhalten haben.
Zupke: „Gerade diese DDR-Verfahren waren es, die die Menschen als große Demütigung durch einen übermächtigen Staat erlebt haben. So wie die Zwangsaussiedlungen selbst waren diese Verfahren Teil des Unrechtsstaats. Auf die Bedeutung des Rechts als Herrschaftsinstrument in der SED-Diktatur hat der Bundesjustizminister selbst in einem Beitrag zum 17. Juni im letzten Jahr verwiesen.“
Niels Schwiderski, Leitung der Geschäftsstelle der SED-Opferbeauftragten