Rede bei der Eröffnung der neue Dauerausstellung Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau
Es gab ja schon zu Beginn umfangreiche Begrüßungen, deswegen hier nur noch einmal
Liebe ehemalige Heimkinder des Jugendwerkhofs, hier heute in Torgau,
liebe Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte und liebe Gäste
„Ja, Frau Zupke. Die Stasi, die Gefängnisse, all das war wirklich schlimm. Aber die Jugendwerkhöfe. Nein, die Jugendhilfe war in der DDR so wie in jedem anderen Land auch. Glauben Sie mir, im Jugendwerkhof, da saß NIEMAND ohne Grund“ so sprach mich ein älterer Herr beim letzten Tag der Deutschen Einheit an meinem Infostand an.
„Glauben Sie mir, im Jugendwerkhof, da saß NIEMAND ohne Grund.“?
Diese Sichtweise. Die ehemaligen Heimkinder, sie kennen sie nur zu gut. Es ist dieses Bild, als ob es zwei DDRen gegeben hätte. Die DDR der Diktatur, der Einheitspartei, der Stasi, der Repression. Und eine zweite DDR: Die der Menschen und der „normalen“ Institutionen. Mit einem Heim-Erziehungssystem wie in jedem anderen Land auf der Welt auch.
Mich schmerzt, dass wir auch mehr als dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer Tag für Tag Aufklärungs-, ja, fast schon Überzeugungsarbeit leisten müssen, darüber, welch dunkle Seiten die Heimerziehung in der DDR hatte.
Viel zu lange haben wir als Gesellschaft gebraucht, um dieses Unrecht auch klar als Unrecht zu benennen. Umso wichtiger ist es, dass wir heute Orte, wie die Gedenkstätte Jugendwerkhof Torgau, haben. Orte, an denen das Unrecht klar als Unrecht benannt wird. Und Orte, an denen Aufklärung geleistet wird über die Mechanismen der Diktatur und ihre brutalen Auswirkungen auf die Menschen, die sich dem Willen der Herrschenden nicht fügen wollten.
Erklären, wie es wirklich war. Hierfür leistet die neue Dauerstellung einen ganz wesentlichen Beitrag, für den ich als Opferbeauftragte des Bundestages unendlich dankbar bin.
Mein Dank gilt den Macherinnen der Ausstellung, dem Team der Gedenkstätte und Ihnen, lieber Michael Kretschmer, für den Freistaat Sachsen und Dir, liebe Claudia Roth, als Kulturstaatsministerin für die Bundesseite, für die Unterstützung dieser so wichtigen Arbeit.
Mein Dank gilt aber insbesondere auch den ehemaligen Heimkindern, die uns durch ihre Mitwirkung an der Ausstellung diesen einzigartigen Blick in das Innenleben des Jugendwerkhofs ermöglichen. Diesen Ort des Leidens wieder zu besuchen und von dem Erlebten zu berichten. Das alles ist alles andere als selbstverständlich.
Dass der Blick auf die DDR-Heimerziehung sich wandelt, das haben wir insbesondere den ehemaligen Heimkindern selbst zu verdanken. Ja, für die ehemaligen Heimkinder wurde viel erreicht in den zurückliegenden Jahren. Seit der Gesetzesänderung 2019 gelingt immer mehr Heimkindern die Rehabilitierung.
Die Rehabilitierung. Sie ist mehr als der Zugang zu Leistungen. Sie ist ganz wesentlich die staatliche Anerkennung, dass hier einem Menschen Unrecht widerfahren ist. Ja, es wurde viel in den letzten Jahren für die Heimkinder erreicht, aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen. Es liegt auch weiterhin viel Wegstrecke vor uns.
Ein Aufenthalt im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. Er ist eben keine Episode im Leben eines jungen Menschen. Kein kurzer Umweg, nach dem dann alles in gewohnten Bahnen weiter verläuft.
„Der erste Gedanke, wenn ich morgens aufwache, ist Torgau. Und der letzte, bevor ich abends einschlafe, ebenso.“ so schilderte mir eine Betroffene ihren heutigen Alltag.
Diese Erfahrung. Sie begleitet die Betroffenen durch ihr gesamtes Leben. Es ist wie ein Schatten, den man nicht einfach abschütteln kann.
Umso wichtiger ist es, dass wir die Menschen, die an den körperlichen und seelischen Folgen der erlebten Repression bis heute leiden, endlich besser unterstützen.
Ich bin dankbar, dass man im Bundestag, liebe Claudia Roth, lieber Carsten Schneider, liebe Christiane Schenderlein, sich in den letzten Monaten auf den Weg gemacht hat, um hier endlich für grundlegende Verbesserungen zu sorgen.
Und lieber Michael Kretschmer, ich bin Ihnen dankbar für das klare Signal des Bundesrates, hier einen gemeinsamen Weg zu gehen. Ich hoffe und ich baue darauf, dass wir trotz aller aktuellen Herausforderungen in der Bundespolitik, diese für die Betroffenen so wichtige Reform, über die Parteigrenzen hinweg, noch in diesem Jahr zum Abschluss bringen. Ich sehe es als unsere Pflicht als demokratische Gesellschaft, dass wir den Opfern der Diktatur zur Seite stehen.
Daher wünsche ich mir, dass auch die Arbeit der Beratungsstelle hier in Torgau nicht länger an jährlichen Projektmitteln hängen sollte, sondern als dauerhafte Einrichtung gefördert wird. Dass an diesem Ort, an dem über Jahrzehnte unschuldige Kinder und Jugendliche unterdrückt – ja gequält - wurden, heute aufgeklärt wird über die Diktatur, ist ein ganz wichtiges Signal. Ein Signal an all die Betroffenen, die in Torgau leiden mussten: „Wir vergessen euer Leid nicht.“ Es ist aber ebenso auch ein Signal der Ermutigung, an all die Menschen, die heute unter autoritären Systemen leiden müssen. Das Signal, dass Diktatur überwindbar ist.
Vielen Dank!