Rede bei der Eröffnung der Ausstellung „Staatssicherheitsinhaftierung“ im Deutschen Bundestag

Die SED-Opferbeauftragte während ihrer Rede zur Ausstellungseröffnung im Paul-Löbe-Haus (© DBT/Sebastian Eggler)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Frau Klöckner,
sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Lindholz,
sehr geehrter Herr Vizepräsident Nouripour,
sehr geehrte Abgeordnete, liebe Katrin Budde,
lieber André Wagenzik,
liebe Zeitzeuginnen und Zeitzeugen,
liebe Gäste,
nichts anderes als mit ihrem Sohn in Freiheit leben, wollte Elke Schlegel.
Als junge Frau stellte sie 1983 in Jena mit ihrem damaligen Freund einen Ausreiseantrag. Um ihrem Begehr Nachdruck zu verleihen, schloss sie sich den Protesten des „Weißen Kreises“ an und suchte Hilfe bei Verwandten im Westen. Schließlich wurde ihr bedeutet, dass ihr Ausreiseantrag kurz vor der Bewilligung stehe.
Endlich Freiheit, dachte Elke Schlegel.
Doch kurz darauf kam die Verhaftung. Wegen „ungesetzlicher Verbindungsaufnahme“ wurde sie zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Der Kontakt zu ihren Verwandten im Westen wurde ihr zum Verhängnis. Ihr Weg führte sie nicht in die Freiheit, sondern in das berüchtigte Frauenzuchthaus Hoheneck.
Schikanen, Misshandlungen, Zwangsarbeit und die schmerzhafte Trennung von ihrem kleinen Sohn, waren das, was ihren Alltag bestimmte.
Im September 84 wurde sie von der Bundesrepublik freigekauft. Ihren Sohn jedoch, konnte sie erst ein Jahr später in ihre neue Heimat, nach Rheinland-Pfalz, nachholen. Elke Schlegel ist eine der Frauen und Männer, die von André Wagenzik in beeindruckender Weise hier in der Ausstellung porträtiert ist.
Liebe Elke, ich bin dankbar, dass Du heute auch persönlich hier bei uns bist.
Die Lebensgeschichten, wie die von Elke Schlegel und den vielen weiteren politischen Gefangenen, die heute in Ost- und Westdeutschland leben, zeigen uns:
Die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und ihren Folgen.
Sie ist eben keine ostdeutsche Angelegenheit. Sie geht uns alle an.
Jedes einzelne Portrait, was Sie hier sehen.
Jedes einzelne Schicksal mahnt uns, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist.
Ich bin Ihnen, liebe Frau Präsidentin, dankbar, dass Sie als einer der ersten Termine im neuen Amt, die Ausstellung hier heute eröffnen.
Ich bin dankbar, da ich weiß, dass Ihnen dieses Thema persönlich am Herzen liegt.
Ihre Besuchergruppen besuchen selbstverständlich hier in Berlin die Gedenkstätte Hohenschönhausen oder das Stasi-Unterlagen-Archiv. Und in Ihrem Wahlkreis, in Bad Kreuznach, haben Sie ganz bewusst Veranstaltungen mit politischen Häftlingen gemacht. Das alles ist nicht selbstverständlich.
Der Ort, an dem heute frei gewählte Abgeordnete, aus Ost und West, gemeinsam unsere Demokratie gestalten. Für mich ist es genau der richtige Ort für diese Ausstellung. Es ist genau der richtige Ort, um sich mit den Menschenrechtsverletzungen in der Diktatur auseinanderzusetzen und diese Erfahrungen in die Gestaltung unserer Demokratie einzubringen.
Wir sind hier innerhalb des heutigen Regierungsviertels nicht an irgendeinem Ort. Keine 50 Meter von hier verliefen Mauer und Stacheldraht. Demokratie auf der einen und Diktatur auf der anderen Seite. Dort, wo heute unsere Demokratie lebt, kamen Menschen beim Versuch, die Diktatur zu verlassen, zu Tode. Die Mauerkreuze an der Spree zeugen davon.
Die Gebäude des Deutschen Bundestags, wie hier das Paul-Löbe-Haus, sind benannt nach herausragenden Abgeordneten, die sich in besonderer Weise um unsere parlamentarische Demokratie verdient gemacht haben.
Als Opferbeauftragte des Bundestages möchte ich darum werben, dass der neue Bundestag eines der neuen Gebäude nach einer Persönlichkeit benennt, die für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in der Diktatur gekämpft hat. Der vor wenigen Tagen verstorbene Bürgerrechtler und ehemalige Abgeordnete Gerd Poppe ist eine solche Persönlichkeit.
In diesem Jahr feiern wir gemeinsam 35 Jahre Deutsche Einheit. Vor ein paar Wochen fragte mich eine Journalistin, was für mich persönlich „Deutsche Einheit“ bedeutet.
„Frau Zupke, nehmen wir uns denn überhaupt gegenseitig wahr?“ Sie fragte mich dies am Tag vor dem wegweisenden Beschluss des Bundestages über die bessere Unterstützung der SED-Opfer.
Die Präsidentin und die vielen weiteren Abgeordneten, die heute hier sind, werden sich an diesen bewegenden Abend im Plenarsaal erinnern. Ein Beschluss, mit dem unter anderem die Opferrente spürbar erhöht, Bedürftigkeitsgrenzen gestrichen und für die Betroffenen, die unter den gesundheitlichen Folgen der erlebten Repression leiden, ein direkter Weg zur Unterstützung geschaffen wurde. Gleichzeitig wurde, um Betroffenen im ganzen Land unbürokratisch helfen zu können, ein bundesweiter Härtefallfonds bei der Stiftung für politisch Verfolgte eingerichtet und die Stiftung direkt an die SED-Opferbeauftrage beim Deutschen Bundestag angebunden.
Meine Antwort an die Journalistin war daher eindeutig: Dass Abgeordnete aus vier unterschiedlichen Fraktionen, Abgeordnete aus Ost- und Westdeutschland, Ostdeutsche Abgeordnete, die die Diktatur selbst erlebt haben oder nach dem Ende der DDR geboren wurden, gemeinsam mit Abgeordneten aus Westdeutschland, einen solchen Beschluss für die Opfer der SED-Diktatur auf den Weg gebracht haben. Einen Beschluss, der einstimmig im Deutschen Bundestag und einstimmig im Bundesrat durch die ost- und westdeutschen Länder verabschiedet wurde.
Das ist für mich Ausdruck unserer besonderen gesamtdeutschen Verantwortung im Umgang mit unserer Geschichte.
Das ist für mich gelebte deutsche Einheit.
Vielen Dank!