Bärbel Bas: Bürgernähe in unruhiger Zeit
Nach dem Bundespräsidenten ist es der höchste Posten zur Repräsentation der deutschen Demokratie: Das Amt des Bundestagspräsidenten – protokollarisch der zweithöchste Rang im Staat. Mag die politische Macht auch begrenzt sein, so genießt das Amt doch höchstes Ansehen. Das Wort der Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten hat in der Öffentlichkeit Gewicht. In unserer Serie stellen wir die elf Männer und drei Frauen an der Spitze des deutschen Parlaments vor. Hier: Bärbel Bas, Bundestagspräsidentin vom 26. Oktober 2021 bis 25. März 2025.
Dritte Frau an der Spitze des Bundestages
Bärbel Bas war die dritte Frau an der Spitze des Deutschen Bundestages. Erst, wie sie selbst sagt. Nach Annemarie Renger (1972 bis 1976), Rita Süssmuth (1988 bis 1998) – und einem Dutzend Männern, die das Amt seit der Gründung der Bundesrepublik 1949 innehatten. Frauen in und außerhalb der Politik mehr Sichtbarkeit und Gehör zu verschaffen, darin sah Bärbel Bas auch eine ihrer zentralen Aufgaben als 14. Präsidentin des Bundestages. „Es tut unserem Land gut, wenn die Bürgerinnen und Bürger sehen: Im Herzen der Demokratie trägt eine Frau die Verantwortung“, sagte sie am 26. Oktober 2021 in ihrer ersten Rede im Amt.
Das Vorschlagsrecht für den Posten hat traditionell die stärkste Fraktion. Nach der Bundestagswahl 2021 war somit die SPD am Zug, auf deren Vorschlag hin das Parlament die sozialdemokratische Gesundheitspolitikerin Bas aus Duisburg zu seiner Präsidentin bestimmte. Ein Novum, wie die Abgeordnete nach ihrer Wahl festhielt. Schließlich sei nie zuvor „ein Kind der Stadt“ in ein hohes Staatsamt gewählt worden, sagte Bas.
Ihr Weg an die Spitze des Landes
Bärbel Bas wurde 1968 in Walsum, das heute zu Duisburg gehört, geboren und wuchs mit ihren fünf Geschwistern im Ruhrgebiet auf. Ihr beruflicher Werdegang ist, im Vergleich zu ihren Amtsvorgängern, ungewöhnlich: Hauptschulabschluss mit Fachoberschulreife, Ausbildung zur Bürogehilfin bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft, Sachbearbeiterin, später Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten und Fortbildung zur Krankenkassenbetriebswirtin, schließlich Abendstudium zur Personalmanagement-Ökonomin und Abteilungsleiterin bei einer Betriebskrankenkasse.
Während der Ausbildung wird Bas zur Jugend- und Auszubildendenvertreterin gewählt. „Ich habe schon als Azubi nicht mit meiner Meinung hinterm Berg gehalten“, sagt sie viele Jahre später. Und weiter: „Wer deutlich sagt, was er denkt, wird ganz schnell in ein Amt gewählt.“ Nach der Lehre wird Bas Betriebsratsmitglied und Arbeitnehmervertreterin im Aufsichtsrat. Im Oktober 1988, im Alter von 20 Jahren, tritt sie in die SPD ein. Sie habe nicht nur als Betriebsrätin für bessere Arbeitsbedingungen streiten wollen, sagt sie rückblickend, sondern die politischen Verhältnisse ändern und sich so für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzen wollen.
Corona, Ukrainekrieg und Hamas-Terror
In ihrer Familie ist Bärbel Bas die erste, die sich in einer Partei engagiert. Sie wird Vorsitzende des Juso-Unterbezirksvorstands Duisburg, sitzt im Rat der Stadt Duisburg und wird Mitglied der Ruhr-SPD. Nach der Wahl 2009 zieht sie erstmals als direkt gewählte Abgeordnete in den Bundestag ein. Bas wird 2013 Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion und ab 2019 stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
Im Herbst 2021 folgt dann der bisherige Höhepunkt ihrer politischen Karriere: die Wahl zur Bundestagspräsidentin. Doch es ist eine unruhige Legislatur, in der Bas das Amt übernimmt. Eine Zeit, geprägt von internationalen Krisen und Kriegen: Corona samt einer Bundespräsidentenwahl unter Pandemiebedingungen, Russlands Krieg gegen die Ukraine, der Terrorangriff der Hamas auf Israel. „Es war auf jeden Fall eine heraufordernde Zeit“, bilanziert sie.
Plädoyer für mehr Bürgernähe
Dreieinhalb Jahre lang, bis zum vorzeitigen Ende der Wahlperiode am 25. März 2025, wacht Bas an der Spitze des Bundestages über die Einhaltung parlamentarischer Regeln, sie leitet die Plenarsitzungen und vertritt das Parlament nach außen. Zwar mag die politische Macht begrenzt sein, doch das Amt genießt hohes Ansehen. Die Worte der Bundestagspräsidentin haben Gewicht in der Öffentlichkeit, umso aufmerksamer wird verfolgt, welche Schwerpunkte die Amtsträgerinnen und Amtsträger setzen. In ihrer Antrittsrede 2021 wirbt Bas für „eine neue Bürgernähe“. Sie spricht sich für eine verständliche Politik und Beteiligungsformate wie Bürgerräte aus.
Knapp zwei Jahre nach diesem Appell, im September 2023, eröffnet sie tatsächlich den ersten Bürgerrat des Bundestages. „Sagen Sie, was Sie denken. Und reden Sie, wie Sie immer reden“, fordert sie die 160 ausgelosten Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf. Drei Präsenzwochenenden und sechs Onlinesitzungen später überreicht ihr das Gremium Anfang 2024 ein Gutachten mit neun Empfehlungen rund um das Thema Ernährung im Wandel, vom kostenlosen gesunden Mittagessen in Schulen und Kitas bis zum Mindestalter beim Kauf von Energydrinks.
„Es ist härter geworden“
Außer für Bürgerbeteiligung und Geschlechterparität im Parlament – Bas ist Verfechterin paritätisch aufgestellter Wahllisten – plädiert die 14. Bundestagspräsidentin von Beginn der Legislaturperiode an für einen respektvollen Umgang im Hohen Haus. „Hass und Hetze sind keine Meinung“, sagt sie nach ihrer Wahl. Als Präsidentin werde sie das Parlament vor Angriffen schützen und die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen.
Im Laufe ihrer Amtszeit äußert sie sich wiederholt kritisch über einen rauer werdenden Ton, auch im Hohen Haus. Sie verteilt Ordnungsrufe in Rekordhöhe und spricht sich für schärfere Sanktionsmaßnahmen aus. „Es ist härter geworden, es sind persönliche Angriffe dazugekommen“, bilanziert sie. Ihre letzte Rede im Amt nutzt sie denn auch, um ihren anfänglichen Appell zu bekräftigen: „Politische Auseinandersetzungen müssen wir mit Respekt und Achtung vor der Meinung der anderen führen, auch in den Diskussionen am Arbeitsplatz und in der Familie.“
Staffelübergabe im Parlament
Es ist ein Anliegen, das sie mit ihrer Nachfolgerin teilt. Auch Julia Klöckner warb in ihrer ersten Rede als Parlamentspräsidentin für ein respektvolles Miteinander und den Willen, einander zuzuhören und gemeinsam nach politischen Kompromissen zu suchen.
Mit der Unionsabgeordneten aus Rheinland-Pfalz folgt zudem erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Frau auf eine Frau an der Spitze des Parlaments. Bärbel Bas nimmt indes wieder im Halbrund des Plenarsaals Platz. Bei der Bundestagswahl 2025 gewann sie zum fünften Mal ihren Wahlkreis Duisburg I. (irs/08.04.2025)